Emotion_Sickness

      Emotion_Sickness

      Sie schob den Ärmel ihrer Jacke ein wenig zurück und betrachtete die schmalen Schnitte an ihrer Hand. Sie zeigten Zerstörung. Genauso wie der Spiegel Zerstörung zeigte. Langsam ging sie zu ihrem Bett, ließ die Jacke auf den Boden fallen und legte sich selbst zwischen die zerwühlten Decken und Kissen. Sie drehte den Kopf leicht zur Seite, richtete ihren Blick auf den zerstörten Spiegel. Sie versuchte zu verstehen, warum sie ihn kaputt geschlagen hatte...
      Sie dachte an ihr Gesicht. Sie wusste, wie es aussah auch ohne in den Spiegel zu sehen, kannte das langweilige braun ihrer Augen und sie konnte beinahe fühlen, wie blass ihre Haut, wie langweilig ihre Haare waren. Sie wälzte sich herum, sodass sie den Kopf in den Kissen vergraben konnte, die Augen abwenden konnte. Als sie ihre Hände zwischen die Kissen schob, begannen die Schnittwunden an der einen Hand zu brennen.
      Obwohl sie die Augen geschlossen hielt, sah sie vor sich ganz deutlich Bilder. Ihr blasses Gesicht, die Maske, hinter der sie sich heut noch versteckt, mit der sie sich geschützt hatte. Geschützt ? Wovor ? fragte sie sich und wusste die Antwort bereits, ehe sie die Frage zu Ende gedacht hatte. Vor der Erkenntnis, dass sie ein Nichts war, dass ihr Gesicht dieses leere Nichts zeigte. Ganz plötzlich begriff sie, warum sie den Spiegel zerschlagen hatte. Zerstörung, Scherben und Blut waren besser als dieses Nichts, besser als ein leeres Gesicht, das nichts bedeutet.
      Ja, das war sie. Eine, die ausgestiegen war, die das Leben an sich vorbeiziehen ließ, weil sie ein Nichts war und weil ein Nichts nicht in das Leben passte. Sie passte nicht in das Leben. Dieser Gedanke erschreckte sie, bedeutete ihr aber auch Erleichterung. Erschreckt war sie, weil sie immer gehört hatte, wie schlimm es offensichtlich war, nichts zu tun, nichts zu werde, zu sein. Erleichtert war sie, weil sie von einem Nichts auch nichts zu erwarten brauchte. Sie konnte einfach weiter in Bett liegen und zusehen, wie das Leben vorbeizog. Einfach existieren.
      Doch war es, wenn man ein Nichts war, leer und ohne Bedeutung, nicht besser, wenn man dieses Nichts einfach entfernte ? Bei diesem Gedanken zuckte sie zusammen. Nein, es war nicht gut, so weit zu denken, es machte ihr Angst. Musik würde sie vielleicht ablenken, vielleicht die tiefe, kaum greufbare Angst vertreiben. Sie würde warten, warten darauf, dass aus dem Nichts ein Jemand wurde, darauf, dass ihr blasses Gesicht, die braunen Augen und die glanzlosen Haare an Bedeutung fanden...