Bucay, Jorge - Komm, ich erzähl Dir eine Geschichte

      Bucay, Jorge - Komm, ich erzähl Dir eine Geschichte

      Jorge Bucay - Komm, ich erzähl dir eine Geschichte

      Ammann Verlag
      ISBN: 3 250 660077 6
      Preis: 18,90€
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      Kurzbeschreibung
      Einer, dem das Leben bisweilen ziemlich kompliziert vorkommt ist Demian. Weil der neugierige junge Mann auf seine vielen Fragen allein keine Antworten findet, geht er zu Jorge, dem Psychotherapeuten, der auch "der Dicke" genannt wird und der für alles eine Erklärung hat. Zusammen trinken sie Tee, und Jorge erzählt Demian bei jedem Besuch eine passende Geschichte zu dessen aktueller Befindlichkeit: Sagen aus der klassischen Antike, Sufi-Gleichnisse, sephardische Legenden, Zen-Weisheiten oder Märchen aus aller Welt. Und wenn Jorge mal keine passende Geschichte in seinem großen Fundus parat hat, dann erfindet er eben selbst eine.
      Leichtfüßige und witzige, lehrreiche und unterhaltsame Geschichten über das Leben, die uns ganz nebenbei helfen, uns selbst besser zu verstehen.



      Ein kleiner Auszug: Verallgemeinerungsfaktor
      Als ich zum ersten Mal in Jorges Sprechstunde ging, wusste ich, dass ich es nicht mit einem gewöhnlichen Psychotherapeuten zu tun haben würde. Claudia, die ihn mir empfohlen hatte, hatte mich gewarnt, dass "der Dicke", wie sie ihn nannte, "etwas speziell" sei.
      Ich hatte die Nase bereits voll von den konventionellen Therapien, besonders davon, mich monatelang auf der Couch eines Psychoanalytikers herumzulangweilen. Also rief ich Jorge an und bat um einen Termin.
      Mein erster Eindruck übertraf all meine Erwartungen. Es war ein warmer Frühlingstag. Ich war fünf Minuten zu früh und wartete noch ein Weilchen vor der Haustür.
      Punkt halb vier klingelte ich. Der Türöffner summte, ich trat ein und fuhr hinauf in den neunten Stock.
      Oben im Gang wartete ich.
      Ich wartete.
      Und wartete.
      Als ich das Warten leid war, klingelte ich an der Praxistür.
      Die Tür wurde von einem Kerl geöffnet, der aussah, als wollte er gerade zu einem Picknick gehen: Er trug Jeans, Tennisschuhe und ein knallrotes Freizeithemd.
      "Hallo", sagte er. Ich muss zugeben, sein Lächeln beruhigte mich einigermaßen.
      "Hallo", antwortete ich. "Ich bin Demian."
      "Ja, das weiß ich. Was ist passiert? Warum bist du so spät? Hast du dich verlaufen?"
      "Nein, ich war pünktlich da. Ich wollte nur nicht klingeln, um nicht zu stören, ich dachte, du hättest vielleicht noch einen Patienten."
      "Um nicht zu stören", äffte er mich nach und schüttelte besorgt den Kopf. Und wie um mich aus der Reserve zu locken, sagte er: "Also müssen die Dinge zu dir kommen."
      Ich ging nicht weiter darauf ein.
      Es war sein zweiter Satz, und sicher war etwas dran an dem, was er sagte, aber.. So ein verdammter Hurensohn!

      Der Raum, in dem Jorge seine Patienten empfing und den ich nicht unbedingt Sprechzimmer nennen würde, war genau wie er: informell, unordentlich, chaotisch, warm, kunterbunt, unberechenbar und, warum es leugnen, ein bisschen schmuddelig. Wir setzten uns auf zwei Sessel einander gegenüber, und während ich ihm dies und das erzählte, trank Jorge Mate. Ja, mitten in der Sitzung trank er seinen Matetee.
      Er bot mir welchen an.
      "Gut", sagte ich.
      "Was ist gut?"
      "Der Mate..."
      "Ich verstehe nicht."
      "Gut, ich nehme einen Mate."
      Jorge machte eine übertriebene Verbeugung und sagte: "Vielen Dank, Majestät, dass Ihr meinen Mate annehmt... Warum sagst du nicht frei heraus, ob du einen Mate willst oder nicht, anstatt so zu tun, als tätest du mir einen Gefallen?"
      Der Mann würde mich schnurstracks in den Wahnsinn treiben.
      "Ja!" sagte ich.
      Und da überreichte mir der Dicke tatsächlich einen Mate.
      Ich beschloss also, noch ein Weilchen zu bleiben.
      Neben tausend anderern Dingen erzählte ich ihm, dass irgend etwas mit mir wohl nicht ganz stimme, denn ich hätte Schwierigkeiten in den Beziehungen zu meinen Mitmenschen.
      Jorge fragte mich, wie ich denn darauf käme, dass das Problem bei mir liege.
      Ich erzählte ihm, zu Hause hätte ich Schwierigkeiten mit meinem Vater, meiner Mutter, auch mit meinem Bruder und mit meiner Freundin... Und dass das Problem daher ja wohl ganz offensichtlich bei mir liege. Das war das erste Mal, dass Jorge eine Geschichte erzählte.
      Mit der Zeit erfuhr ich, dass der Dicke Fabeln liebte, Parabeln, Märchen, kluge Sätze und gelungene Metaphern. Seiner Meinung nach war der einzige Weg, etwas zu begreifen, ohne die Erfahrung am eigenen Leib machen zu müssen, der, ein konkretes symbolisches Abbild für das Ereignis zu haben.
      "Eine Fabel, ein Märchen oder eine Anekdote", bekräftigte Jorge, "kann man sich hundertmal besser merken als tausend theoretische Erklärungen, psychoanalytische Interpretationen oder formale Lösungsvorschläge."

      An dem Tag sagte mir Jorge, es könne da womöglich etwas in mir leicht aus dem Takt geraten sein, aber er fügte hinzu, dass meine Schlussfolgerung, mich selbst für alles verantwortlich zu machen, gefährlich sei, denn es spreche nichts dafür. Und dann erzählte er mir eine dieser Geschichten, von denen man nie weiß, ob er sie tatsächlich selbst erlebt hat, oder ob sie einach seiner Phantasie entsprungen sind:

      ES WAR EINMAL ein ziemlicher Säufer.
      Am liebsten trank er türkischen Anisschnaps.
      Er tank Anis und fügte Wasser hinzu, um ihn zu verdünnen, aber trotzdem wurde er betrunken.
      Also trank er Whisky mit Wasser und wurde betrunken.
      Er trank Wein mit Wasser und wurde betrunken.
      Bis er eines Tages beschloss, es seinzulassen.
      Und er verzichtete...auf das Wasser.

      (aus Jorge Bucay's "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte")


      Ich liebe dieses Buch. Bin zwar selbst noch nicht ganz durch, aber jede neue Geschichte berührt mich irgendwo tief innen. Und es ist erstaunlich, wie sehr sie auch andere Menschen berühren kann.. :)
      Ich kann es jedem nur empfehlen! Es sind kurze Kapitel - dieses ist nur so lang, da es auch die Einleitung enthält. In der Regel sind es kurze Einleitungen, welche das Problem, das Damian hat, vorstellen und dann kommt auch schon eine neue, faszinierende Geschichte.
      Leider hab ich das Buch selbst nur ausgeliehen, aber bald werd ich es kaufen und in meine Sammlung zu den schönsten Büchern stellen.. :)

      Viele liebe Grüße

      an-shin


      edit edit: Tippfehler.. -.-

      Dieser Beitrag wurde bereits 3 mal editiert, zuletzt von „Ch'aska Quyllur“ ()