Rezeptfreie Medikamente und homöopathische Mittel - Kassen zahlen doch mehr als geplant

      Rezeptfreie Medikamente und homöopathische Mittel - Kassen zahlen doch mehr als geplant

      Rezeptfreie Medikamente und homöopathische Mittel - Kassen zahlen doch mehr als geplant

      Zwei wichtige Neuigkeiten für Patienten: Bestimmte rezeptfreie und homöopathische Medikamente können demnächst erstattet werden. Und: Kassen dürfen weiterhin Höchstpreise für Arzneimittel festlegen

      Seit 1. Januar gilt im Zuge der Gesundheits- Reform eigentlich: nicht verschreibungs- pflichtige Präparate müssen in der Regel von den Patienten aus eigener Tasche bezahlt werden. Nun hat sich der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Kassen und Patienten jedoch auf Ausnahmen geeinigt: Für ganz bestimmte rezeptfreie und auch homöopathische Medikamente dürfen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten erstatten.

      Ausnahme-Liste mit 36 Wirkstoffen
      Der Ausschuss verständigte sich auf eine Liste von 36 Wirkstoffen mit daran gekoppelten schwer wiegenden Erkrankungen. Die jeweiligen Mittel müssen bei solchen Erkrankungen zur Standardtherapie gehören. Auf der Liste stehen zum Beispiel Aspirin zur Nachsorge eines Herzinfarktes oder eines Schlaganfalls bei Herzerkrankungen sowie Iodid bei Schilddrüsen- Erkrankungen. Die beschlossene Änderung der Arzneimittel-Richtlinien tritt zum 1. April in Kraft.

      Erstattet wird nicht nur Schulmedizin
      Auch einige pflanzliche Heilmittel wie Johanniskraut bei Depressionen, Mistel bei Krebs und Ginkgo-Bilobablätter-Extrakt bei Demenz sollen den Patienten gezahlt werden. Außerdem werden Mittel aus der Homöopathie und Anthroposophie insoweit zur ärztlichen Verordnung zugelassen, wie sie die anderen Mittel aus der neuen Sonderregelung bei der Behandlung ersetzen. Die Medikamente sind wegen fraglicher Wirksamkeit umstritten. „Das war keine Entscheidung aus fachlich-wissenschaftlichen Gründen,“ erklärte der Ausschuss-Vorsitzende Rainer Hess. Der Entschluss sei aus rechtlichen Gründen der „Therapievielfalt“ gefällt worden und bedeute auch „keinen Freibrief für die Homöopathie“. Das Reformsparziel von rund einer Milliarde Euro bei Arzneimitteln werde ungeachtet der Ausnahmeregelungen erreicht, sagte Hess.

      Auf der Tabuliste: Potenz- und Diätmittel
      Arzneimittel zur Steigerung der sexuellen Potenz oder Appetitzügler zur Diät, Mittel zur Raucherentwöhnung oder gegen Glatze und Falten werden definitiv nicht von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Für solche so genannten Life-Style-Präparate beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss eine konkrete Tabuliste. Zu den Mitteln, die von der Erstattung ausdrücklich ausgeschlossen sind, zählen Präparate, die „zur Erhöhung der Lebensqualität“ oder „zur individuellen Bedürfnisbefriedigung“ dienen oder auch nur zur kosmetischen Behandlung von Folgen natürlicher Alterungsprozesse angewandt werden.

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      Die komplette Ausnahme-Liste
      finden Sie im Internet unter
      www.bundesausschuss.de
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      Ärzte und Pharmaindustrie wenig begeistert
      Von der Ärzteschaft wurden Zweifel an der Ausnahme-Liste geäußert. „Das entbehrt jeglicher Rationalität“, sagte der Vizevorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Leonhard Hansen. Politik und Gesetzgeber hätten es aber so gewollt. Henning Fahrenkamp, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, kritisierte, dass die Ausnahmeliste lediglich Wirkstoffe aufführe. Besser wäre nach seinen Worten eine Liste mit Indikationen gewesen, für die dann alle zugelassenen Arzneimittel weiter hätten erstattet werden müssen. „Das hätte für die Patienten wirkliche Therapievielfalt und damit bessere Versorgung bedeutet.“ Insgesamt sei die Ausnahmeliste zu knapp ausgefallen.

      Chronisch Kranke fühlen sich benachteiligt
      Aus Sicht der chronisch kranken Patienten sei der Beschluss eine Enttäuschung, erklärte der Vorsitzende des Behindertenrats, Walter Hirrlinger. „Die heutige Entscheidung wiegt besonders schwer, weil die Ausgaben für nicht verschreibungspflichtige Arzneien nicht zu den Zuzahlungen gehören. Und viele werden daher gezwungen, auf notwendige Leistungen zu verzichten.“ Die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) befürchtet, dass Präparate für ihre Mitglieder übersehen und daher nicht mehr von den Krankenkassen erstattet werden.

      Homöopathische Ärzte wollen klagen
      Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte will mit einer Verfassungsklage gegen den weitgehenden Ausschluss ihrer Arzneimittel von der Kassenerstattung vorgehen. In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ betonte der Vorsitzende Karl-Wilhelm Steuernagel, er sei „strikt unzufrieden“ mit den Vorgaben des Ausschusses. Dies sei „eine nicht hinnehmbare Einschränkung der Therapiefreiheit“.

      Ulla Schmidt zufrieden
      Bundesgesundheits- Ministerin Ulla Schmidt (SPD) hat sich zufrieden über die beschlossenen Änderungen geäußert. Die Liste der rezeptfreien und homöopathischen Medikamente, für die die Kassen aufkommen, sei eine gute Grundlage, „damit die Patienten auch in Zukunft das bekommen, was sie brauchen“, sagte Schmidt. Die Kritik homöopathischer Ärzte, die Therapievielfalt werde durch die Liste eingeschränkt, ließ Schmidt nicht gelten. „Alle werden gleich behandelt und es gibt keinen Ausschluss von irgendeiner Therapierichtung.“

      Kassen bestimmen weiterhin, wie viel maximal gezahlt wird
      Die Festlegung von Höchstpreisen für Arzneimittel durch die deutschen Krankenkassenverbände verstößt nicht gegen das europäische Recht. Das hat am Dienstag der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden. Die Kassenverbände handelten in diesen Fällen nicht als Wirtschaftsunternehmen und verstießen damit auch nicht gegen die EU-Wettbewerbsregeln. Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen sowie der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK) begrüßten das Urteil.

      EU-Gericht: Kassenverbände dürfen Preise für Arzneien festlegen
      Grundsätzlich dürfen Unternehmen und Unternehmensverbände in den EU-Staaten keine Entscheidungen fällen, die den wirtschaftlichen Wettbewerb behindern oder ausschalten. Vor allem Preisfestlegungen sind verboten. In Deutschland legen jedoch die Kassenverbände unter Kontrolle des Gesundheitsministeriums fest, wie viel sie den Patienten maximal für ein Medikament erstatten. Darüber hinaus gehende Kosten müssen Patienten selbst bezahlen. Dieses Verfahren hatten mehrere Pharmaunternehmen angefochten.

      dpa/GesundheitPro.de