Latenter Psychoterror.

      Latenter Psychoterror.

      Ich glaube, durchdrehen zu müssen. Endgültig.

      Ich werde die nächste Woche aus mehr oder weniger organisatorischen Gründen bei meiner Familie in Europa verbringen. Wenn ich daran denke, stehen mir die Nackenhaare meterhoch zu Berge.

      Meine Familie ist eines der essentiellen Probleme, die mir mein Leben schon solange ich denken kann schwer machen. Was ich im Folgenden berichte, hat nichts mit Selbstmitleid zu tun, oder damit, dass ich mir diese Dinge einbilde; alle, ausnahmslos alle, die einige Zeit mit mir und meiner Familie verbracht haben, haben mich gefragt, wie ich diese Situation aushielte.

      Grundsätzliches zu meiner Familie: sehr gut situiert, immer besorgt um den Ruf, Herzlichkeit und Wärme sind Fremdwörter, ich bin Einzelkind mit Halbschwester, Mutter Ende letzten Jahres verstorben.

      Seitdem ich klein bin, habe ich mehr oder weniger zu funktionieren. Was zählt, ist Bildung und gutes Benehmen.
      Wann immer ich rebellierte oder sonstige "Fehler" machte, wurde ich mit einer derarten Eiseskälte behandelt, mit solch herablassenden Blicken angesehen, dass ich immer noch laut schreien will, weil es nicht auszuhalten ist. Es wurde mit mir gesprochen, als sei ich ein Angeklagter in einer Gerichtsverhandlung (was eventuell minimalst daran liegt, dass mein Vater Jurist ist), mir wurde immer das Gefühl gegeben, ich sei nichts als eine riesengroße Last. Eine Unannehmlichkeit. Auch, wenn ich gerade nichts getan hatte, was meinen Eltern nicht passte. Eine finanzielle Last, ein zusätzlicher, lästiger Zeitaufwand und ein unangenehmer Umstand war/bin ich, nichts weiter.
      Ich kann dieses Thema auch nicht ansprechen; das heißt, ich kann schon, aber ich werde nicht ernst genommen. Es wird mir ins Wort gefallen, gelacht, wie man über einen Irren nun mal lacht, und es wird alles als Unsinn abgestempelt.
      Ich wurde im Gymnasium massivst gemobbt; meine Eltern haben es nicht ernst genommen. Das Kind stellt sich an, so schlimm wird das nicht sein.
      Schon kurze Zeit später rutschte ich in die Magersucht und Autoaggression; es wurde sich dafür geschämt, es wurde wiederum nicht ernst genommen, es war eine "pubertäre Phase". Nur meiner Mutter entwickelte sich zu einer hysterischen "Mir geht's schlecht wegen dem ganzen Mist, den du anstellst"-Figur. Keine Unterstützung, keine Hilfe, keine Wärme, keine Schulter zum Anlehnen. Kein Ernstnehmen. Nie.
      Meine Schwester hat ihre eigene kleine Familie, Mann und zwei Kinder. Meine Schwester war immer unheimlich neidisch auf mich, zumal meine Mutter bei ihrer Geburt wesentlich zu jung war und meine Schwester bei meiner Großmutter aufgewachsen ist. Dass ich eine Mutter hatte, hat meine Schwester nie ertragen. Aus diesem Grund wurde ich von ihr bei jeder sich bietender Gelegenheit terrorisiert. Wirklich terrorisiert, latent, gerissen, schlau. Wenn ich mich wehren wollte, wurde ich wiederum nicht ernst genommen und als paranoid abgeschrieben.
      Niemals habe ich von meinen Eltern ein "Wir sind stolz auf dich", "Wir lieben dich", oder ähnliches gehört, niemals habe ich die geringste Anerkennung erfahren. Der Kommentar zu meinem 1,0-Abitur lautete "Ist ja doch noch relativ gut gegangen".

      Meine einzige Unterstützung war die ganzen Jahre lang mein Psychiater; er war der Einzige, der mir zugehört hat, mich ernst genommen hat, mir geglaubt hat und verstanden hat, welch psychoterrorähnlicher Zustand bei uns zu Hause herrscht. Er hat mich letztendlich ermutigt, von zu Hause auszuziehen, weil jeder Versuch, irgendetwas zu kitten, schief ging und ich immer nur auf Granit biss und weiter gedemütigt wurde. Seit bald dreieinhalb Jahren bin ich nun also weg von meinen Eltern, und langsam, ganz, ganz langsam wurde es besser.

      Das Grundproblem aber bleibt. Man nimmt mich nicht für voll, nie, man hört mir nicht zu, ich hab' ganz einfach nie Recht und bilde mir Probleme und Sorgen ein. Das ist der Gedanke, der sich so in meinem ganzen Innern manifestiert hat, dass ich ihn, auch, wenn ich weiß, dass es nicht stimmt, einfach nicht los werde. Ich bin unheimlich ängstlich und unsicher, ich nehm' mich oft selbst nicht ernst, weiß nicht, was ich mir selbst glauben kann. Und ich brauch' mehr Wärme und Liebe, als ich, glaube ich, jemals bekommen kann. Mir wurde eingeredet, ich "spinne", und so fühle ich mich auch. Ich fühle mich schuldig, immer.

      Ich weiß nicht, wie ich diese Woche bei meiner Familie aushalten soll. Die Anspannung, die Kälte, die investigativen Fragen, die Schuldgefühle. Schuldgefühle für überhaupt nichts. Fürs Existieren. Wie sie mich ansehen; diese Vorwürfe im Blick, ich kann das ganz einfach NICHT aushalten.

      Hat jemand ähnliches erlebt? Kann mir jemand Tipps geben, was ich sagen und tun kann, um diese Woche einigermaßen zu überstehen?

      Danke.
      Let's dance to Joy Division
      and celebrate the irony.

      "Lady... Menschen sind keine Süßigkeiten. Wissen Sie, was sie wirklich sind? Monster. Monster mit Monsterfüllung und Monsterguss überzogen."
      Dr. P. Cox

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      Hi

      Ich schließe mich Charlotta an, musst du denn dahin?

      Kannst du es nicht umgehen?

      Falls nicht, musst du die ganze Zeit bei ihnen hocken oder kannst du auch sonstwohin gehen?

      Ich weiß auch nicht was für einen Rat man dir geben kann... Nicht hinhören, versuchen abstand zu wahren und sich die 'endlichkeit' des ganzen vor Augen führen...

      Ich wünsch dir viel Kraft und alles Liebe

      Tink
      Es ist weder T*d noch Dunkelheit die wir fürchten es ist das Unbekannte das wir angesichts von T*d und Dunkelheit fürchten
      nach Rowling (HP 6)

      Leb, das du stündlich St*rb*n kannst, in Pflicht und Freude, Stark und Ehrlich,
      Nicht dich das Werk, das du begannst mach für die Menschheit unentbehrlich. (E. Mühsam)
      liebste s.,

      es ist schlimm, in einem solchen elternhaus aufzuwachsen und all diese negativen gefühle und eindrücke von sich selbst mit raus in die welt nehmen zu müssen - ohne idee, wie man wirklich ist, was unter all den aufgedrückten, schlechten erlebnissen stecken könnte. dies abzuschütteln und sich selbst in einem neuen licht zu betrachten ist eine aufgabe, die mit deinem auszug vor über drei jahren losgegangen ist - was du manchmal mehr, manchmal weniger gut bewältigst.
      was du aktuell tun kannst? wehr dich gegen diese negativen selbst-bilder. du bist nicht mehr das kleine mädchen von damals, du stehst nicht mehr unter der fuchtel deiner eltern. du bist klug, schön und selbstständig, du bist - mal eben so! - um die halbe welt gezogen, um bei dem mann zu sein, den du liebst, und der dich liebt (und das wohl nicht, weil er dich so blöd findet, hm?^^); das ist mutig, erwachsen und stark. du bist im begriff zu heiraten, du startest - trotz der schlimmen erlebnisse diesbzeüglich in deutschland - neue freundschaften und kämpfst dich ins leben. und damit tust du das, was am wichtigsten ist: du nimmst dich selbst ernst. tu das auch hier und lass deine furcht dich nicht (so stark) beeinflussen, denn du hast nichts zu fürchten. du bist groß, und nach einer woche ist das überstanden und du kannst wieder nach hause.
      ich würde zudem raten, dich vorsichtig von dem wunsch zu lösen, diese situation noch irgendwie zu ändern - so grausam es ist, aber in vielen punkten ändern eltern sich nicht mehr, sind sie zu festgefahren. und wenn sie nicht sehen können, was für ein wunderbarer mensch du bist, dann ist das ihr verlust und deine chance auf einen neu-anfang. sieh dir all die menschen um dich herum an, die dich schätzen und gerne bei sich haben - sagt das nicht viel mehr aus als der peinliche versuch deines vaters, dich nicht anzuerkennen, nur weil er angst hat, beim vergleich den kürzeren zu ziehen? ich denke schon.

      vergiss nicht: _du kannst den anderen die macht geben _und nehmen, dich zu be-/verurteilen. selbst bei eltern ist es eine entscheidungsfrage, wie viel platz du ihrer meinung über dich gestatten willst.

      ganz liebe grüße von der anderen seite der erde. : )
      k.

      Torah! Torah! Torah!

      Schlachtruf der Kamikaze-Rabbis


      don't tell me what i can't do.
      because to live boldly is the proof that you're living life to its full extent.
      Hallo,

      ich denke auch, dass es der erste Schritt wäre, dass du für dich eine innere Haltung entwickelst, die lautet: Ich bin etwas wert und das wird mir keiner mehr nehmen! Versuche, das zu verinnerlichen.... richtig zu verinnerlichen. Und dann tritt deiner Familie mit dieser Haltung gegenüber. Denn wie K. schon schrieb, werden sie dir das nicht nehmen können, wenn es wirklich "deins" ist!
      Oft "reicht" diese bestimmte innere Haltung schon aus, dass Menschen anders mit dir umgehen, weil sie spüren, dass du dich verändert hast.
      Und mit dieser Haltung kannst du anders zu dir stehen und kannst heute sehen, was dir gut tut und was nicht. Und Situationen, die dir nicht gut tun, die musst du auch nicht mehr aushalten. Denn du bist heute nicht mehr das Kind, das keine andere Wahl hatte.

      Ich weiß nichts von dir..... aber ich denke, dass da auch nochmal irgendwann eine Trauerarbeit ansteht. Dass du trauern solltest, weil du nicht die Familie hattest, die du hättest haben sollen.

      Aber für den Besuch solltest du die Rolle der erwachsenen Frau einnehmen, die, im Gegensatz zu ihrer Familie, zu sich steht. Wenn du dich in die Rolle des Kindes deiner Eltern begibst, wirst du nichts anderes zu erwarten haben als früher.

      Lg
      Feejaa
      "Auschwitz beginnt da, wo einer im Schlachthaus steht
      und denkt, es sind ja nur Tiere."

      Theodor W. Adorno
      Vielen lieben Dank für eure Antworten.

      Insbesondere an dich, liebe K. - dein Beitrag hat mir sehr, sehr viel Mut gemacht. :)

      Die Zeit dort oben hab' ich einigermaßen überstanden. Die geographische Distanz, die die ganze Zeit über zwischen meiner Familie und mir geherrscht hat, hat den Druck und die ganze Anspannung unseres Verhältnisses ein wenig gelindert. Ich denke, ich hab' ein Stück weit bewiesen, dass ich es alleine schaffen kann. Und dass ich die Anerkennung, die ich von meiner Familie niemals bekommen werde, aus ganz anderen Dingen ziehen kann.

      Dass ich es geschafft habe, in dieser Woche nicht durchzudrehen, hat mich stärker gemacht. Ich habe in meinem neuen Leben alles richtig gemacht - egal, ob das nun von familiärer Seite anerkannt wird, oder nicht. Ich komme zurecht, oft ist es schwer, aber es funktioniert. Ich bin nun keine Tochter mehr, die von ihren Eltern abhängig ist. Ich bin Ehefrau, wenn auch sehr jung, und ich habe mein eigenes Leben, für das ich ganz alleine verantwortlich bin. Auch, wenn das oft bedrohlich klingt, geht es mir damit wesentlich besser als mit meiner Tochterrolle. Um das richtig zu erkennen und zu glauben, war der Besuch bei der Familie sogar von nicht unerheblicher Wichtigkeit.
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