Wenn es auf die Straße zieht und das Herz zu Hause bleibt: Heimatlosigkeit.

      Wenn es auf die Straße zieht und das Herz zu Hause bleibt: Heimatlosigkeit.

      Die letzten Wochen war ich mit einer Freunden [kurzzeitig auch mit einer weiteren Mitreisenden und ihrem Hund] unterwegs. Erholungsurlaub ist wohl wahrlich etwas anderes, das hatten wir jedoch auch nicht vor. Wir wollten Erfahrungen sammeln. Uns war es ein Anliegen, z.B: das Leben auf der Straße kennen zu lernen und interessante Begegnungen mit verschiedenen Menschen zu machen. Von der Übernachtung in der Jugendherberge, bei einer Freundin, im Zelt und im Schlafsack unter der Brücke war alles dabei. Mal haben wir zu zweit 5 Euro für Essen für 3 Tage ausgegeben, mal haben wir in Obdachloseneinrichtungen gegessen. Und einmal waren wir sogar in einem Restaurant [Wohlfühlfaktor = 0]. Es war alles sehr verschieden - was wir erlebt haben.

      Unser letztes Reiseziel war Berlin. Am Anfang fand ich es dort furchtbar. Die Stadt ist so groß und es gab Theater mit der 3. Mitreisenden. [Sie fuhr dann irgendwann total betrunken auch weiter nach HH, weil es nicht mehr gepasst hat]. Ich wollte am ersten Abend schon nach Hause fahren, weil ich so überfordert mit der Situation war. In Berlin hatten wir reines Straßenleben und haben keinen Cent ausgegeben. Wir haben am Zoo auch einige Menschen kennen gelernt, wodurch ich mich irgendwann sehr wohl gefühlt habe und eigentlich auch nicht mehr weg wollte. Ich habe es geschafft, den Obdachlosen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, obwohl ich in dieser Situation äußerlich nicht mehr hatte als sie, lediglich ein Ohr zum zuhören und ein Packet Liebe&Freude. Es ging mir dort auf der Straße so gut wie lange nicht mehr. Ich verstand auch hinterher nicht, wieso wir wieder nach Hause gefahren sind.

      Seid wir nun hier zu Hause sind, habe ich das Gefühl, immer mehr in ein Loch zu geraten. Mir passt das gerade überhaupt nicht. Ich könnte einfach wieder weg fahren, aber irgendetwas lähmt micht. Es zieht mich wieder nach Berlin zu diesem Menschen, den ich wohl am meisten kennen gelernt habe. Er hat mir viele positiven Gefühle gegeben und mich in Berlin einfach nur gehalten. Ich würde so gerne zu ihm zurück. Aber ich habe irgendwo Angst davor. Alleine darf ich von meinen Eltern aus nicht fahren - klar, wer lässt seine Tochter schon allein in Berlins Straßen schlafen [auch wenn ich dort verschiedene Angebote mit Schlafplätzen hatte]. Und ich weiß nicht, ob ich mich aus diesem Leben, dem Trubel dort so schnell losreißen könnte und wieder zurück fahren könnte. Und ich weiß nicht, was mit diesem Typen passieren würde. Möglicherweise würde ich irgendwann einfach mit ihm schlafen, auch wenn es sich furchtbar anfühlen würde. Vielleicht wäre er irgendwann auch einfach weg - geschnappt von der Polizei im Knast..

      ["[color=]Ich
      wollte dort sein, möglicherweise in seinen Armen, vielleicht auch
      zwischen seinen Beinen. Im Grunde kenne ich ihn nicht. Aber genau das
      zieht mich zu ihm, weil er mir trotzdem Sicherheit gab. Ich habe Angst.
      Auch vor ihm. Aber ich möchte nocheinmal in seine Wärme tauchen, möchte
      dieses süße Gefühl schmecken. Und ich möchte mir schm*rz*n zufügen.
      Will, dass er mich fickt. Dass er das einfach tut, mit Freude. So, dass
      sich in mir alles zusammenzieht und ich nur noch st*rb*n möchte.

      [/color][color=]Ich will Leiden. Und geliebt werden.
      Und dafür nichts tun. Nur sein.
      Vielleicht auch dabei st*rb*n." Zitat aus meinem Blog]
      [/color]

      Ich komme mir gerade so hilflos vor. Ich habe das Gefühl, ich kann nicht hier sein, weil es mich so sehr weg zieht. Es zieht mich auf die Straße, aus dem Haus, einfach mitten ins Nichts - wo man absolut nichts hat und eigentlich am untersten Rand der Gesellschaft lebt. Aber dabei komme ich mir so furchbar schrecklich vor, wie ein Monster. Ich habe hier alles, mir fehlt es eigentlich an nichts. Und ich weiß, sobald ich von hier weg bin, zieht es mich nach Hause, weil es genauso wenig mein Platz ist. Ich habe das Gefühl, ich habe keinen wirklichen Platz mehr. Kann weder hier sein, noch an einem anderen Ort.

      Dieses Gefühl ist irgendwie ganz unerträglich und ich schaffe es nicht, irgendetwas zu tun, weil der Antrieb irgendwie fehlt. Am liebsten würde ich die Tage und Nächte mit der Decke über dem Kopf im Bett verbringen - doch eigentlich will ich doch fliehen. Und vor allem: kommenden Montag beginnt mein FSJ und da muss alles funktionieren und innerlich okay sein.

      Der einzige Gedanke, der vielleicht positive Dinge reinbringen könnte, ist, dass ich in die Einrichtung für jugendliche Obdachlose hier in der Nähe gehe. Nicht, weil ich obdachlos bin, sondern einfach den Kontakt zu dem habe, wo es mich gerade eigentlich hinzieht und wo es vielleicht trotzdem auch [professionelle] Menschen gibt, mit denen man einfach Austausch hat und alles. Ich kann nicht sagen, was es mir bringen würde, es ist lediglich ein Gefühl dazu. Aber ich weiß, dass die Angst dass nicht zulässt, dahin zu gehen. Ich kann sowas nicht einfach, dafür fehlt mir Selbstbewusstsein und Mut.

      Kennt jemand solche Gefühle und Arten, wie man mit sowas klar kommt?
      Die Glasperlen des Lachens können wieder kl*ng*n
      und wenn ich will, dann kann ich fliegen;
      fliegen über das Meer, das in mir tost..
      HI du,

      also ich kann dich teilweise verstehen, teilweise gar nicht.
      Im Prinzip bin ich auch auf der Suche nach Menschen die einfach Menschen sind und die andere und meiner Meinung nach bessere Werte haben als die meisten wohlhabenden. Solche Erlebnisse kann man ja auch in ärmeren Ländern machen.
      Aber ich finde es klingt sehr gefährlich was du beschreibst. Ja, sogar zynisch, dass du obwohl du alles hast, das aufgeben möchtest für ein Leben auf der Straße. Diese Menschen dort sind ja nicht freiwillig dort und für die ist es bestimmt auch kein Spaß zumindest nicht immer.
      Ich denke du kannst auch in anderen Lebensbereichen besondere Menschen finden.
      Ich habe zum Beispiel durch das Theaterspielen Leute kennen gelernt, die auch besonders sind, die andere Werte haben und so. Die einfach anders sind.
      Und wenn du in eine neue Stadt willst, dann musst du ja nicht dort auf der Straße wohnen. Such dir ne Wohnung oder WG oder sowas. Ich würde zu einer WG oder ähnlichem raaten, weil alleine in ner fremden Stadt wird man sonst schnell einsam.

      Und zu diesem Typen zu dem du zurück willst... Also... dieses Gefühl kenne ich leider sehr gut. Ich verstehe es nicht, was es ist, dass man sich so sehr danach sehnt geliebt und aber auch v*rl*tzt zu werden. Aber gerade was du in deinem blog schreibst kommt mir bekannt vor...

      Wenn du magst, kannst du mich auch gern per pn anschreiben.
      alles gute
      scry
      "I'm a bitch, I'm a lover - I'm a child, I'm a mother
      I'm a sinner, I'm a saint - I do not feel ashamed,
      I'm your hell, I'm your dream - I'm nothing INBETWEEN,
      I know you wouldn't want it any other way" (M. Brooks)
      hallo.

      ich versuche mal, was sinnvolles in meinem kopf dazu zu finden (=

      was du so schreibst, erinnert mich zum einen an die wohnungslosen, mit denen ich mal gearbeitet habe, zum anderen aber auch an mich in meiner nach-abi-vor-studium-mit-der-großen-freiheit-überfordert-phase.
      vielleicht ist es wichtig für dich, heraus zu bekommen, worum es geht. geht es um das vermeintlich ungezwungene, losgelöste leben auf der straße, in dem man wenig bis nichts hat, aber auch wenig bis keine verpflichtungen, äußere einflüsse (familie, schule, "bekannt sein" im umfeld etc)? geht es um eine art orientierungslosigkeit, um große fragen nach dem wohin, dem wie und dem warum und wofür? geht es um fernweh, langeweile?

      ich glaube schon, dass für manche menschen wohnungslos sein eine der besten alternativen ist. aber ich glaube auch, dass wenige menschen aus einer freien entscheidung heraus so ein leben führen, sondern reinrutschen und sich danach aus gewohnheit, angst und überforderung gegen andere möglichkeiten entscheiden. und vielleicht ist es (ganz ohne moralischen zeigefinger) jetzt auch eine so große möglichkeit, weil du eben die wahl hast.
      wenn jetzt noch ein verliebt-sein oder wie es sich auch anfühlt, dazu kommt, ist die sehnsucht und zerrissenheit natürlich noch größer. aber vielleicht nährt sich das auch gegenseitig? das ändert auch nichts an den gefühlen, vielleicht ist es aber leichter für dich, das zu ertragen, wenn du dich verstehst oder ein bisschen "durchschaust".

      generell verstehe ich deine worte ein bisschen so, als ob die möglichkeit, ein wohnungsloses leben zu führen eine möglichkeit ist, die sehnsucht zu besänftigen, aber nicht das problem an sich zu lösen. es liest sich für mich, als sei das nämlich eher das gefühl, nirgendwo hinzugehören, keinen festen platz zu haben, nicht aufgehoben zu sein. wenn _das_ dein gefühl ist und die sehnsucht eigentlich die nach einem platz in der welt ist, dann ist "das leben auf der straße" für mich definitiv die falsche entscheidung. denn wenn du bei einer lebensform keinen festen platz hast, dann bei dieser. damit will ich nicht urteilen, aber die straßenromantik und die verführungen, die so eine auszeit mit sich bringen, verlieren sich ziemlich schnell, _wenn_ die entscheidung dafür aus diesem heimatlosen gefühl herrührt. das ist das, was ich aus den vielen gesprächen mit den menschen, die in dem aufnahmehaus untergekommen sind, in dem ich mal hospitiert habe, behalten habe.

      wenn ich mir überlege, was du tun könntest, fällt mir ein:
      zu ersteinmal würde ich versuchen, auf die obigen fragen antworten zu finden, mich und meine gefühle zu sortieren. damit das nicht mehr so unaushaltbar und unlösbar ist, dich nicht mehr so quält und an dir reisst. und wenn du das getan hast, tun sich vielleicht lösungswege von selbst auf: arbeit an dieser heimatlosigkeit, vielleicht durch therapie, vielleicht aber auch durch arbeit an deinem jetzigen leben, um es so zu gestalten, dass es mehr deins wird, dir mehr gibt. vielleicht hilft dir auch ein großer tritt in dein hinterteil, durch freunde oder durch dich selbst, um dich doch zu überwinden und in diese einrichtung zu gehen. mit den leuten zu sprechen, dir anzuhören, was sie erleben und zu berichten haben, vielleicht auch mit einem sozpäd, der dort arbeitet, zu reden. wenn die hemmschwelle weiterhin zu groß ist, vielleicht kannst du telefonisch o.ä. einen termin mit jemandem dort ausmachen und ein einzelgespräch haben, in dem du das mal los wirst.

      ich würde dir gerne sagen, dass du nicht verzweifeln sollst. aber das ist leichter gesagt als umgesetzt. trotzdem wünsche ich dir, dass du klarheit findest, dich findest und eine gute wahl für dich triffst, mit der du wirklich leben kannst.

      alles liebe (und viel erfolg beim fsj)
      pacem.cordium