-Hikari-

      Ich will den Schmerz

      Ist es falsch den Schmerz zu wollen
      Warum sollt ich das nicht dürfen
      Warum sollt ich immer leben
      So wie ihr es gerne haben wollt

      Was könnt ihr dazu denn schon sagen,
      Wie wollt ihr wissen, wie’s mir grade geht
      Und wie viel Schlechtes ich mir wirklich tu,
      wenn ich mir die Haut zerschneid

      Ihr glaubt, ich schad mir selbst damit,
      Ihr habt ja keine Ahnung
      Ihr wisst, ich weiß es gut genug,
      um zu entscheiden was gefährlich ist.

      Denn eure Normen sind nicht meine,
      und ihr nennt sie auch nur so,
      weil ihr das süße Glück nicht kennt,
      wenn man den innren Schmerz von außen spürt.

      Mag sein, ich bin schon lange süchtig,
      den scharfen Stahl auf meiner Haut zu spürn
      Doch was ist schon ein bisschen Haut,
      für Glück, das mehr als 10 Sekunden hält

      Freitag, 27. April ´07

      RE: -Hikari-

      Dennoch

      Ich lach und weine innerlich
      Ich sprech und doch verschließ ich mich

      Ich lieb und hass euch dennoch für
      Ich hoff und schließe doch die Tür

      Ich bleib und wünscht ich ginge fort
      Ich leb doch ist mein Herz längst tot

      Ich hör doch bin gedanklich fern
      Ich klag und leide dennoch gern

      Ich renn und dreh mich doch im Kreis
      Ich tus obwohl ich’s besser weiß

      Ich wills und möcht es doch nicht nehmen.
      Und kämpf obwohl schon aufgegeben.

      Donnerstag, 21. Juni ’07
      Meine Freundin die Krankheit

      Was immer du versprichst,
      ich glaub es dir so oft,
      und bin doch manchmal ungewiss
      was hab ich mir erhofft,
      als ich dir geschworen hab,
      für nichts der Welt dich aufzugeben.
      Ich frag mich obs nichts andres gab
      In meinem hellen Leben.

      Wer war es der mich so zerstörte,
      sodass mein kleines Kinderherz,
      sanfte Worte nicht mehr hörte
      und fühlen konnte nur durch Schmerz.
      Der es letztlich dazu zwang,
      alle und sich selbst zu hassen.
      So nahm das Schicksal seinen Gang.
      Am Ende konnt es niemand fassen.

      Ein Lächeln, strahlend, unvergleichlich,
      wich leeren Augen, die nichts sehen,
      Liebe sucht man dort vergeblich,
      Auf den Grund sollt man dem gehen?
      Dann sucht in eurer eignen Seele,
      eure Worte ließen sie verzweifeln.
      Sie hebt sich selbst ein Messer an die Kehle.
      Wollt ihr wirklich nicht begreifen?

      Meine Liebsten hab ich aufgegeben,
      mein Glück, egal wie flüchtig.
      Sie konnten mir doch eh nicht helfen?
      Das alles sei doch nichtig?
      Wieso? Denn all das war mein Leben.
      Doch selbst wenn ich drum wein,
      von andren wird mir nicht vergeben,
      und nun bleibst mir nur du allein.
      Ich hab dir vertraut

      Ich hab dir vertraut, bedingungslos
      Hätt nie gedacht was geschehen könnt
      Du hast mich gebrochen, meine Welt zerschmettert
      Liest mich liegen zwischen all den Splittern

      Denkst du es lies mich unberührt?
      Was glaubst du wie ich mich fühlte
      Bist du denn herzlos, was trägst du für schuld?
      Wie rechtfertigst du was da geschehen?

      Der Schritt den du tatst war nicht grade klein
      Einer der größten für all meinen Hass
      Nicht gegen dich, doch viel mehr für mich
      Mein Körper war hiermit mein größter Feind

      Die heutigen Narben sind viel und verschieden
      Sie zieren die Haut aus mehreren Gründen
      Doch ganz sicher weiß ich es jetzt
      Nicht nur eine Narbe verdanke ich dir.

      Montag, 23. Juli ’07
      A Winter's Fairytale - (ACHTUNG: Triggergefahr)



      Der Winter hier dauert lange an.
      Es ist April und immer noch liegt der Schnee so dick wie vor 3 Monaten.
      Das schwarze Holz der Zäune und Bäume ist kaum noch durch die dichte, weiße Schneeschicht zu erkennen und dort, wo doch noch ein wenig Holz hervorblitzt, wird es von einer klaren Eisschicht überzogen.
      Die weiten schneebedeckten Wiesen sind fast nicht mehr von dem hellen Grau des Himmels zu unterscheiden, der obwohl er verhangen ist, keine einzige Schneeflocke herabsegeln lässt.

      Ich stehe schon lange hier, warte, wie ich es schon so oft getan habe.
      Vor mir ein kleiner Hof, etwas abgeschieden, wie es die Höfe hier in der Umgebung alle sind, wobei dieser hier nur etwa 10 km entfernt vom nächsten Dorf liegt.
      Ein schönes ruhiges Dorf mit hübschen kleinen Häusern und einer kleinen Dorfkirche, einem Marktplatz, auf dem sich jeden Mittwoch und Samstag die Marktfrauen tummeln, um miteinander zu schwatzen und ihre Waren zu verkaufen.
      Ein ganz gewöhnliches Dorf eben, mit ganz gewöhnlichen Menschen.

      Ich stehe ein paar Meter entfernt von dem Haus.
      Die Zeit, die ich hier schon warte ist nicht wichtig. Denn ich habe alle Zeit der Welt.
      Und wo würde ich meine Zeit lieber verbringen als hier?

      Schließlich öffnet sich die Türe des kleinen Hofes.
      Mein Blick ruht ruhig auf dem Mädchen, das gerade heraustritt.
      Unsere Blicke treffen sich, ein flüchtiger Moment, nur einen Wimpernschlag lang, schon wendet sich ihr Blick in eine andere Richtung.

      Warum schaffst du es nicht, mich anzusehen?
      Sonst hast du mir doch auch immer in die Augen geschaut. Wohl gemerkt, jedes mal mit einem anderen Ausdruck. Mit Liebe, mit Hass, mit Trotz, mit Vertrauen, mit Angst oder Verzweiflung.

      Ah...ich weiß, warum du es jetzt nicht schaffst. Heute ist unser gemeinsamer Tag, nicht wahr?
      Ja, ich sehe es dir an.

      Wie du da stehst, in deinem knielangen Unterkleid, weiß, außer ein paar Flecken von der Arbeit, ein wenig Ruß und Schmiere aus der Küche.
      Deine Füße sind nackt.
      Hast du es nicht mehr ausgehalten in deinen Kleidern? Deiner Verkleidung, deiner Maske?

      Dein Blick ist immer noch gesenkt und du setzt deine hübschen, schmalen Füße in den Schnee. Einen nach dem anderen.
      Du hinterlässt kleine Spuren im Schnee, fast wie ein Schneehase, der im Winter über die makellose Eisdecke jagt.

      Schließlich stehst du vor mir. Du hast deine Arme um dich geschlungen, wie ein kleines Kind, denn obwohl du es mit aller Macht zu unterdrücken suchst, sehe ich doch wie du zitterst. Dir ist kalt.
      Deine schwarzen Locken umrahmen schmeichelnd dein hübsches, herzförmiges Gesicht, auf dessen einer Wange noch die letzten Spuren eines bl*tergusses zu erkennen sind.
      Letztendlich hebst du doch den Blick, um mir in die Augen zu sehen.
      Es überrascht mich nicht, was ich darin lese. Ich sagte doch, dass ich weiß, welcher Tag heute ist.

      Mein Blick folgt dir, als du dich abwendest und an mir vorbei gehst.
      Unser gemeinsamer Weg führt uns zu einem kleinen Schuppen, in dem Werkzeug, Holz und andere Geräte aufbewahrt werden.
      Du hältst in einigem Abstand an und starrst auf die kleine Hütte.
      Ich brauche dich weder zu fragen, warum du hier stehst, noch ungeduldig sein.
      Denn ich war oft mit dir hier.

      Ich weiß, was in dir vorgeht. Ich weiß, dass es dir scheint als würde dieser Schuppen schreien.
      So schreien, wie du es getan hast.

      Kannst du dich daran erinnern als du im dunklen Inneren lagst?
      Als die Türe geschlossen wurde. Ohne Licht, nur der modrige Geruch der feuchten Holzwände und diese zerreißende, kreischende Stille um dich herum?
      Wie du auf dem erdigen Boden lagst, zusammengekauert, wie ein kleines verängstigtes Kind.
      Aber was rede ich. Du bist ein Kind, nicht wahr?

      Ich weiß, ich bin grausam. Aber vergiss nicht, dass es immer noch du warst, die entschieden hat hierher zu kommen. Zu mir. Zu diesem Ort.

      Und ich war immer bei dir.
      Weißt du noch, als du anfingst zu schreien, gegen die Tür zu schl*g*n und dich gegen die Wände zu werfen; als du dir deine Fingernägel abbrachst, wenn du an der Tür und dem Boden kratztest.
      Als du auf den Knien gegen den Tisch lehntest und dir den Kopf dagegen schlugst. Geschüttelt von Schluchzern und Lachen zugleich.

      Ich saß dir immer gegenüber. Ohne das kleinste Zucken habe ich dich angeschaut, deine vor schm*rz und Wahnsinn verzerrte Miene. Bis du irgendwann auf dem Boden lagst, reglos, ohne einen Laut von dir zu geben.
      Und nach einer schier endlosen Stille, beugte ich mich über dich, um dir die feuchten verklebten Strähnen aus der Stirn zu streichen, um mit einem Finger langsam die Konturen deines engelsgleichen Gesichts nachzufahren, solange bis ich mich ganz nah zu dir beugte, um dir drei Worte zuzuflüstern.
      „Du lebst noch.“

      Ich habe doch recht, nicht wahr?
      Das war es doch, unsere gemeinsame Erinnerung, die hier so schwer auf diesem Ort lastet, und dich wie erstarrt für Minuten hier verweilen lässt.

      Du wendest deinen Blick ab, setzt deine nackten Füße weiter durch die weiche, nachgiebige Schneedecke.

      Ich lasse dir einen kleinen Abstand, in dem ich dir an den weiten Zäunen vorbei folge, welche den ganzen Hof und die Koppel eingrenzen.
      Deine Schritte lenken dich in Richtung Wald, während du deine Arme immer noch fest um dich geschlungen hast.

      Deine Gedanken sind immer noch nicht bei mir. Wo sind sie jetzt? Ich weiß es manchmal auch nicht.
      Siehst du, selbst ich bin nicht allwissend, auch wenn du manchmal überzeugt davon bist. Oder wünschst du dir das? Das ich allwissend bin, dass es eine Wahrheit gibt und ich sie dir bringen werde? Ich muss schmunzeln.

      Eigentlich eine Seltenheit, dass du so lange in Gedanken versunken bist, oder?
      Versteh mich nicht falsch. Ich weiß wie oft du in dir selbst versunken bist. Schließlich habe ich dich schon so oft begleitet, wenn du dich selbst als Gefängnis wähltest.
      Ein selbst auferlegter Käfig ist besser, als ein aufgezwungener, nicht wahr?

      Doch dies hier ist anders. Du bist hier, bei mir, nicht in irgendeiner Illusion, einer Scheinwelt gefangen, sondern einfach in Gedanken. Wie selten das ist, dass du klare Gedanken fassen kannst, nicht verrückt wirst beim bloßen Versuch, sich die Gedanken nicht wie bei einer Hetzjagd überschlagen zu lassen.

      Dein linkes Bein hinkt.
      Ich schaue hinunter.
      Ein Stück Stacheldraht lugt unter deinem Fuß hervor.
      Er muss schon einige Minuten in deinem Fuß stecken, denn diese Art Zaun gibt es nur auf dem Acker, über den wir gelaufen sind.
      Ein Blick über meine Schulter bestätigt mich.
      Eine dünne bl*tspur leuchtet rot im Schnee, überall dort wo deine Fußspuren zu sehen sind.
      Ich muss an Kaninchenjagd denken.

      Hast du es vorhin nicht gemerkt als sich die metallenen Haken in dein Fleisch bohrten?
      Kein W*nd*r. Deine Füße sind bereits blau angelaufen von der Kälte. Du wirst sie kaum noch spüren, vielleicht ein leichtes Stechen noch durch die Taubheit hindurch, aber sonst nichts.

      Du läufst weiter als sei nichts, humpelst nur ab und an ein paar Schritte.
      Keinen einzigen Blick wirfst du nach unten, auf die W*nd*.
      Aber was rede ich, du hast ja Recht. Entschuldige.
      Was sollte dich dies jetzt noch kümmern?

      Um uns herum ragen die mächtigen Tannen auf, ganz in schwarz und nur durch den pulvrigen Schnee auf ihren Kronen von einander zu unterscheiden.
      Doch obwohl sie den Waldweg, auf dem wir wandern, fast vollständig von den matten Sonnenstrahlen abschirmen, ist es hier nicht dunkel.
      Denn der viele Schnee um uns herum reflektiert jeden noch so kleinen Lichtstrahl.

      Unser Weg ist noch nicht zu Ende. Das ist er nie, oder?
      Wie oft hast du dir schon gewünscht, er möge zu Ende sein?
      Das Lächeln, dass sich auf meine Züge legt, wird von einem stummen Seufzen begleitet.

      Du setzt den ersten Schritt auf eine kleine Brücke.
      Spiegelglatt ist das modrige Holz und du legst eine Hand auf das Geländer, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

      Ich bleibe am Ufer des gefrorenen Baches stehen, schaue mit dir zusammen auf das glatte Eis.

      Erinnerungen kommen in dir, wie auch in mir auf.
      Vor 7 Jahren trafen wir uns hier zum ersten Mal…..

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von „-Hikari-“ ()

      ~7 Jahre zuvor~

      Das Wasser des kleinen Baches funkelt in den warmen Sonnenstrahlen.
      Überall ist der Frühling zu spüren, in der Luft liegt der Duft von Tannen und frischem Gras.
      Es ist noch nicht spät und somit ist es noch angenehm kühl hier.
      Sogar Tau findet sich noch an manchen Büschen am Bachufer.
      Vogelgezwitscher hallt von den Baumkronen wider, in denen sich bereits Nester mit Jungen finden. Dazwischen Kindergelächter.
      Zwei kleine Mädchen sitzen am Ufer des plätschernden Baches.
      Die Kleider hochgezogen, springen sie lachend im kühlen Wasser umher, spritzen sich gegenseitig nass, um voreinander davonzulaufen.

      Ich sitze einige Meter entfernt, an einem Hang, beobachte die Beiden nur schweigend.

      Nach einiger Zeit sitzen sie fröhlich auf den schwarzen Kieselsteinen des Ufers, reden und kichern miteinander.
      Sie sind beide noch sehr jung, wahrscheinlich die Töchter, der angrenzenden Höfe, denn aus der Stadt kommen die Kinder nur selten so weit hier raus in den Wald.
      Eines der Mädchen taucht ihre Hände erneut ins Wasser, spielt mit einigen der dunklen Steine. Ihre goldenen Haare strahlen gerade zu im Sonnenlicht, während ihre dunklen grünen Augen aufgeweckt über die Wasseroberfläche gleiten.
      Ihre Freundin sitzt immer noch am Ufer, lässt sich nach hinten fallen um hinauf zu den Baumkronen zu blicken. Das Sonnenlicht, das durch das dichte Blätterdach fällt, tanzt in hellen Flecken über ihren Körper.
      Ihre dunklen Augen blicken neugierig und aufgeweckt in den Himmel, sie hebt eine Hand ab und an über die Augen, wenn die Sonne sie blendet.
      Ein süßes Lächeln umspielt ihre Lippen, während sie da liegt und dem rauschenden Bach und den Vögeln lauscht.
      Schließlich lässt sich ihre blonde Freundin wieder neben ihr auf den Boden fallen, hebt ihr mit einem fröhlichen Lächeln eine geschlossene Hand vor das Gesicht.
      VerW*nd*rt blinzelt sie, setzt sich auf und schaut nur fragend auf die Hand, die sich öffnet und einen kleinen Flusskrebs freigibt.
      Das Mädchen springt quietschend auf, während ihre Freundin wieder herzhaft lacht.
      Ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht, während ich ihnen weiterhin zuschaue.
      Nach einer Weile stehen beide wieder auf.
      Ich schaue interessiert zu, frage mich, was sie nun vorhaben.
      Irgendwie scheinen sie so unbeschwert, so frei, so glücklich mit dieser Welt, die ihnen noch nicht ihre Schattenseiten gezeigt hat.
      Sie fangen an, verstecken zu spielen.
      Das schwarzhaarige Mädchen hebt sich die Hände vor die Augen, beginnt zu zählen, während das andere so schnell sie ihre kleinen Füße tragen in den Wald rennt.
      Sie zählt bis 100. Dann öffnet sie die Augen, sieht sich flüchtig um und läuft ebenfalls in den Wald.
      Ich stehe auf, beschließe ihnen zu folgen, um ein wenig weiter zu zuschauen; mein Herz noch etwas von dieser kindlichen Unbeschwertheit erfüllen zu lassen.
      Sie läuft schnell durch den Wald, sucht alles nach ihrer Freundin ab.
      Anscheinend haben sie einen abgegrenzten Bereich für dieses Spiel.
      Denn immer wieder an einigen Stellen hält sie an, läuft zurück und sucht dort weiter.
      Aber verstecken spielen in diesem gesamten, riesigen Wald, wäre wohl auch etwas langweilig.
      Ich stehe in einigem Abstand und schaue zu wie sie sich umdreht, in meine Richtung läuft.
      Plötzlich bleibt sie stehen, schaut direkt in meine Richtung.
      Sieht sie mich an?
      Sie läuft noch ein paar Schritte auf mich zu, lächelt mich an.

      „Wer bist du?“
      Ihre hübsche melodische Stimme dringt an mein Ohr.

      Du kannst mich sehen, Kleine?

      Ich lächle etwas verdutzt zurück, gehe vor ihr in die Hocke, als sie direkt vor mir steht.
      „Ich bin ein Freund.“
      Sie legt den Kopf schief, blinzelt ein paar mal, scheint zu überlegen, bevor sie doch wieder fröhlich lächelt, mich an der Hand nimmt und plötzlich mitzieht.
      „Komm! Du kannst mir suchen helfen!“
      Etwas überrascht von dieser Reaktion, lasse ich mich mitschleifen.

      Vertraust du mir so sehr?

      Wir laufen lange durch den Wald.
      Ich halte dich an deiner Hand, lasse dich immer mal wieder los, wenn du gespannt zu einer Gruppe von Büschen oder Felsen läufst, wo du deine Freundin vermutest.
      Doch du kommst jedes mal enttäuscht zurück.
      Die Minuten verrinnen.
      Wir laufen einen kleinen schmalen Pfad entlang, als wir zu einer Lichtung gelangen.
      Blumen blühen überall auf ihr, leuchten in den Sonnenstrahlen in allen erdenklichen Farben.
      Du lässt bereits meine Hand los, willst dorthin laufen, um ein paar von ihnen zu pflücken.
      Doch ich horche auf, verspanne mich leicht. Ich höre Vögel in der Ferne aufschrecken, das Geräusch von Schritten, das leise Knirschen von Gras unter schweren Schuhen.
      Dinge, die weder du, noch andere wahrnehmen.

      Ich packe dich fest an der Hand, ziehe dich zurück zu mir.
      Du schaust überrascht zu mir auf. Deine großen Augen spiegeln Verwirrung wider.
      Bevor du zu einer Frage ansetzen kannst, ziehe ich dich hinter die großen Bäume, presse dich an mich und halte meine Hand über deinen Mund. Ein Zeigefinger legt sich auf meine Lippen, bedeutet dir, still zu sein.
      Deine Bewegungen erstarren.
      Du stehst ruhig atmend an mich gelehnt, dein kleines Herz schlägt schnell, weißt nicht was das Ganze soll.

      Ich weiß, du wolltest nur zu den Blumen, aber warte noch einen Moment.

      Die Schritte werden lauter, Äste knacken.
      Nun hörst auch du sie.

      Es ist nicht deine Freundin.

      Ich schaue an den Bäumen vorbei auf die Lichtung, betrachte mit ruhigen Augen den Mann, der gerade quer durch die Blumen stapft. Ein dunkelbrauner, verschmutzter Mantel liegt auf seinen Schultern, die dunklen Hosen die er trägt, weisen einige Löcher auf und sind an vielen Stellen bereits abgenutzt.
      Meine Arme legen sich enger um dich, drücken dich schützend gegen mich.

      Seine Augen suchen kurz grimmig die Lichtung ab. Er bleibt kurz stehen, als würde er nach etwas suchen. Sein Gesicht ist voller Dreck, wie der Rest von ihm. Schwarzer Schmutz hängt unter seinen Fingernägeln und sein Gesicht ist von dunklem Bartwuchs bedeckt, der bereits einige graue Strähnen aufweißt.
      Wir beide verharren in unserer Position, atmen ruhig, bis wir wieder Schritte hören, das Geräusch von Gebüsch, durch das sich jemand einen Weg bahnt.
      Einige Momente später ist er verschW*nd*n.
      Ich nehme meine Hand von deinem Mund.
      Du schaust mich sofort fragend an, verstehst immer noch nicht recht. Auf meinem Gesicht legt sich ein beruhigendes Lächeln und ich streichle dir sanft durch die Haare.

      „Lass uns woanders suchen. Deine Freundin ist hier sicher nicht.“

      Du schaust mich noch einen Moment unsicher an, scheinst zu überlegen, bevor sich schließlich ein breites Lächeln auf dein Gesicht legt.
      Ein Nicken und du greifst wieder nach meiner Hand, an der ich dich in die entgegengesetzte Richtung führe. Wir suchen das restliche Stück ab, gehen noch ein wenig weiter als den Bereich, den ihr ausgemacht hattet.
      Doch es wird dunkel. Wir finden sie nicht und du schaust dich traurig um, hältst meine Hand etwas fester.

      Wir sollten jetzt nachhause gehen, das weißt du auch. Es ist schon spät und wenn wir nicht bald gehen, wird es sicher Ärger zuhause geben. Ich ziehe etwas an deiner Hand, bis du wieder aus deinen Gedanken aufschreckst, mich anlächelst und mit mir zusammen zurück läufst.
      Wir schweigen.

      Fragst du dich, ob sie bereits zuhause ist?

      Als wir im Dorf ankommen, ist es dunkel.
      Doch es br*nn*n Lichter, als wir über die Koppel zu deinem Hof laufen. Stimmengewirr ist zu hören. Als wir näher kommen, sehen wir eine kleine Menschenmenge, Frauen und Männer vor deiner Haustür stehen. Sie scheinen aufgebracht. Manche weinen. Du siehst es aus dieser Entfernung nicht. Vielleicht ist das auch ganz gut so. Du wirst es früh genug sehen.
      Wir bleiben stehen und ich lasse deine Hand los.
      Deine großen, dunklen Augen schauen mich fragend an.

      „Nein, ich werde nicht mitkommen. Es ist nicht gut wenn sie mich sehen.“

      Du schaust immer noch verwirrt, lächelst aber, bevor du einen kleinen Knicks machst und winkend über die Koppel zu deinem Hof läufst.

      Es ist nicht gut wenn sie mich sehen.

      Eine kleine Lüge.
      Denn ich weiß, außer dir werden sie mich alle nicht sehen können.

      Ich bleibe stehen, wo ich bin. Beobachte, wie du zu deinen Eltern und deinem älteren Bruder läufst.

      Als sie dich sehen beginnt deine Mutter, deinen Namen zu rufen. Tränen laufen in unaufhaltsamen Strömen an ihren Wangen hinunter. Sie schließt dich in ihre Arme, streicht dir über deine Haare, drückt dich fest an sich, so, als hätte sie dich Jahre lang nicht gesehen, wie ein verloren geglaubter Schatz.
      Du bist verwirrt, entschuldigst dich, dass du so spät erst kommst. Deine Mutter hört nicht auf zu weinen.
      Du fragst was los sei, was passiert ist.
      Niemand antwortet. Deine Mutter schluchzt weiter.
      Alle schweigen, schauen betreten zu Boden.
      Dein Blick fällt auf eine andere Frau.
      Sie krallt sich an ihren Mann, ihr Gesicht an seiner Brust vergraben.
      Sie weint auch, doch scheint sie nicht erleichtert über deine Ankunft, so wie deine Eltern.
      Du erkennst sie. Es ist die Mutter deiner Freundin. Sie hat dieselben goldenen lockigen Haare wie sie.
      Ja, deine Freundin. Wo ist sie?
      Du fragst sie.
      Keine Antwort.
      Du schaust dich um. Alle sind hier. Deine Eltern, die deiner Freundin, der Pfarrer, der Bürgermeister, einige andere hohe Männer des Dorfes.

      Wieso antwortet dir niemand, fragst du dich.
      Dein Blick wandert weiter. Zu einem Wagen. Ein Tuch ist darüber gelegt, wahrscheinlich ist es ein erlegtes Tier, das die Männer von der Jagd mitgebracht haben.
      Die Form könnte stimmen.
      Doch dein Blick gleitet weiter hinunter und du bemerkst eine Hand, die darunter hervorlugt.
      Eine weiße, kleine Hand. Leblos.
      Ohne nachzudenken, reißt du dich aus der Umarmung deiner Mutter, rennst zu dem Wagen.
      Man versucht, dich aufzuhalten, festzuhalten - fernzuhalten von dem Wagen.
      Doch du bist schneller. Das Tuch fällt vom Wagen.
      Du hattest Recht!
      Sie ist es. Die Augen geschlossen, schneeweiß, das goldene Haar in Wellen um ihren Kopf liegend. Sie ist nackt.
      Schläft sie?

      Gedanken raßen durch deinen Kopf. Wieso schläft sie dort? Das muss doch unbequem sein auf dem harten Wagen zu schlafen. Sie muss doch schlafen, was sollte sie sonst tun auf diesem Wagen. Aber wieso schläft sie? War sie so müde vom Verstecken?
      Wieso ist sie schon hier?
      Dein Blick gleitet über ihren Hals. Dunkle rote Male zieren ihn.
      Du weißt nicht, wie lange es dauert, es scheint dir unendlich lange, bis die anderen dich von dem Wagen wegziehen. Erneut schließt dich deine Mutter in ihre Arme, murmelt dir beruhigende Worte ins Ohr. Du hörst sie nicht, starrst immer noch auf den Wagen, auf deine schlafende Freundin; siehst, wie sie wieder unter dem großen Tuch verschwindet.
      Alle schauen schweigend und mitgenommen auf den Boden.
      Wissen nicht, wie sie reagieren sollen.
      Es wird noch eine lange Nacht werden.
      Für alle.

      Ich stehe immer noch an meinem Platz auf der Koppel.
      Beobachte die Szene von weitem.
      Plötzlich spüre ich eine sanfte Berührung an meiner Hand.
      Ich sehe hinunter. Ein kleines Mädchen mit goldenen langen Haare und blauen Augen.
      Sie sieht mich abwartend an. Ich lächle.

      Stimmt, ich habe noch was zu tun.
      „Keine Angst. Ich bringe dich nachhause.“

      Ich nehme sie an der Hand, geleite sie weg von hier zu einem anderen, einem besseren Ort.
      Sie schaut sich noch einmal um, zu dem Hof. Sie scheint traurig, aber sie lächelt. Sie winkt ihnen zu. Sie werden es nicht sehen können.

      Als wir über die Straße laufen, kommen wir an einem Fahndungsbrief vorbei.

      ‚Kinderschänder gesucht.’
      Darüber ein Bild eines schmutzigen, heruntergekommenen Mannes. Mein Griff um die Hand des Mädchens wird fester und ich lächle sie erneut an.

      Wir müssen los.

      Ein letzter Blick zurück.

      Keine Angst. Du wirst sie alle wieder sehen. Irgendwann.

      ~*~

      Du verweilst nicht lange an der Brücke, willst nicht zurückdenken an das, was damals passiert ist. Das willst du nie, doch die Vergangenheit holt dich immer wieder ein.
      Als würde sie sich wiederholen, zeigt sie dir immer wieder auf, dass Vergangenes nicht immer vergangen sein bedeutet.

      Als der Wald sich lichtet, kommen wir an einem kleinen Abhang zu stehen.
      Du steigst nun den Abhang hinunter, versuchst dich an ein paar Pflanzen festzuhalten, doch ich weiß schon, wohin das führen wird.
      Einen Moment später sehe ich dich auch schon abrutschen, du stürzt, rutschst auf dem erdigen, mit kantigen Steinen versehenen Boden noch ein Stück, bis du dort liegen bleibst.
      Ich steige den Abhang mit leichten, eleganten Schritten hinunter, bleibe bei dir stehen.
      Du liegst noch immer da, die Arme neben dem Kopf, die Beine leicht angewinkelt und das Gesicht nach unten auf den kalten Steinboden gepresst. Ich gehe neben dir in die Hocke, betrachte dich schweigend einige Momente.

      Ein Engel.

      Du bist eine der wenigen, die ich so beschreiben würde.
      Unschuldig, weiß, schön, rein, erhaben und doch verloren, gejagt, verlassen, befleckt, verdammt, gequält, zerschmettert - gebrochen.

      Dein Körper zittert noch immer, doch du bewegst dich, ziehst die Beine an, stützt die Arme auf den Boden und drehst dich keuchend herum. Du bist erschöpft. Mit aller Kraft setzt du dich schließlich auf, lehnst dich mit dem Rücken gegen die felsige Wand des Abhangs hinter uns. Deine Augen strahlen eine Leere und Müdigkeit aus, dass ich das Gefühl habe, mich in ihnen zu verlieren. Wie zwei Brunnen, unergründlich.
      In mir kommt der Wunsch auf, in sie einzutauchen, um zu erfahren was auf ihrem Grund liegt.
      Meine Hand sucht die deinige, findet und umschließt sie sachte, führt sie zu meinen Lippen.
      Es ist nur eine kurze Berührung, einem Windhauch gleich, als sich meine Lippen auf deinen Handrücken legen.
      Dennoch schmecke ich den leichten Kupfergeschmack, der von deiner SchürfW*nd* stammt. Ich setze weitere Küsse darauf bis meine Lippen bl*tig sind, erst dann gebe ich deine Hand wieder frei.
      Deine Augen schauen mich hoffnungslos verzweifelt an.

      Was wünschst du dir von mir?

      Ich weiß, was es ist.
      Doch ist dies wirklich dein Wunsch, dein innigster?
      Eigentlich weiß ich auch dies, ich sollte nicht fragen.

      Ich werde ihn dir erfüllen.

      Meine Hände versuchen inzwischen, deinen bl*tverschmierten Fuß von dem Stacheldraht zu befreien. Das scharfe Metall hat sich tief verhakt, aus diesem Grund versuche ich, es so vorsichtig wie möglich herauszuziehen, um die W*nd* nicht noch tiefer einzureißen.
      Du weichst zurück, schaust mich verschreckt an.Du bist nicht gewohnt, dass sich jemand um deine v*rl*tzungen kümmert, nicht wahr?
      Auch von mir nicht.
      Ich halte deinen Fuß sanft aber bestimmt fest.
      Die bl*tung hat bereits gestoppt, es ist nicht nötig, das Ganze zu verbinden.
      Ich setze deinen Fuß zurück auf den gefrorenen Boden.

      Wir sitzen noch eine Weile da.
      Du erschöpft gegen die Felswand hinter dir gelehnt, ich immer noch vor dir in der Hocke.
      Dein Blick ist genau auf mein Gesicht gerichtet, doch ich weiß, du siehst mich nicht.
      Du blickst durch mich hindurch.
      Deine Gedanken sind längst wieder wo anders.

      Ich kann warten.
      Du weißt, ich lasse dir alle Zeit, denn du brauchst sie jetzt.

      Wir sitzen eine kleine Ewigkeit so da.
      Ich weiß nicht wie lange, doch irgendwann richtet sich dein Blick wieder auf mich und ich sehe den festen Entschluss in deinen Augen.

      Du bist wieder hier.
      Ohne ein Wort raffst du dich auf, ziehst dich an einem Baum hoch und bleibst kurz dagegen gelehnt. Du schwankst leicht. Die Kälte zeigt ihre Wirkung mit all ihrer Kraft. Du schaust auf.
      Dein Blick weilt verW*nd*rt auf meiner Hand, die ich dir entgegenstrecke.
      Ein kurzes Zögern, dann greifst du lächelnd nach ihr, krallst deine Finger feste in meine.
      Mit einem sanften Lächeln führe ich dich weiter.

      Hab keine Angst unser Weg wird bald zu Ende sein.

      Du hast solange auf diesen Moment gewartet und doch spüre ich in dir... Zweifel?
      Nein... keine Zweifel.
      Doch Furcht und schm*rz.

      Es wird bald vorbei sein, glaube mir.
      Es wird ein Ende haben.

      Wir laufen schweigend weiter, bis sich der Wald vor uns erneut lichtet.
      Wir stehen an einem See, eisbedeckt.
      Der Himmel ist verschleiert und doch schaust du hoffnungsvoll hinauf, als würde er jeden Moment strahlende Sonnenstrahlen durchbrechen lassen. Deine Hoffnung wird enttäuscht.
      Nur das dichte, verwischte Grau breitet sich vor uns über den Himmel aus.
      Du senkst den Kopf, atmest noch einmal tief durch bevor du schließlich meine Hand loslässt, sie vor dir mit deiner eigenen verschränkst, so als hieltest du es nicht aus niemanden zu haben, der deine Hand hält.

      Du setzt den ersten Fuß zitternd auf das Eis, dann den zweite und hältst inne.
      Deine Augen ruhen auf der glatten, dicken Eisschicht unter dir.
      Glatt wie ein Spiegel.
      Siehst du dich im Eis?
      Zeigt es dir dein Spiegelbild?
      Ja das tut es.
      Ich sehe es an deinen Augen.
      Wie sie vollkommen auf das gefrorene Wasser fixiert sind.
      Du siehst dich selbst darin, nicht wie sonst in einem gewöhnlichen Spiegel.
      Mit einem Mal fließen dicke Tränen deine bleichen Wangen hinunter und du zitterst am ganzen Leib.

      „Bin ich das?“ Ein leises Flüstern, kaum hörbar.

      Ja, das bist du.

      Das bist du allein, ohne Trug, ohne Schein, ohne Illusion.
      Du siehst dich selbst.
      Zum ersten mal? Vielleicht.
      Erträgst du es?
      Es tut weh sich selbst zu sehen, doch der schm*rz ist wichtig, das weißt du selbst.
      Damals hast du Spiegel gehasst, sie manchmal in deiner Verzweiflung sogar zerschlagen. Doch dies wurde nicht geduldet. Es wurde so vieles nicht geduldet.
      Immer schm*rz.
      Also unterdrücktest du alles in dir.
      Doch Wut und Verzweiflung müssen sich irgendwann entladen, nicht wahr?
      Ach, wie du Spiegel doch gehasst hast. Du hast alles gehasst. Dein Spiegelbild, dein geschundenes Gesicht, die N*rb*n. Du hasstest deine Existenz.

      Du hebst erneut den Blick, lässt ihn über den See schweifen.
      Im Winter laufen hier normalerweise viele Schlittschuh, doch obwohl es noch kalt ist, ist das Eis zu dieser Jahreszeit nicht mehr dick genug, um das Gewicht zu tragen.
      Einige Meter entfernt ist ein Steg, etwas modrig. Im Sommer benutzen ihn oft die Kinder, um in das kühle Nass zu springen oder sich rangelnd gegenseitig hineinzubefördern.
      Sowieso ist hier im Sommer viel Leben.
      Familien picknicken mit ihren Kindern am Ufer; Mädchen und Jungs der umliegenden Dörfer sonnen sich und plaudern, während die Älteren ihre Bahnen schwimmen.

      Selbst abends findet man hier noch Menschen.
      Paare, frisch verliebt, die in der Abgeschiedenheit hier draußen Arm in Arm beieinander sitzen. Besonders hier brauchen sie ihre Liebe nicht verheimlichen oder Distanz wahren.
      Hier auf dem Land ist es eigentlich nicht gern gesehen wenn sich Jugendliche näher kommen.
      Hier ist vieles nicht gern gesehen.

      Du setzt kleine Schritte voran, vorsichtig, zögernd um nicht auszurutschen.
      Ich warte am Ufer, schaue dir zu wie deine Füße dich immer weiter aufs Eis hinaustragen.
      Du bleibst stehen.
      Ich warte, als du dich noch einmal zu mir umdrehst und ich sehe etwas, was ich nicht mehr geglaubt hätte, jemals wieder zu sehen.

      Leises Knacken durchbricht die Stille.

      Ein warmes Lächeln umspielt deine Mundwinkel, als du mich anblickst.
      Ein Lächeln, das ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe.
      All die Bilder, Szenen, Momente, Augenblicke, die ich schon längst vergessen glaubte, flackern vor meinem geistigen Auge auf.
      Worte, Gesten, Berührungen, Schreie, Lachen.

      Ich sehe die Risse unter dir im Eis.

      Wie lange dauert dieser Moment bereits an?
      Dein Bild brennt sich in mein Gedächtnis, wie keines je zuvor. Drei Worte durchbrechen die Stille um uns, kaum zu hören, doch ich vernehme sie klar und deutlich.

      „Danke, mein Engel.“

      Sie hallen in mir wieder, als ich meine Augen schließe.

      Das Eis bricht.

      Stille.

      Mein Atem ist ruhig als ich spüre, wie sich deine Worte in mir verlieren.
      Eine einzige Schneeflocke segelt herab als ich wieder aufblicke. Die Wolkendecke tut sich auf und über mir ist wieder ein Stück des klaren blauen Himmels zu erkennen.
      Ich lächle und sanfte Worte verlassen meine Lippen.

      „Happy Birthday, mein Herz.“

      Meine letzten Worte an dich.

      Plötzlich ein entsetzter Schrei. Oder panisch?
      Eine Frau steht am Waldrand, die Hände vors Gesicht g*schl*g*n. Kurz darauf rennt sie so schnell sie ihre Füße tragen können an das Ufer des Sees. Ihre geflochtenen schwarzen Haare wehen in der kühlen Luft, während der lange Rock vom Wind aufflattert.
      Hinter ihr zwei Männer. Einer bereits älter, von großer Statur, ein anderer um die zwanzig herum Nun geht alles sehr schnell; beide Männer hechten aufs Eis, einer bricht ein, taucht unter, während der andere auf dem dickeren Teil des Eises kniet.
      Endlos scheinende Sekunden verrinnen, bis der ältere Mann wieder auftaucht; ein nasses blasses Bündel in seinen Armen.
      Ich warte regungslos. Meine Augen ruhen auf der Frau.
      Sie weint, bricht am Ufer zusammen.
      Entsetzen, Angst, Verzweiflung stehen in ihrem Gesicht geschrieben.

      Sie ist dir ähnlich, meine Kleine.

      Es dauert nicht lang, da ziehen sie dich ans Ufer, legen dich nieder.
      Tränen, Gestreite, Vorwürfe, Verzweiflung.
      Du spuckst Wasser, hustest.

      Und - du atmest!

      Erleichterung mischt sich unter die Emotionen im Gesicht deiner Mutter.
      Sie hält dich fest an sich gedrückt, murmelt verzweifelt Worte in dein Ohr, streicht dir durch das schwere, nasse Haar. Auch auf den Gesichtern der Männer ist Erleichterung zu sehen.
      Der Jüngere weint, der Ältere kämpft noch dagegen an, hat eine Hand auf deiner Schulter liegen. Er ist genauso nass wie du, zittert in der Kälte. Doch es scheint ihm nichts auszumachen.

      Und du?
      Du scheinst geschockt.
      Blickst von einem Gesicht in das andere, hattest du doch damit gerechnet nie wieder aufzutauchen, nie wieder das Licht dieser kalten Welt erblicken zu müssen. Doch auch dir rollen nun Tränen die Wangen herunter, klammerst dich schutzsuchend in die Bluse der jungen Frau.

      Ich drehe mich um.
      Was nun kommt, mein Herz, liegt nicht mehr in meiner Hand.
      Ich habe dich begleitet bis hierher. Bis zum Ende. Du schaust mir hinterher. Ich spüre es.
      Ich weiß auf deinem Gesicht steht Verwirrung geschrieben.
      Du suchst eine Antwort.

      Nun, ich habe dir versprochen, deinen Wunsch zu erfüllen.
      Und das war es doch, was du wolltest, nicht wahr? Dein sehnlichster Wunsch.
      Es war nicht die erbarmungslose Kälte des Eises -es war die Wärme einer Berührung; die Bedeutung einer einzelnen besorgten Geste, der kurze Moment gemeinsamen Schweigens - das unbeschreibliche Glück geliebt zu werden.

      Ich werde nun gehen, mein Herz, auf dass du glücklich und mich nie wieder brauchen wirst.

      ~*~

      Wir alle spielen ein Spiel; ein Spiel, das widersprüchlicher nicht sein könnte.
      Wir gewinnen und verlieren zur selben Zeit; wir müssen Dinge aufgeben um andere zu bewahren und manchmal möchten wir alles aufgeben, nur, um uns selbst zu bewahren.

      Und das grausamste an diesem Spiel ist, dass die Entscheidung aufzugeben allein bei uns liegt, obwohl wir die nächsten Züge nicht voraussehen können.
      Denn wir kennen das Spielfeld nicht.

      Trotz allem sind wir es, die die Regeln im Spiel gegen uns selbst bestimmen.
      Im Spiel, das sich Leben nennt.
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