zurück...

      Es wird Abend, und die Farben im Raum verblassen zu einem verwaschenen braun-grau.
      Ich liege auf dem Bett und kann nicht mehr schlafen, ich sehe zum Fenster, was einen Spalt breit offen steht. Draußen ist der Himmel noch ein bisschen blau, blaugrau. Eine Amsel zwitschert. Ein lauer Frühlingsabend, und ich liege immernoch auf dem Bett und beobachte die hereinbrechende Dunkelheit. Mein Freund liegt neben mir und schläft.
      Aus den Ecken kommen Schatten gekrochen, strecken ihre Finger aus, bald ist der ganze Raum dunkel. Ein bisschen oranges Licht von der Straßenlaterne fällt durch das Fenster, aber es reicht nicht, irgendetwas zu erhellen. Weder den Raum, noch mich.

      Die Gedanken wandern zurück, wie so oft in letzter Zeit. Erinnerungen an Kindertage steigen auf. Ich will zurück, verflucht... es geht nicht, geht nicht, geht nicht, ich weiß. Aber ich will nicht erwachsen werden, sein. Ich will das nicht, und ich kann das nicht.
      Was gäbe ich dafür, wieder vier, fünf Jahre alt zu sein... und dann die Zeit anzuhalten.
      Ich will einfach nur zurück zu meiner Mama und ihre kleine Tochter sein. ;(

      Das war gestern Abend auch das Thema in der Thera... Thera sagt, ich habe als kleines Kind zu wenig Liebe bekommen. Das ist nicht mit Absicht geschehen, das weiß ich. Bei all ihrem Trinken liebt meine Mutter mich sehr, das weiß/spüre ich, und das ist auch in letzter Zeit nochmal sehr deutlich geworden, seitdem wir endlich miteinander auch über die Themen reden, die sie lieber totgeschwiegen hätte. Es war also keine Absicht, weder von ihr, noch von meinem Vater... der liebt mich ja auch, aber er konnte/kann einfach nichts mit Kindern anfangen. Nicht mit mir und nicht mit meinen diversen Halbgeschwistern. Er meint es nicht böse, er ist nur so... unbeholfen.
      Auf jeden Fall, erklärt Thera, ist damals dieses Bedürfnis nach ganz viel Liebe nicht ausreichend gestillt worden. Und dieses Loch in meiner Seele ist bis heute da, und jetzt ist es auch zu spät, es genug zu füllen und wieder verschwinden zu lassen.
      Damit muss ich leben lernen. ... Bauchklatscher vom Zehnmeterbrett, Luft weg, nur noch ein verzweifelter Gedanke, der alles andere verdrängt: NEEEIIIIN ;(

      Ich schaff das nicht. Ich halt das nicht aus. Verflucht... bei mir stürzt alles ein wie ein Kartenhaus, und ich soll damit leben lernen - es geht also nicht weg?
      Ich pack das nicht... ich schaff das nicht. .___.

      So ziemlich jede selbstschädigende Handlung, sei es selbstverletzendes Verhalten, Substanzmissbrauch, Beziehung mit Menschen, die mir nicht gut tun, riskanter Fahrstil... all das lässt sich letzten Endes daraufhin zurückführen, dass ich nur diese Leere und das Alleinsein - als Gegenteil vom Geborgenfühlen bei meiner Mama - nicht spüren muss. Damit kann ich das verdrängen, aber letzlich wird mir das auch das Genick brechen (wortwörtlich). Soviel Schutzengel kann ja kein Mensch haben. :rolleyes:

      Ich kann das immer nur verdrängen, übertünchen... Thera meint, ich soll mir ein soziales Netz aufbauen. Mehr mit Leuten treffen.... sozusagen als gesunde Variante des Ablenkens. Aber dann staut sich doch alles nur auf, um den Moment abzuwarten, wo ich dann alleine bin... :(

      Irgendwann merke ich, dass ich mit angezogenen Knien dasitze, die Arme um die Knie gelegt, mich hin- und herschaukele, einen schalen Geschmack im Mund und die Haut an meinen Augen brennt vom Salz der Tränen.

      Erinnerungen an früher... als ich klein war, hat meine Mama mich abends nach dem Baden in ein großes Duschtuch gewickelt und ich saß eingekuschelt in das weiche Frottee da im Badezimmer, neben der Heizung, und sie hat mir die Haare geföhnt. Danach saßen wir am Esstisch, die Vorhänge waren zugezogen, die eine Front der Essecke bildet eine große Glasscheibe, die den Wintergarten abgrenzt, und davor also dieser große, dunkelgrüne Vorhang... es ist kein Samt, aber es fühlt sich so ähnlich an. Hinter meinem Stuhl der alte Holzschrank, achtzehntes Jahrhundert, mit seinen anmutigen Schnitzereien und den hübsch aufgereihten bemalten Tellern und den Weingläsern in der Vitrine. Auf dem Teppich zwischen diesem Schrank und meinem Stuhl liegt damals noch ein großer Plüschlöwe. Ich sitze da also so frischgebadet und eingemummelt in den Bademantel, der Raum ist dunkel, bis auf den warmen Lampenschein überm Tisch. Um ihn herum sitzen wir drei und sind eine glückliche Familie, die heiße Würstchen mit Senf als Abendbrot isst.
      Ich esse seit Jahren kein Fleisch mehr, aber die Erinnerung an den Geschmack von Würstchen ist unweigerlich mit diesem Gefühl von Geborgenheit verknüpft-

      Erinnerungen an früher... ich kann nicht weitertippen, ich merke, dass ich wieder abdrifte... zurück...

      Ich tippe diesen Beitrag und hoffe, dass es besser wird... Vergiss es, neon, es wird nicht besser.

      Liebe A.

      Ich weiß nich wirklich was ich schreiben soll, mag es aber trotzdem versuchen.
      Die "geschichte" find ich richtig traurig und es tut mir so leid für dich das es so war.
      Ich denke wirklich was anderes machen außer damit zu leben kannst du nich, denn die Zeit kann man leider nich zurückdrehen. Du kannst versuchen so viel Erinnerung wie möglich bei dir zu behalten und lernen dich damit nich runterzuziehen.
      Hol dir Liebe und Wärme bei deinem Freund so viel du kannst, vielleicht kannst du z.b. mal für deine familie ein abendessen organisieren [ich weiß ja in wie weit das bei euch so abläuft und möglich is) und dann gibs würstchen mit senf, nur mal so als Beispiel. Falls du schon vorher weisst das dich sowas eh nur runterziehen würde, dann vergiss diesen Vorschlag.

      Und vielleicht wird durch das reden darüber ja doch etwas ein kleines bisschen besser.Wenn du magst kannst du dich gerne per pn melden
      alles liebe
      Hey,

      da konnte ich jetzt einfach nicht daran vorbei gehen :- /

      Ich weiß nicht, ob das, was ich zu sagen habe, wirklich hilfreich ist, aber zumindest versuchen mag ich es einmal.

      Ich glaube, ich kenne das ganz gut, was du beschreibst. Diese Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Kindseinundbeschütztwerden. Aber, wie du ja geschrieben hast, es geht nicht. Zumindest in dem Sinne, dass man die Zeit zurückdreht. Andererseits... Man kann sich doch einiges von dem zurückholen, was man als Kind verpasst hat. Denke ich zumindest. Gerade Geborgenheit und Liebe. Das macht vielleicht nicht das wieder gut, was dir als Kind vorenthalten wurde, aber gut tut es auf jeden Fall...

      Was löst bei dir denn ein Gefühl von Geborgenheit aus? Sich gut um sich selbst kümmern, Kontakt mit Tieren, Kontakt zu deinem Freund...? Irgendetwas, wo du einfach du sein kannst - und wenn dieses du nun einmal in diesem Moment ein (gefühltes) Kind ist, dann ist das auch in Ordnung so. Such dir diese Dinge und nutze sie für dich...

      Und wenn du das noch einmal in diese Situation kommst - dann weck' doch einfach deinen Freund auf...?

      Ich wünsch dir viel Kraft.

      lg. Theodwyn
      liebe neontrauma

      dieses gefühl kenn ich so gut...sich nichts sehnlicher wünschen, als zurück in die arme von mama, sich trösten lassen, fallen lassen, ganz klein sein, an ort und stelle einschlafen dürfen...

      so oft hab ich in letzter zeit gedacht, ich will nicht groß werden, erwachsen sein, verantwortung übernehmen, ich will das nicht. wieso versteht das keiner. manchmal gibt es tage, da sehe ich kleine kinder und am liebsten würde ich mitspielen, so tun, als wenn ich noch in der grundschule wäre.

      und dann merkt man plötzlich, dass die tür hinter einem zu ist und dass es noch viel mehr weh tut, wenn man durchs schlüsselloch guckt und sieht, wie es damals alles war.

      auch wenn ich es nicht weiß - ich glaube nicht, dass dieses gefühl immer gleich sein wird. ich glaube, es wird mal stärker und mal schwächer sein und mit der zeit wirst du zumindest lernen, es auszuhalten. ja, du wirst diese situationen aushalten, ganz bestimmt. denn du bist nicht mehr klein, sondern du hast viel kraft in dir, die dich dahin gebracht hat, wo du jetzt bist.

      ich würd dir gern noch viel mehr schreiben, aber es triggert mich selbst.

      viel kraft
      norsk_pike

      ausgeflogen.
      hej ihr drei,

      und vielen Dank für eure Antworten.

      Das mit dem Schlüsselloch ist eine sehr treffende Beschreibung @ norsk_pike... was mich gerade auch ein die eine Parabel von Kafka denken lässt, wo der Erzähler nach Hause kommt und im Dunkeln vorm Haus steht, ohne einzutreten, und drinnen den hellerleuchteten Raum sieht... hmm.

      @ Theo:
      Von meinem Freund in den Arm genommen werden kann diese Sehnsucht noch am ehesten stillen... das Seltsame ist, dass ich mich mittlerweile mit meiner Mom auch über unschöne Dinge reden kann, und wenn wir dann irgendwann beide mit Tränen in den Augen dasitzen, dann umarmt sie mich sogar. Eigentlich genau das also, nach was ich mich so verzehre... aber ich kann mich dann nichtmal richtig an sie anlehnen. Ich bleibe angespannt und kann es nicht genießen, dass sie mich umarmt... es ist mir sogar fast schon unangenehm, ohne dass ich wüsste, warum. :/

      @ kiwi:
      Mh, inwieweit das mit dem gemeinsamen Abendessen eine gute Idee wäre, weiß ich nicht... ich fürchte, das würde mir nur einmal mehr deutlich vor Augen führen, dass ich zwar die "Verpackung", also die Umgebung und die Handlung, wieder herstellen kann, aber den "Inhalt" - also die Geborgenheit - nicht. ?(
      Trotzdem versuche ich, soviel von früher festzuhalten wie nur irgend möglich... das war auch einer der Hauptgründe, dass ich letztes Jahr nach dem Abi nicht von daheim ausgezogen bin... lieber jeden Tag vier Stunden Fahrt auf mich nehme... wenn ich ausziehe, verkaufen meine Eltern das Haus, und dann kann ich nicht einmal mehr räumlich gesehen an den Ort meiner Kindheit zurückkehren. :/

      Crap...


      A.

      Hallo neontrauma

      die Umarmung von deiner Mutter ist dir unangenehm, weil es ungewohnt ist. Und vielleicht hast du das Gefühl es sei zu spät dafür.
      Als Kind hast du es mehr gebraucht.
      Dieses Loch ist da, wird oft noch spürbar sein aber lässt sich durch ein erfülltes Leben lindern. Durch Freunde, Partner, schöne Erfahrungen.

      Und was die Erinnerungen von früher angeht so hat man mir mal gesagt die kommen nur wenn man sie ausahlten kann. wenn du stark genug bist Erinnerungen zu ertragen.
      Dass die dich hart treffen steht außer Frage aber aushalten kannst du sie derzeit :) ich sehe das auch positiv

      ungeeignet
      Hey

      Um mal kurz das mit dem ausziehen und dem hausverkauf anzusprechen - ich würde das nicht nur negativ sehen, denn schließlich sind an diesem ort auch viele unschöne dinge passiert und es wird dich immer daran erinnern das du dort nich so viel Liebe bekommen hast wie du gebraucht hättest.
      Vielleicht kommt mit einem neuen haus/wohnung deiner eltern und dem abstand zu euch wenn du nich mehr daheim wohnst ja auch vielleicht ein bisschen anderes verhältnis zustande. verstehst du was ich mein?
      aber ich kann mich dann nichtmal richtig an sie anlehnen. Ich bleibe angespannt und kann es nicht genießen, dass sie mich umarmt... es ist mir sogar fast schon unangenehm, ohne dass ich wüsste, warum. :/

      Vielleicht angst wieder fallen gelassen zu werden?Dadurch das du nich so viel Liebe bekommen hast früher, fehlt die vielleicht auch das Gefühl dafür wie du damit umgehen sollst bzw. umarmungen annehmen kannst.
      Ich denke das is gerade bei deiner mutter bzw. eltern so weil sie es waren die das früher sonst nich gemacht haben.
      alles liebe
      Hm.

      Mag auch was über die Haussache sagen.
      Weil ich auch dabei bin, auszuziehen daheim- aus unserem Haus raus- an das ich mich so viele Jahre geklammert habe-
      Vielleicht verkaufen meine Eltern dann das Haus... mag sein-

      Mal zwei zusammengewürfelte- Teile deiner Texte:

      ich fürchte, das würde mir nur einmal mehr deutlich vor Augen führen, dass ich zwar die "Verpackung", also die Umgebung und die Handlung, wieder herstellen kann, aber den "Inhalt" - also die Geborgenheit - nicht.


      wenn ich ausziehe, verkaufen meine Eltern das Haus, und dann kann ich nicht einmal mehr räumlich gesehen an den Ort meiner Kindheit zurückkehren. :/


      Da kam mir der Gedanke- daß du die Verpackung halt noch hast... das Haus. Aber es geht doch vielmehr um Gefühle- und ich denke nicht, daß du diese "wiederherstellen" sollst- sondern neue Gefühle entwickeln solltest- verwandt mit den alten Gefühlen der Geborgenheit etc- aber nicht diese ehemaligen Gefühle wiederherstellen... das ist vorbei-
      Und das bleibt vorbei-

      Ja... so nä?
      Liebe Grüße
      Lheakind :)
      ... und das Meer von Funken sprüht... und den Himmel kühlt.
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