Ist irgendwann ganz Schluss?

      Ist irgendwann ganz Schluss?

      Hallo zusammen,

      ich bin mir nicht sicher, ob mein Beitrag wirklich in dieses Forum gehört, weil sich hier ja doch eher jüngere Leute aufhalten, die oft noch mitten in ihren Problemen drin stecken. Vielleicht kann aber trotzdem jemand etwas mit meiner Frage anfangen. Ich versuch´s einfach mal...

      Ich arbeite jetzt seit 11 Jahren in Therapien an der PTBS und komme in meinem Alltag auch sehr gut zurecht. Ich würde sagen, dass es mir gut geht (außer wenn aktuell gerade mal wieder was passiert ist....) Ich kann über den jahrelangen M*ssbr**ch reden, über die psychische Erkrankung meiner Mutter und den Auswirkungen auf mich als Kind, von der V*rg*w*lt*g*ng, den S*i*z*dversuchen und den vielen Retraumatisierungen, die im Laufe der Zeit dazugekommen sind.

      Ich falle auch nicht sofort in tiefe Löcher, wenn ich triggernde Filme sehe oder Bücher lese. Und doch gibt es immer noch Momente in meinem Leben, in denen ich mich mit diesen Themen geradezu zwanghaft beschäftigen muss. Und mich dann richtig hineinsteigern muss, so dass es mir dann doch wieder schlecht geht. Ich kann das nur schwer erklären. Es ist, als würde der tief v*rl*tzte Teil in mir immer noch seine Aufmerksamkeit fordern, so à la "Ich bin auch noch da, vergiss mich nicht!"

      Ich komme aus diesen Phasen auch wieder heraus und habe angefangen, sie anzunehmen, sie zu durchleben und dann auch wieder gehen zu lassen.

      Und doch frage ich mich, ob ich irgendwann so "richtig" mit allem klar komme. Hm, das klingt so flasch, weil ich eigentlich schon ganz gut damit klar komme. Aber irgendwie..... hm.... ich kann´s nicht besser erklären.

      Weiß einer von euch, was ich meine? Und weiß jemand, ob das irgendwann im Leben aufhören kann? Ob man wirklich richtig lernen kann, mit so schlimmen Dingen so glücklich zu leben, dass man an die Vergangenheit denken kann, ohne dass es weh tut oder ohne dass solche Phasen kommen, in denen der v*rl*tzte Teil Aufmerksamkeit braucht???

      Besser kann ich es irgendwie nicht ausdrücken.

      Feejaa
      "Auschwitz beginnt da, wo einer im Schlachthaus steht
      und denkt, es sind ja nur Tiere."

      Theodor W. Adorno

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von „Feejaa“ ()

      Hallo Feejaa,

      Und doch gibt es immer noch Momente in meinem Leben, in denen ich mich mit diesen Themen geradezu zwanghaft beschäftigen muss. Und mich dann richtig hineinsteigern muss, so dass es mir dann doch wieder schlecht geht. Ich kann das nur schwer erklären. Es ist, als würde der tief v*rl*tzte Teil in mir immer noch seine Aufmerksamkeit fordern, so à la "Ich bin auch noch da, vergiss mich nicht!"


      Vielleicht ist es ja genau das. Vielleicht ist es alles noch nicht so weit verarbeitet dass du es komplett hinter Dir lassen kannst. Wenn tatsächlich dieser tief v*rl*tzte Teil in Dir noch bestimmte Aufmerksamkeit deswegen braucht dann ist das ja erstmal nicht verwerflich aber wie diese Aufmerksamkeit dann aussieht muss man eben gucken.


      Weiß einer von euch, was ich meine? Und weiß jemand, ob das irgendwann im Leben aufhören kann? Ob man wirklich richtig lernen kann, mit so schlimmen Dingen so glücklich zu leben, dass man an die Vergangenheit denken kann, ohne dass es weh tut oder ohne dass solche Phasen kommen, in denen der v*rl*tzte Teil Aufmerksamkeit braucht???


      Ja ich denke das kann man. Vergessen wird man es wohl nicht aber man wird nicht zwangsweise sein ganzes Leben lang irgendwie dadurch beeinträchtigt. Bei mir selber ist das so leider noch nicht ganzd er Fall, es gibt immernoch Baustellen was das Trauma angeht aber es ist wesentlich besser als vor zwei Jahren noch und ich weiß es kann noch besser werden und irgendwann kann es auch so weit weg sein dass ich darauf zurückblicke und sage "Ja das ist mir passiert, ich hatte lange und stark damit zu kämpfen aber jetzt beeinträchtigt es mein Leben nicht mehr."
      Doch ich denke das geht.

      Liebe Grüße.
      "I will never die , and if I do I will rise up the ashes like all Phoenix do"
      Hi,

      Feejaa schrieb:

      Ob man wirklich richtig lernen kann, mit so schlimmen Dingen so glücklich zu leben, dass man an die Vergangenheit denken kann, ohne dass es weh tut oder ohne dass solche Phasen kommen, in denen der v*rl*tzte Teil Aufmerksamkeit braucht???
      Ich kann mir das auch nicht vorstellen. Allerdings bin ich auch noch mitten drin. Aber so ähnlich habe ich das neulich jemanden anderen gefragt. Sie hat mir erzählt, das sie es für sich geschafft hat. Sie meinte, es gibt Situationen wo sie halt anders reagiert als andere Menschen es vielleicht würden durch die Erinnerungen und wo geheilte W*nden ein bisschen wieder aufgehen. Aber sie meinte von der Bewertung her ist es total anders seit sie damit klar kommt, denn es tut zwar weh aber halt so wie manche Sachen bei "normalen" Menschen auch weh tun würden, weil sie es auf die momentane Situation bezieht und nicht auf die Erinnerung. Auch wenn die manchmal durchaus merkwürdigen Reaktionen durch die Erinnerungen entstanden sind. Sie verbietet sich das nicht, sondern zählt diese bleibenden Schäden zu ihrer jetzigen Persönlichkeit. Und die ist für sie normal....

      Zusammengefasst: sie baut ihre Vergangenheit in das jetzige Leben ein, das kann sie machen weil sie durch die Therapie gelernt hat die Erlebnisse ein bisschen anders und besser zu bewerten. Somit ist sie glücklich, denn sie ist nicht mehr bedroht.

      Ist das halbwegs verständlich? Ich persönlich glaube, es wird immer weh tun wenn man an die Vergangenheit denkt. Aber ist das wirklich notwendig um glücklich zu sein?

      (Mit dem v*rl*tzten Teil der Aufmerksammkeit brauch kämpfe ich grad auch sehr, deswegen bin ich nicht so drauf eingegangen)

      Liebe Grüße!

      hm, ich denke, es kommt darauf an was du meinst mit "irgendwann so richtig klarkommen". Wenn du damit mienst, dass du so leben willst als wären diese ereignisse nie geschehen, dann bin ich ganz klar der meinung, dass das nicht passieren wird. denn diese dinge haben dich geprägt, geformt und verändert, das was und wie du jetzt bist, bist du auch aufgrund dieser ereignisse.
      ich denke auch irgendein diffuser wunsch von "richtig damit klarkommen" baut sehr viel druck auf. könntest du diesen wunsch denn zumindest klarer definieren? mit was möchtest du besser klarkommen und wie würde besser klarkommen aussehen? wenn du das kannst, dann kannst du konkret an diesen dingen nochmal arbeiten, ansonsten muss ich sagen, dass du für mein empfinden schon sehr gut mit allem lebst (zumindest so wie du das hier beschreibst).
      ich denke nicht, dass es darum gehen kann "schwächen" (z.B. deine phasen in denen du dich wieder mit allem beschäftigst und es dir dann schlecht geht) grundsätzlich auszumerzen. jeder mensch hat schwächen und wenn man sich derer bewusst ist und weiß wie man mit ihnen konstruktiv umgeht (und ich habe das gefühl dass du das durchaus kannst) dann ist das doch durchweg positiv.
      ich würde an deiner stelle nicht soviel zeit darauf verschwenden diesem undefinierten wunsch nach "normalität" hinterherzurennen sondern eher mal wahrzunehmen was du alles schon geschafft hast und das es aktuell und in der gegenwart viele situationen gibt in denen du glücklich bist.
      If you are going through hell - keep going!
      (Winston Churchill)
      Hallo Feejaa,

      ich glaube ich weiß in etwa was du meinst.
      Ich mache jetzt auch seit 10 Jahren fast Therapie und arbeite seitdem an mir und denke auch eigentlich, dass ich ganz gut klar komme.
      Aber ja, ich kenne solche Momente, wo ich mich wieder viel mit einem Thema beschäftigen muss.

      Ein Beispiel:
      Ich habe mich vor kurzem Tätowieren lassen. Und danach dachte ich, dass der schm*rz eigentlich total toll war und habe mich dann tagelang wieder viel mit dem Thema SvV beschäftigt, obwohl ich jetzt fast 4 Jahre clean bin und mir auch nicht vorstellen kann, dass ich das nochmal tue egal wie schlecht es mir geht.

      Ich würde mich mittlerweile auch als glücklichen Menschen beschreiben. Ich habe eine Vergangenheit, die nicht schön ist, aber ich kann trotzdem glücklich sein. Und trotzdem gibt es Momente, wo das einfach präsent wird und ich daran denke und auch traurig drüber werde und wütend und mich frage, warum mir das passieren musste. Aber mein Umgang damit hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Früher bin ich viel mehr daran verzweifelt und es hat mich viel mehr belastet. Ich dachte, dass ich mit so einer Vergangenheit nicht glücklich werden kann und eigentlich auch nicht leben kann.
      Aber es geht. Und ich wäre ohne meine Vergangenheit heute nicht die, die ich bin und ich finde, es gibt schlimmeres als ich zu sein.

      Du schreibst ja, dass du "eigentlich schon ganz gut damit klarkommst".
      Was denkst du denn, was dir fehlt? Womit kommst du nicht gut klar?

      Ich glaube nicht, dass es immer wieder Phasen gibt, in denen der v*rl*tzte Teil Aufmerksamkeit möchte. Ich glaube aber auch, dass diese Art der Aufmerksamkeit nicht generell schlecht ist. Es ermöglicht dir vielleicht auch einfach auf dich zu achten. Wünsche zu erkennen und dann zu berücksichtigen. Dieser v*rl*tzte Anteil muss ja kein Feind sein.
      Und dass man traurig wird, wenn man an die Dinge denkt, die früher passiert sind ist auch vollkommen ok. Es klingt ja so, als würdest du dann nicht überall wo du gerade bist in Panik verfallen oder auf einmal extrem losweinen. Du bist traurig und ich finde so etwas, was dir und mir passiert ist ist ein guter Grund traurig zu sein. Das bin ich auch oft. Und das sind auch Menschen, denen das nicht passiert ist, die aber etwas darüber lesen oder hören.

      Für mich ist mittlerweile nicht mehr wichtig, dass ich da nie wieder dran denke und es einfach "vergessen" kann oder es neutral sehen kann, sondern vielmehr, dass es mich in meinem Leben jetzt nicht mehr einschränkt.


      Sorry, es ist glaube ich etwas wirr geschrieben...


      Lg
      die sonne die sterne tragen kunde von dir,
      jeder lufthauch erzählt mir von dir.
      jeder atemzug, jeder schritt
      trägt deinen namen weit mit sich mit....

      (schandmaul - dein anblick)
      Liebe S.,

      ich zitiere Dich mal aus einem Beitrag von 2008 an mich, bei einer ähnlichen Frage und ich sollte Dich immer daran erinnern:

      "Ich denke nicht, dass ich je ein Leben führen wäre, dass in meinen Augen "normal" ist. Auch nach der Traumatherapie werden Momente da sein, in denen ich mich schlecht fühlen werde, weil man die Vergangenheit eben nicht rückgängig machen und die Erlebnisse nicht auslöschen kann. Aber dann werde ich das wissen. Ich werde wissen, woher die Gefühle jetzt kommen und ich werde hoffentlich Maßnahmen parat haben, die ich dann unternehme. Oder ich kann mich bewusst entscheiden, dass es eben auch mal Zeiten gibt, in denen die furchtbaren Gefühle da sein dürfen, weil sie eben wieder Beachtung brauchen."

      Dinge sind passiert. Man verändert sich. Man baut sich wieder auf, man fällt wieder. Man trägt Verantwortung wie Du, bist verheiratet, ein Kind. Perfekt für viele von außen. Dahinter steckt soviel Kampf mehr.
      Wenn es mal nicht geht, geht es nicht. Dann darf man auch mal wieder traurig sein, klein, einsam.
      Das innere Kind darf dann mal wieder Aufmerksamkeit fordern.
      Es wird nie wieder so sein wie vorher. In allen Punkten, bei allem.

      Und manchmal sind die v*rl*tzungen so groß, dass Defizite bleiben können/dürfen.
      Du hast das doch schon so schön für Dich mit in Dein Leben integriert!!! Und es ist okay :)

      (also in dem Sinne denke ich auch, es ist nie Schluß, man lernt nur wirklich damit zu leben und darf ab und zu eben auch mal wieder echt verzweifelt sein, weil man im Grunde nie wieder so sehr belastbar sein wird, wie gesunde menschen, denen nie was passiert ist).

      Ich drück Dich.

      M.
      "Der Dir Neues zeigt, zeigt das Altes weicht, auch wenn Dein Schmerz bis an den Himmel reicht..."
      Vertrauen ist die stillste Art von Mut...
      Quiero que me sostengas sin hacerte cargo mi
      So.... ich brauchte ein wenig Abstand und habe viel über eure Antworten nachgedacht.

      Besonders mein eigenes Zitat hat mich ziemlich aufgewühlt :thumbsup: Welche Ironie, dass ich mir selber die Antwort gegeben habe :D

      Ich hatte eben immer die Hoffnung (und deswegen auch die Frage hier), dass es Menschen gibt, die mir sagen könnten, dass ich irgendwann nicht mehr traurig sein würde, weil sie selber es vielleicht schon so erlebt haben. Dass ich irgendwann diesen kleinen, v*rl*tzten Teil in mir so mit Aufmerksamkeit versorgt habe, dass er "zufrieden" ist. Dass ich mich nicht mehr nach Dingen sehne, die ich nie hatte.

      Aber nach euren Antworten (und meinem eigenen Gefühl) denke ich nicht, dass das je wirklich "richtig gut" wird. Ich habe aus meinem Leben so viel gemacht und ich bin stolz darauf! Und ich sehe es auch nicht als wirklich schlimm an, dass es den v*rl*tzten Teil in mir noch gibt und dass er diese riesengroße Sehnsucht hat und trauert. Es hat seinen Grund und ich komme damit klar.

      Aber es war eben meine Hoffnung, dass jemand mir hätte sagen können, dass bei ihm/ ihr irgendwann wirklich "Schluss" damit war.

      Danke für eure Antworten!
      "Auschwitz beginnt da, wo einer im Schlachthaus steht
      und denkt, es sind ja nur Tiere."

      Theodor W. Adorno

      theoretische Marker (persönlich)

      Hi Feejaa, theoretisch vielleicht ~ (ungefähr) dann, wenn:

      - dann, wenn Du Witze über ~ Deine ehemaligen Peiniger machen kannst/ in Deinem sozialen Umfeld machen darfst?
      - dann wenn Du die ~ Unzulänglichkeiten/ Störungen ~ Deiner Peiniger ausreichend empathisch analysiert hast?
      - manchmal auch dann, wenn: Du ihnen auch 'den Sozialstaat' zugestehst?


      Das sind krasse Antworten, ich weiß; keine Ahnung ob man Dir die sagen darf. Entscheidender Faktor, Dir und mir diese Antworten zuzutrauen war Dein TWA- Zitat in der Signatur. Ich hoffe, mein post kommt zeitlich nicht ganz unpassend.


      mfg, Alles Gute, Gute Besserung,
      vergessen77-68

      Danke für deine Antwort. Ich finde sie nicht besonder "krass" :D
      Ich denke, alles das trifft auf mich schon einigermaßen zu. Es gehört zu dem Prozess des "Heil-werdens" dazu aber ist für mich, denke ich, kein Zeichen davon, dass "Schluss ist".
      Aber es ist gut, durch deine Antwort nochmals vor Augen gehalten zu bekommen, was schon alles geht und wie weit ich bin. Danke!!!
      "Auschwitz beginnt da, wo einer im Schlachthaus steht
      und denkt, es sind ja nur Tiere."

      Theodor W. Adorno
      ;) Hallo Feejaa,



      wahrscheinlich bin ich hier eine der Ältesten...ich kenne dieses Forum / damals gab es auch noch einen Chat schon seit 2001. Viele Jahre hatte ich hier nicht mehr reingeschaut... ja, es kann in wörtlichen Sinne Gras darüber wachsen, man kann lernen "normal" zu leben. schau, ich bin über 30 Jahre alt, habe ein Hochschulstudium absolviert, sogar einen Doktortitel, einen Ehemann und zwei Kinder....und ich war echt lange aktive Borderlinerin und hatte bereits als Kind schon damit angefangen. Natürlich würde ich mich alles andere als "normal" bezeichnen, aber man kann damit alt werden und sogar über viele Jahre lernen, Gefühle zu haben und zu akzeptieren - das hat aber sehr lange gedauert und so richtig geniessen kann ich Gefühle noch immer nicht. Ein wirklich sehr schwerer Moment war es Kinder zu bekommen, denn Kinder liebt man automatisch und sie lieben dich ohne Vorbehalt und so kann man sich vor dieser Liebe nicht verstecken...das is auch immer noch sehr schwer für mich...aber ich würde töten für meine Kinder und ich habe sie beide sehr früh in die Krippe getan, weil ich angst hatte, ich könnte was falsch machen oder hätte nicht genug Normalität für sie -was im Nachhinein gesehen Quatsch war...zum Glück.....aber ich hatte mir selber nicht getraut, außerdem hab ich von den Erzieherinnen "heimlich" mit gelernt, wie man mit Kindern umzugehen hat....denn woher sollt ich das denn wissen...

      vielleicht erleichtert es hier manchen zu lesen, dass man echt alt werden kann und über die Jahre lernt....
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