Sanari

      Hi, ihr Lieben!
      In der Beschreibung steht, dass man hier auch Texte, also Geschichten, posten kann und ich dachte, ich lade mal eine hoch.
      Sie ist ziemlich kurz und besteht aus drei Teilen.
      ACHTUNG: Triggergefahr, kein Happy End!!
      Über Rückmeldungen würde ich mich sehr freuen!
      San



      ___

      ANGST

      _01_

      Es ist früh, als ich zurück gehe. Erst sechszehn Uhr. Aber der heftige Regen und der Wind, der mir meine dunklen Haare ins Gesicht peitscht, treiben mich an und so stehe ich nun vor der Tür. Meine Glieder sind klamm vor Kälte und ich zittere wie Espenlaub, sodass es mir schwer fällt, den Schlüssel aus der Tasche zu holen und aufzuschließen.
      Drinnen ist es angenehm warm und ich gestatte mir ein kurzes Lächeln. Nur kurz. Der Schm*rz, den die Kälte draußen in mir hervorgerufen hat, vergeht langsam und bald wird es eine andere Art von Kälte sein, die mich quält. Meine Mutter ist in der Küche, aber sie hat mich noch nicht bemerkt. Ich glaube, sie kocht. Ich husche die Treppe hinauf und werfe meine Tasche auf mein Bett, lege die Jacke über die Heizung und kicke die Schuhe in die Ecke. Ein kurzer Blick in den Spiegel zeigt mir, dass ich fürchterlich aussehe. Verdammt. Ich ziehe mich um und schleiche ins Bad. Meine Haare liefern mir einen erbarmungslosen Kampf und das verlaufene Make-Up verleiht mir das Aussehen eines Waschbärs. Schnell beseitige ich die gröbsten Spuren des Unwetters, dann übe ich ein fröhliches Lächeln vor dem Spiegel, bis ich mir sicher bin, es eine Zeit lang halten zu können. Anschließend gehe ich in die Küche.

      Mama zuckt erschrocken zusammen, als sie mich sieht.
      „Mensch, Irena! Du hast mir einen Schrecken eingejagt, dich einfach anzuschleichen!“
      Das Lächeln klebt an meinen Lippen.
      „Tut mir leid“, sage ich und umarme sie flüchtig. Für zwei Sekunden. Fünf… Ich reiße mich los. Länger halte ich es nicht aus.
      „Wie war’s?“, fragt sie neugierig. Sie meint den angeblichen Filmenachmittag mit Nele und Lissa, der nicht stattgefunden hat.
      „Schön“, antworte ich, „wir haben alte Disneyfilme geschaut.“ Haben wir. Vor zehn Jahren.
      Sie runzelt die Stirn. „Seid ihr dafür nicht zu alt?“
      Ich erweitere das Lächeln zu einem Grinsen, behutsam und erfolgreich. „Nö. Niemals.“ Ich blinzele verschwörerisch und sie gluckst leise.
      „Freut mich, dass du einen schönen Mittag hattest.“
      Hatte ich nicht. Wir sind schon lange nicht mehr befreundet. Nele und Lissa schon, aber ich nicht. Ich habe seit langer Zeit keine Freunde mehr. Dafür hat er gesorgt. Und das Jugendamt hat mir nicht geholfen. Ich bin allein. Allein, allein, allein.

      Als hätte sie meine Gedanken gelesen, wirft sie einen Blick auf die Uhr und dreht am Rädchen des Herds. Reis. Lecker. „Heiko kommt in zehn Minuten“, sagt sie, „er hat heute Morgen seinen Schlüssel hier vergessen. Also W*nd*re dich nicht, wenn er klingelt.“
      Sie schnappt sich ihre Tasche und ihre Jacke.
      „Wohin gehst du?“, will ich wissen. Ein kleiner Rabe sitzt in meinem Herzen und beginnt, unruhig mit den Flügeln zu schl*g*n. Ich atme tief durch. Wir haben ein gutes Verhältnis, der Rabe und ich. Wann er in meinen Körper eingezogen ist, weiß ich nicht mehr, aber ich habe ihn Angst getauft und er hört auf mich. Ich mag ihn. Auf ihn kann ich mich verlassen.
      „Luisa abholen. Sie ist vorhin zwar mit dem Fahrrad gefahren, aber bei diesem Unwetter will ich nicht, dass sie zurückfährt. Morgen kann sie das Rad immer noch abholen.“
      Meine Schwester. Stimmt, sie ist ja gar nicht da. Ich wünschte, ich wäre ein halbes Jahr älter. Dann hätte ich den Führerschein und könnte Luisa abholen. Und müsste Heiko nicht die Tür öffnen. Das Monster nicht selbst ins Haus lassen.
      Angst krächzt leise.
      „Bis dann.“ Sie haucht mir einen Kuss auf die Wange, dann geht sie.

      Ich halte sie nicht auf. Es ist krank und s*lbstm*rd*r*sch, aber ich lasse sie gehen. Weil ich sie liebe.
      Angsts Krächzen wird lauter. Er warnt mich, aber ich kenne die Gefahr schon.

      ...tbc...
      "Wir haben Angst zu fallen, nicht zu springen."

      ~ Meine Geschichten ~
      _02_

      Er klopft. Er klopft an die Tür, synchron mit dem Klopfen meines Herzens. Ich drücke mich gegen die Wand und lausche. Nachdem meine Mutter gegangen ist, bin ich in der Küche geblieben und habe Angst mit Schokolade gefüttert, damit er still ist. Ich erzähle ihm eine Geschichte, während ich dem Klopfen lausche. Pro Geräusch ein Wort. Es wird schwieriger, wenn die Worte länger sind.
      Ich versuche, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom zu sagen, was die Freundin, bei der Luisa gerade ist, hat, als es dicht neben mir ein seltsames Geräusch gibt. Ich fahre zusammen, springe mit einem erstickten Aufschrei zurück und starre aus dem Fenster. Heiko. Es ist Heiko. Er ruft irgendwas, aber bei seinem Anblick lässt Angst ein lautstarkes Krächzkonzert los, sodass mir der Kopf dröhnt. Ich verstehe nicht, was Heiko macht, zu beschäftigt bin ich damit, meinen Raben zu beruhigen. Es klappt nicht. Hilfe.
      Heikos Gesicht wird immer wütender, während ich ihn teilnahmslos anschaue. Er nimmt einen der großen Steine, die am Weg liegen und wirft ihn gegen die Hauswand. Das Geräusch erschreckt Angst und er hält kurz inne. Das gibt mir Zeit, tief durchzuatmen und ich bedeute Heiko gestikulierend, dass ich ihm die Tür aufmache.

      aberichkannnicht, ichhabangst, waswirdpassieren, hilfe, ichst*rb*, erwirdmichumbringen, hilfe, mamawobistdu, wassollichnurmachen, ichwillhierweg, ichkannnichtmehr, hilfe

      Halt die Klappe, Angst.
      Heiko lächelt mich an und schiebt sich durch die Tür.
      „Hallo“, ruft er, aber niemand antwortet ihm und er dreht sich zu mir um. „Wo sind denn deine Mutter und Luisa?“
      „Mama holt Luisa von einer Freundin ab.“
      Ich schaue auf die Uhr. Noch fünfzehn Minuten. Dann müssten sie wieder da sein.
      „Oh. Gut.“
      Er zieht seine Jacke aus und streift die Schuhe von den Füßen. Dann greift er in seine Hosentasche und befördert einen 50-Euro-Schein zutage. „Hast du meine sms bekommen?“, fragt er mich über die Schulter, während er Richtung Badezimmer läuft.
      Angst schlägt laut mit den Flügeln, versucht, aus mir heraus zu flattern. Ich schlucke, um ihn wieder nach unten zu pressen, bevor er mir die Luft abdrückt.
      „Nein. Der Akku ist leer und ich hab das Ladegerät Nele ausgeliehen. Sie hat dasselbe Handy, ihr Ladegerät aber verloren.“
      Er runzelt die Stirn. „Bringt sie es dir morgen mit in die Schule?“
      Ich nicke hilflos.
      „Dann warte ich morgen auf deine Antwort.“ Er steckt das Geld wieder ein.
      Mein Handy ist in meiner Tasche, der Akku voll. Ich habe keine Ahnung, was für ein Modell Nele hat, aber das ist egal. Egal, egal. Alles egal.
      Hast du gehört, Angst? Es ist egal.

      „Du hast mich ja gar nicht richtig begrüßt“, sagt Heiko und steht plötzlich vor mir. Er umarmt mich und ich lege leicht die Arme um ihn. Angst flattert so heftig, dass ich zittere.
      Seine Hand wandert meinen Rücken herunter, weiter, weiter, macht an meinem Hintern halt, als ich huste. Ich huste wie ein Hund, bellend, laut.
      „Alles okay?“, fragt Heiko und lässt mich los.
      Angst kratzt weiter mit seinen Krallen an meiner Kehle. Er ist schon so weit oben, dass er einen Hustreiz in mir auslöst… ich umklammere meinen Hals, versuche, ihn zurück zu drängen. Er ist so übermütig momentan.
      „Ich gehe kurz an die frische Luft“, röchele ich. Fast klingt es wie Angsts Krächzen.
      Er nickt und weicht zurück. Schnell stolpere ich in mein Zimmer, hänge mir die Tasche über die Schulter und ziehe die Jacke darüber an.

      Dann verlasse ich mein Zimmer und eine halbe Minute später das Haus.

      Mama und Luisa kommen in zehn Minuten.
      Sie brauchen zehn Minuten, wenn alles gut läuft. Aber in zehn Minuten kann viel passieren. Und ich habe heute nicht die Kraft, solange auszuhalten. Angst klaut sie mir. Ihm schmeckt nichts mehr, womit ich ihn normalerweise füttere, also ernährt er sich von meiner Energie. Ich kann nicht mehr. Heute nicht mehr und auch sonst nicht mehr. Es muss sich etwas ändern.
      Wer weiß, was mit mir innerhalb der nächsten zehn Minuten geschieht.

      Ich renne los, als ich das Ende der Straße erreiche.

      ...tbc...
      "Wir haben Angst zu fallen, nicht zu springen."

      ~ Meine Geschichten ~
      _03_

      Ich sitze auf dem Geländer der Brücke und starre ins Wasser des Flusses. Das Unwetter hat zugenommen und ich glaube, es wird heute noch ein Gewitter geben. Ich mag Gewitter. Aber eigentlich nur, wenn ich dabei zuhause im Bett liege… Jetzt bin ich hier und es macht mir nichts aus. Es ist seltsam, aber mir ist wirklich alles egal.
      Ich betrachte die Wellen durch einen Vorhang aus meinen Haaren und seltsamerweise beruhigt mich der Sturm. Je mehr er tobt, desto ruhiger werde ich. Auch Angst räkelt sich zufrieden.
      Komisch.
      Ausgerechnet jetzt, jetzt, wo ich nicht mehr weiß, wie es weiter gehen soll, sind wir beide selig.

      Aber eigentlich ist es mir klar. Zumindest unterbewusst. Ich kann nicht mehr nach Hause. Nicht, dass ich nicht mehr will. Ich kann wirklich nicht mehr. Leise seufze ich und schließe die Augen. Ob meine Mutter und Luisa schon zu Hause sind? Vielleicht… Aber es interessiert mich nicht. Oh Gott, mich interessiert wirklich gar nichts mehr. Ich umklammere das Geländer der Brücke und reiße mir an einem scharfen Stein die Handfläche auf. Fasziniert betrachte ich das Bl*t. Es quillt schnell aus der kleinen W*nd* und als ich die Hand über dem Fluss austrecke, tropft es herunter und vermischt sich mit dem Wasser. Nur für den Bruchteil einer Sekunde sieht man das schillernde Rot, dann sieht das Wasser wieder normal aus. Grau. Dreckig.
      Ich runzele die Stirn und fahre mit der Hand noch einmal über den Stein, vergrößere den Riss.

      Ich bin erbärmlich. Was mache ich hier nur? Sitze bei einem Unwetter auf einer Brücke, schlitze mir die Hand auf und sehe zu, wie mein Bl*t in den strömenden Fluss tropft. Was ist nur los mit mir?
      Angst flattert, er breitet seine Flügel aus, als wolle er mich tröstend umarmen. Ich könnte jetzt wirklich Gesellschaft brauchen… Natürlich ist bei diesem Wetter niemand unterwegs. Ob Heiko nach mir sucht? Ich bin schon seit einer ganzen Weile weg… Ich hoffe, er sucht mich. Und findet mich nicht. Ich hoffe, er irrt in dieser gottverlassenen Welt herum bis er verreckt. Ich hoffe es so sehr, dass es beinahe weh tut. Aber nur beinahe. Mir tut nichts mehr weh. Ich spüre nicht einmal die grausame Kälte, ich bin gefühlstaub geworden. Mehr Puppe als Mensch, nur ohne jemanden, der mich, die Marionette, lenkt. Haha. Wie komme ich nur auf solche Gedanken?

      Zu spät merke ich, dass ich weine. Na nu? Wann hat das denn angefangen? Ich presse die bl*tende Hand auf die Tränen, die mir die Wangen hinunterfließen. Wahrscheinlich habe ich jetzt rote Spuren im Gesicht. Oder der Regen wischt sie weg… das ist das Tolle an Unwettern:
      Niemand sieht, dass man weint.

      Angst ist beunruhigt über meine Gedanken. Er hat Angst vor mir. Ich muss schmunzeln. Armer, kleiner Angst. Er hat sich wirklich die falsche Person ausgesucht… Aber ich bin ihm dankbar. Er hat mich schon so oft gerettet, wenn ich am Abgrund stand… Am Abgrund? Was für ein Schwachsinn. Ich stand noch nie an einem Abgrund. Außer jetzt. Ich stelle mich auf das Geländer, halte mich an einer hässlichen Statue fest, bis ich sicher bin, dass ich mein Gleichgewicht halten kann. Dann lasse ich los und schreie.

      Angst schlägt heftiger mit den Flügeln. Ich glaube, er will fliegen. Die Sehnsucht hat ihn gepackt. Mich auch. Ich würde auch gern fliegen können, wie mein kleiner Rabe. Vielleicht schaffe ich es ja… Stirnrunzelnd blicke ich nach unten. Ganz schön tief. Und der Wind weht wahnsinnig stark. Vielleicht reicht es. Auf einen Versuch kommt es an.

      Ich breite die Arme aus, springe ab und lasse mich auf dem Wind gleiten.
      Angst hilft mir und gemeinsam fliegen wir.

      Es ist fast zu schön, um wahr zu sein.
      Wir sind frei.


      ENDE

      Jau, das war's. Ziemlich kurz, wie schon gesagt. Aber vielleicht öffne ich einen Thread mit verschiedenen Kurzgeschichten... mal sehen.
      Ich bedanke mich bei allen lieben Menschen, die mir Mails mit Kommentaren zu dieser Geschichte geschrieben haben. Egal ob Lob, Kirtik, oder Verbesserungen, ich freue mich über alles und jede neue Mail ist willkommen! ^^
      Außerdem möchte ich noch sagen, dass diese Geschichte mir gehört. Ich finde es schade, sowas extra erwähnen zu müssen, aber es ist schon vorgekommen, dass von mir gestohlen wurde. Wer diese Geschichte also irgendwo anders sieht - bitte eine Mail an mich schicken.
      Ich hoffe, es hat euch zumindest ein bisschen gefallen! :)

      Liebe Grüße
      San
      "Wir haben Angst zu fallen, nicht zu springen."

      ~ Meine Geschichten ~

      Sanari [Kurzgeschichten]

      Weil ich so viel positive Rückmeldung auf Angst bekommen habe, dachte ich mir, ich kann ja mal ein paar Kurzgeschichten hochladen. Jede Geschichte ist logischerweise in sich abgeschlossen und demnach werde ich sie auch nicht regelmäßig hochladen.
      Ich freue mich über Kommentare jeder Art! Einfach eine kurze Mail schreiben! :)
      ACHTUNG: Triggergefahr!!
      San



      __________

      WINTERW*nd*RWELT

      Kalt, es ist so verdammt kalt. Die Temperatur sinkt immer weiter und ein Schneesturm ist aufgekommen. Unbarmherzig peitscht er mit ins Gesicht, lässt meine Zähne klappern, meine Glieder ganz klamm werden. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier sitze und erfriere, aber es ist mir egal, alles ist egal. Anfangs mochte ich die Kälte, weil sie so geschm*rzt hat, doch mittlerweile bin ich so gut wie taub geworden. Eigentlich ist es unnötig, weiterhin hier zu bleiben, aber ich habe die Orientierung verloren. Ich kann kaum die Hand vor meinen Augen erkennen und bezweifle, dass meine Beine mich tragen würden. Es fühlt sich an, als wären sie abg*st*rb*n.
      Ich will meinen Mantel enger um mich ziehen, aber meine Finger sind dagegen. Mein Körper schreit nach Wärme, nach Erlösung, aber meine Seele ist dagegen. Verzweifelt kämpfen sie, aber ich weiß, wer gewinnen wird. So lange habe ich nur auf meine körperlichen Bedürfnisse geachtet und nicht bemerkt, wie stark all die W*nd*n mein Innerstes Ich gemacht haben.
      Ich seufze.

      Die nächste Ewigkeit später werde ich durch eine warme Hand geweckt. Sie liegt auf meiner Wange und ist so unglaublich kuschelig, dass ich sofort sicher bin, dass sie mir nicht gehören kann. Verwirrt schlage ich die Augen auf und muss einige Male blinzeln, um meine Umgebung wahrnehmen zu können. Der Sturm hat sich gelegt und weicher, glitzernder Neuschnee lässt alles wie in der WinterW*nd*rwelt erscheinen.
      Es ist schön.

      „Schlaf nicht wieder ein“, höre ich eine raue Stimme sagen.
      Ich zucke zusammen, warum habe ich den Mann nicht bemerkt? Es ist seine Hand auf meiner Wange. Was passiert mit mir? Warum kann ich ihn nur aus zusammengekniffenen Augen anstarren, als hätte ich noch nie einen Menschen gesehen?
      „Du musst ins Warme.“
      Ins… Warme? Warm? Vage erinnere ich mich, kann dem Wort ein Gefühl zuordnen. Gemütlich, angenehm. schm*rzlos. Warm…
      „Du wirst erfrieren, wenn du länger hier bleibst. Komm, steh auf.“
      Aber meine Beine gehorchen mir nicht mehr, will ich sagen. Aber mein Mund hat sich eben jenen Körperteilen wohl angeschlossen. Also schaue ich ihn weiterhin einfach nur an.
      „Bitte.“ Seine Stimme wird leiser. „Du darfst nicht liegen bleiben. Sonst wirst du st*rb*n.“
      st*rb*n? Etwas in mir horcht auf. Ja, das war das letzte, woran ich dachte, als mein Kopf noch klar war. st*rb*n. Das war der Plan. Darum bin ich hierhergekommen. Warum fällt mir das erst jetzt wieder ein?
      „Du musst weiterleben!“, drängt er mich und ich kann sogar die Sorge aus seiner Stimme heraushören.
      Wer ist er, dass er sich Sorgen um mich macht? Er kennt mich doch gar nicht. Und er muss sich auch nicht um mich kümmern. Ich bin ihm dankbar, weil er meinem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen hat. Dafür hat er eine Belohnung verdient. Ich ziehe meine Mundwinkel nach links und rechts, lächele ihn an, mit den Lippen einer T*dgeweihten. Dann reiße ich meine Lippen auseinander und glockenhelles Lachen kommt aus der klaffenden Hölle.
      Hey, will ich sagen, es ist okay. Es ist doch okay. Ich bin die Schneekönigin, ich bin gern hier.
      Aber er zuckt erschrocken zurück. Schade. Ich würde ihm gern anbieten, hier zu bleiben. Mit mir, im WinterW*nd*rland.

      Noch einmal versucht er es.
      „Bitte, lass mich dir helfen. Komm mit!“
      Verärgert werde ich wieder ruhig. Ich will hier nicht weg. Ich lebe hier, ich habe noch nie woanders gelebt. Was will er von mir?
      Er tritt einen Schritt auf mich zu und ich strecke die Hand aus. Komm, bleib hier. Es ist so schön hier. W*nd*rbar.
      Aber je mehr meine Hand sich ihm nähert, desto weiter geht er wieder zurück, bis er schließlich weggeht.

      Ich zucke mit den Achseln, springe auf und tanze durch den Schnee. Ich bin ein Eisengel, endlich in meiner WinterW*nd*rwelt angekommen.

      ENDE


      [edit: Zwei Threads zusammengefügt. Lies bitte die Regeln für das Gedichteboard, bevor du postest. /Volpe]
      "Wir haben Angst zu fallen, nicht zu springen."

      ~ Meine Geschichten ~

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von „La Volpe“ ()

      ROSA ZUCKERWATTE

      Du musst etwas essen.
      Nein.
      Du hast Hunger.
      Ich bin satt.
      Iss etwas!
      Halt die Klappe!
      Die Sterne vor deinen Augen explodieren und das Universum verschluckt dich, wenn du nicht sofort etwas isst!
      VERPISS DICH!

      „Anna?“

      Die Stimme meiner Mutter reißt mich aus meinen Gedanken. Ich blinzele verwirrt und starre sie dann an. Ihr Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt und Sorge glänzt in ihren tiefbraunen Augen.
      „Ja?“

      „Ist alles... okay mit dir?“

      „Klar, was soll sein?“
      Ich zucke gelassen mit den Schultern, lächele sie an und greife nach ihrem Teller.
      „Bist du fertig?“
      Sie nickt.
      „Wir schreiben heute einen Mathetest. Ich bin die Formeln nochmal durchgegangen, darum war ich wahrscheinlich kurz weg. Du weißt doch, was Mathe für ein Monster ist.“
      Ich verziehe das Gesicht und sie lächelt.

      „Das wird schon. Hast du schon etwas gegessen? Vor einem Test ist ein gutes Frühstück wichtig.“

      Auf dem Tisch steht noch ein Muffin, im Schrank ist Erdbeermüsli und Obst türmt sich in der Obstschale. Was im Kühlschrank alles steht, will ich gar nicht wissen.
      Der Muffin ist lecker, er ist gerade soweit abgekühlt, dass du ihn essen kannst, ohne dass du dir die Zunge verbrennst. Die Schokolade wird in deinem Mund schmilzen und dir ein wohliges, warmes Gefühl schenken. Danach kannst du dir für den Schulweg eine Banane mitnehmen, sie wird deine Muskeln und dein Gehirn stärken und dir helfen den Mathetest zu überleben. Eine Birne bringt dich nicht um, weißt du noch, wie saftig sie schmeckt?
      Ich schüttele den Kopf.
      „Meine Englischlehrerin hat Geburtstag und weil wir mit dem Stoff für dieses Schuljahr eh fast durch sind, frühstücken wir zusammen in den ersten beiden Stunden.“
      Ich bin eine gute große Schwester. Ich lasse den Muffin für Lina, sie wird sich freuen. Wer weiß, wie viele Chemikalien in diesem abgepackten Müsli sind? Ich will es gar nicht wissen. Und dieses Obst! Wenn ich die braunen Stellen schon sehe, wird mir schlecht. Igittigitt!

      „Oh“, sagt meine Mutter, „musst du auch etwas mitbringen? Warum hast du das nicht früher gesagt, ich war doch gestern einkaufen...“

      „Schon gut. Ich hab doch letztens freiwillig die Schulbücherei aufgeräumt. Mrs. Peter ist auch für die Bibliothek zuständig, darum hat sie gesagt, ich müsse nichts machen.“
      Die Bücher waren schrecklich unordentlich. Die meisten Schüler legen sie einfach ab, wenn sie sie gelesen haben – falls sie sie gelesen haben – und der Staub, der auf den Regalen lag, hat die Luft verpestet. Außerdem hab ich dadurch das Abendessen verpasst.

      „Das ist nett“, findet sie.

      „Ja“, stimme ich zu. „Willst du noch was essen?“

      „Nein, danke. Ich muss los.“
      Sie haucht mir einen Kuss auf die Lippen, greift nach ihrer Tasche und rauscht aus dem Haus.

      Ich seufze, lehne mich an den noch warmen Backofen und schließe kurz die Augen.
      Prompt ist diese verdammte Stimme wieder da und ich reiße die Augen so weit auf, dass sie fast herausfallen und auf dem Boden herumrollen. Ich würde mit schwarzen Löchern durch die Gegend laufen und Lina Angst machen. Aber vielleicht würde sie mich auch auslachen und meine Augen in Salzsäure einlegen, während die Nerven noch mit dem Rest meines Körpers verbunden sind.
      Ich reiße mich zusammen, stoße mich ab und nehme ein Blatt Papier, einen Stift und Tesafilm. Irgendwo müssen hier auch noch Zahnstocher liegen... Ah, da.
      Ich schreibe „Have a great day and good luck!“ auf das Papier, weil Lina heute Englisch schreibt und es ihr im Gegensatz zu mir nicht zufliegt, falte es bastele eine Fahne. „Lina“ schreibe ich auf die andere Seite und stecke das Fähnchen mit ihrem Namen nach vorne in den Muffin.
      Er duftet so köstlich...
      Er ist für Lina und sie schreibt heute eine wichtige Englischarbeit und sie hat den Muffin nötig.

      Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich genug Zeit mit Basteln verschwendet, nein, verbracht habe, um gerade noch pünktlich in die Schule zu kommen. Ich stehe auf – und lasse mich wieder auf den Stuhl fallen. Mir wird schwarz vor den Augen und mein Magen killt mich. Ich schnappe mir einen kleinen, schrumpeligen Apfel, dessen sechzig Kalorien mich nicht töten werden. Außerdem beschließe ich, die Bahn zu verpassen und zu spät zu kommen und laufe die halbe Stunde zur Schule.


      Mrs. Peter wirft mir einen bitterbösen Blick zu, als ich zur Tür hinein husche, aber sie sagt nichts und als ich meine Hausaufgabe vorlese, ist sie voller Lob für mich.
      Die Mathearbeit setze ich total in den Sand. Mein seltsamer Lehrer will irgendwas mit Vektoren von mir (hätte ich davon hören sollen?) und ich vertreibe mir die Zeit damit, dass ich die Zahlen bunt ausmale.
      Meiner Sportlehrerin sage ich, ich hätte plötzlich meine Tage bekommen und hätte fürchterliche Bauchschmerzen, weshalb ich leider nicht am Unterricht teilhaben könnte. Das ist nur teilweise gelogen – meine Tage bekomme ich zwar schon lange nicht mehr, aber ich habe wirklich Bauchschmerzen. Sie sieht mich nur an, seufzt und sagt, ich soll mir einen Ball nehmen.
      Mist.
      Ich nehme einen Basketball. Er ist tausend Kilo schwer und die Erdanziehungskraft hat sich auf einmal auf das Doppelte erhöht und ich kann diesen Ball nicht in den Korb werfen. Ich würde höchstens den Kopf dieser verdammten Lehrerin treffen.
      „Wie soll ich dir eine Note geben, wenn du nie mitmachst?“, will sie streng wissen und deutet auf den Korb. „Los jetzt. Du machst jetzt deine Basketballnote.“

      Ich schaue sie entgeistert an, aber sie will, dass ich diesen Ball in den Korb werfe und ich will nicht, dass sie was merkt, also hebe ich das Ding hoch, meine Arme zittern und fixiere den Korb und Sterne tanzen vor meinen Augen und werfe und er fliegt in die Luft und umkreist die Erde und kommt zurück und trifft mich mitten ins Gesicht und mein Schädel bricht durch die Wucht entzwei und ich falle, falle, falle und schwarz und Aufschlag und Schmerz und Tod.


      ...tbc...
      "Wir haben Angst zu fallen, nicht zu springen."

      ~ Meine Geschichten ~
      „Anna?“
      Die Stimme meiner Mutter dringt durch ganz viel Watte, rosa Zuckerwattewölkchen zu mir durch und ich frage mich, warum sie mich das in kürzester Zeit zum zweiten Mal fragt und ich will wissen, ob sie Hunger hat, ich kann ihr was kochen und Lina von der Schule abholen und und und mir tut alles weh und mein Bauch fühlt sich merkwürdig aufgebläht an und ich liege auf etwas unglaublich hartem und meine Wirbelsäule schmerzt und ich will die Augen nicht aufmachen, weil ich weiß, dass ich geblendet werde, wenn ich sie öffne und meine Mutter greift nach meiner Hand und sie ist schrecklich kalt.
      Ich zucke zusammen und zwinge meine Augen, sich der Welt zu stellen.

      Ich bin in einem Krankenzimmer, in einem Krankenhaus und das erste, was in mein Bewusstsein dringt, ist der große, dunkelbraune Fleck in der Kante zwischen Decke und Wand und ich frage mich, wie man da wohl hinkotzen konnte und ich frage mich, warum ich nicht Kotzen kann, es geht einfach nicht, und ich frage mich, was ich hier mache und warum meine Mutter weint und warum ich an Schläuche angeschlossen bin und warum die Welt sich überhaupt dreht und alles voller Fragen ist und schlafe ein.


      Als ich aufwache, ist es dunkel im Zimmer und ich sehe die Silhouette meiner Mutter, die noch immer neben meinem Bett auf einem Stuhl kauert und schläft. Warum ist sie hier? Warum bin ich hier? Was ist mit Lina? Ist sie allein daheim? Ich will nicht, dass meine kleine Schwester allein daheim ist. Ich will nicht, dass meine Mutter so fertig ist. Ich will... gar nichts.
      Ich will fliegen, meine Arme ausbreiten und mich leicht und elegant in die Lüfte erheben, frei wie ein Vogel. Ich will lachen, ich will lieben, ich will leben.
      Ich will nicht hier sein. Ich will niemandem Sorgen bereiten.

      Ich will wissen, warum ich hier bin.
      Du bist zusammengebrochen. Du hast nicht auf mich gehört und nicht gegessen., Du bist zu dünn. Du hast keine Kraft. Du bist schwach.
      Sei leise. Sei leiseleiseleise, lass mich IN RUHE!
      Es ist deine Schuld, dass deine kleine Schwester allein daheim schlafen muss, dass sie Angst hat und deine Mutter ihre Tränen trocknen musste, während sie selbst dem Zusammenbruch nahe war, es ist deine Schuld, dass sie Schuldgefühle hat, du bist Schuld an ihrem Elend, du bist Schuld, Schuld, Schuld, alles ist deine Schuld. Du hast nicht gegessen, du bist schwach, es ist alles deine Schuld!
      „Nein“, wimmere ich. Was ist passiert? Was ist mit mir passiert? Wie bin ich hier gelandet, wie ist das passiert?
      Sieh dich doch an. Sie müssen dir über diese Schläuche Nahrung zuführen, weil du zu dumm zum Essen bist. Wie erbärmlich. Warum hast du nicht auf mich gehört? Du dachtest, du wüsstest alles besser, hm? Wie eingebildet und arrogant von dir. Sieh, wohin dich dein Egoismus gebracht hat.
      Ich streiche über die Schläuche, zittere, will nicht mehr und alles ist meine Schuld.

      Ich umfasse ein dünnes Kabel, das in meiner Hand hängt und mit einem erstickten Schrei ziehe ich es raus und irgendwo piepst etwas und ich weine und schreie und ziehe und es tut weh und es ist alles meine Schuld und ich habe das nicht verdient und ich befreie mich von meinen Fesseln und bald kann ich fliegen.
      Es piepst lauter und die Tür fliegt auf und aufgebrachte Krankenschwester stürmen rein, trampelnd wie eine Herde Elefanten, während das Fett ihnen von den Fingern tropft und meine Mutter reißt die Augen auf und schaut mich an und die Enttäuschung, Verletzung, Verwirrung, der Schmerz auf ihrem Gesicht, es tut so weh und ich will das doch nicht und es tut mir doch alles so leid, so leid...

      Sie kommen näher, greifen mit ihren Wurstfingern nach mir und ich weiche zurück und schreie, aber sie kommen näher, wollen mich fangen, fesseln, foltern, sie wollen mich töten und sie drängen mich in die Ecke und plötzlich habe ich die Wand im Rücken.

      Ich reiße das Fenster auf, ich zeige ihnen, wie stark ich bin und plötzlich halten sie inne und plötzlich haben sie alle den gleichen Gesichtsausdruck und plötzlich bleibt die Zeit stehen, während es plötzlich kalt ist und ich endlich, endlich fliege, leicht und frei wie ein Vogel.

      ENDE

      xXx

      Ich musste es aufteilen, weil der Text zu lang ist... Rückmeldungen sind gern gesehen! :)
      "Wir haben Angst zu fallen, nicht zu springen."

      ~ Meine Geschichten ~
      SOMMERSTURM

      Pinselstrich für Pinselstrich. Ich liebe es, wie auf der Leinwand langsam, ganz langsam etwas entsteht, etwas einzigartiges, ein Kunstwerk. Ein leises Lächeln liegt auf meinen Lippen, während ich behutsam an meinem Bild arbeite. Der Kontrast zwischen meinem Werk und der Realität gefällt mir: Ich male ein Gewitter und draußen steht der Sommer in seiner vollen Blüte.
      Langsam lasse ich meinen Blick schweifen. Die Fenster der Kunsträume meiner Schule sind riesig und man kann beinahe den Schulhof sehen. Erst jetzt, wo ich wieder hier bin, merke ich, wie sehr ich das alles vermisst habe. Meine Austauschschule in England war zwar auch wunderschön, aber hier… hier bin ich zuhause. Die große Hecke, die das Schulgelände einzäunt, die blühenden Bäume und bunten Blumen… Ich bin ein bisschen stolz, dass die Schüler hier auf die Schönheit der Umgebung achten und kaum Müll auf dem Boden hinterlassen.
      Der Gong kündigt den Schulschluss an, aber ich bleibe noch, ich will das Bild heute fertig bekommen. Während die Schüler also alle aus dem Haus stürmen, mache ich nur eine kurze Pause und trinke etwas. Es ist amüsierend, ihnen dabei zuzuschauen, wie sie möglichst schnell weg wollen. Und zu wissen, dass ich genauso bin.
      An einem Schüler bleibt mein Blick hängen und ich verschlucke mich fast.

      Seine Augen sind strahlend blau und ich bilde mir ein, dass sie noch ein bisschen mehr strahlen, wenn sie mich erblicken. Ich weiß, das ist naiv, aber es wäre schön. Schön zu wissen, dass ich der Grund bin, sie morgens aufzuschlagen…
      „Woran denkst du?“, fragt er mich schmunzelnd.
      „An dich“, erwidere ich und er schlingt lachend die Arme um mich.


      Ich bin erst seit Freitagabend wieder hier in Deutschland, darum wundert es mich nicht, dass ich ihn noch nicht gesehen habe. Und dass der Kontakt zwischen uns während meiner Englandzeit immer weniger geworden ist, hat mich eigentlich auch nicht weiter überrascht. Es ist zwar irgendwie traurig, aber ich habe irgendwann nicht mehr zurückgerufen und wir beide haben wohl zu viel zu tun gehabt, um ständig in unser Mailfach zu schauen. Aber jetzt… Er geht nicht.
      Ob er auf mich wartet?

      „Hast du es bald?“, will er wissen und muss sich stark beherrschen, um nicht einfach loszulachen.
      „Halt still!“, befehle ich, während ich meine gesamten Malutensilien nach einem Blau durchsuche, das seiner Augenfarbe zumindest nahe kommt. Aber es gibt keines. Sie sind so unbeschreiblich.
      Ich drehe mich frustriert um, um ihm mein Problem zu erklären, als mir der Atem stockt. Er steht plötzlich direkt vor mir, grinst mich schelmisch an und bevor ich ein Wort sagen kann, zieht er mch mit sich zur Seite und wir fallen in den See.


      Unser Sommer. Das letzte Jahr war so perfekt. Lächelnd denke ich an die kleine Farbdose, die in meiner Tasche liegt. Es hat zwar lange gedauert, aber endlich, endlich habe ich es geschafft, seine Augenfarbe zu mischen. Ich kann es nicht erwarten, sie auszuprobieren. So lange habe ich warten müssen, so unendlich lange…
      Aber erst muss das Gewitter fertig werden. Ich kann kaum den Blick von ihm abwenden, während ich den Farbbehälter aufschraube. Nur noch ein Blitz, dann bin ich fertig. Dann kann ich zu ihm…

      „Ich will nicht, dass du gehst“, flüstert er und sieht mir in die Augen. Er hat es so oft gesagt in den letzten Tagen, aber es tut mir immer noch jedes Mal weh. „Bitte.“
      „Ich muss“, gebe ich ebenso leise zurück. Es ist eine einmalige Chance. Ich kann sie nicht ablehnen, so gern ich auch würde… Aber ich würde es bereuen, das weiß ich. „Es ist ja nur ein Jahr.“
      Er schweigt, sieht mich nur an, aber ich weiß, dass wir das gleiche denken. Ein Jahr ist verdammt lang, da kann ich weder ihm, noch mir etwas vormachen.
      Langsam wird es kalt auf der Terrasse, der Herbst kündigt sein Kommen an und wir gehen wieder rein, mischen uns unter all die anderen Leute, die zu meiner Abschiedsparty gekommen sind. Ich verliere ihn nach kürzester Zeit aus den Augen.


      Wenige Millimeter von der Leinwand entfernt, halte ich inne. Was macht er da? Ein breites Lächeln erscheint auf seinem Gesicht, während er wieder Richtung Schule läuft. Meine Hand beginnt zu zittern und ich beuge mich nach links, um zu sehen, was passiert.
      Da ist ein Mädchen. In meinem Alter ungefähr, hübsch ist sie. Sie kommt mir vage bekannt vor… Ich glaube, wir haben mal etwas zu dritt gemacht. Vielleicht waren wir auch befreundet. Aber mein Hirn will mich nicht mit Erinnerungen an sie versorgen. Es will gar nichts mehr machen und als er sie küsst, setzt alles in mir aus.

      Wir stehen an der Tür, alleine. Es ist weit nach Mitternacht, in fünf Stunden geht mein Flug und alle sind gegangen. Alle bis auf ihn. Ich fröstele, aber als er mit seinem Handrücken meinen Arm heraus und runter fährt, kommt meine Gänsehaut davon.
      „Es tut mir leid“, sage ich.
      „Ich weiß. Aber ich verzeihe dir trotzdem nicht.“
      Aber er sagt es mit einem Lächeln, diesem süßen Grinsen und mir ist klar, dass er mir schon längst vergeben hat.
      „Pass auf dich auf“, murmelt er, seine Lippen an meinem Hals.
      Ich muss hart schlucken, keuche auf. „Es wird kalt“, sage ich. Vielleicht zieht sogar ein Unwetter auf. „Du solltest nach Hause gehen.“
      Er lässt von mir ab und nickt. Erst am Tor dreht er sich nochmal um.
      „Ich liebe dich.“


      Der Pinsel fällt mir aus der Hand und die Linie, die er auf der Leinwand zieht, ist perfekt. Er läuft händchenhaltend mit ihr weg, während bei mir der Blitz einschlägt.
      "Wir haben Angst zu fallen, nicht zu springen."

      ~ Meine Geschichten ~
      Schm*rz

      Sie weinte. Sie weinte schon wieder und ich stand hinter der Tür, wo sie mich nicht sehen konnte, und lauschte ihrem Schluchzen und Keuchen und mir war, als könnte ich sogar die Tränen zu Boden fallen hören. Es tat weh, es tat mir so unglaublich weh, dass sie weinte, da, auf dem harten Boden und ich rein gar nichts tun konnte, um ihr zu helfen. Ich ballte die Hände zu Fäusten, krallte mir die Fingernägel in die Handfläche und konzentrierte mich auf den schm*rz.

      Ich hätte gehen sollen.

      Ich hätte eigentlich gehen und sie allein lassen sollen. Sie würde mich hassen, wenn sie wüsste, dass ich hier stand und ihr beim Weinen zuhörte. Aber ich konnte nicht anders. Sie war alles für mich und es gab mal eine Zeit, da war ich auch alles für sie gewesen. Das war jetzt zwei Monate her und fühlte sich für mich an wie die Dauer von zwei Leben. Ich vermisste sie. So sehr, dass ich manchmal ganz leer war, nicht mehr wusste, was ich machen sollte, wie ich mit mir selbst umgehen sollte und dass ich so viel Kraft brauchte, um Tag für Tag zu überleben. Es tat so weh.

      Ich ging aber nicht, sonder lehnte mich an den Schrank hinter mir. Ich wusste, dass sie dort Handtücher und Bettwäsche aufbewahrte – Sachen, die ich selbst schon unzählige Male hier benutzt habe, die ich für selbstverständlich gehalten habe und an die ich keine Gedanken verschwendet habe.
      Ich seufzte und wünschte mir, in ihrem warmen Bett zu liegen, in ihrer Dusche zu duschen, die nur lauwarmes Wasser ausgab und sie mit einem Frühstück zu überraschen.
      Wahrscheinlich wäre ich einfach umkippen, wenn ich die Augen geschlossen hätte, also zwang ich mich, das br*nn*n auszuhalten und starrte geradeaus. Da war dieses Bild. Ich glaubte es noch nie gesehen zu haben, dabei musste es ein riesiger Teil ihres Lebens sein. Da waren Mama und Papa, sie und ich und Scotty, der Labrador. Ich konnte nicht anders, als das Foto zu fixieren. Wir lachten. Wir sahen aus wie eine Familie.

      Ich fragte mich, wann das war. Ich zermarterte mir den Kopf. Ich wusste es nicht. Ich war mir nicht mehr sicher, ob wir das überhaupt wirklich waren. Ich, ich, ich… Ich dachte zu viel.

      Die Tür fiel ins Schloss und ich zuckte zusammen. Er war da. Ich presste mich gegen den Schrank, wäre zu gern darin verschwunden und so wie Lucy, mein Lieblingscharakter aus dem Buch, nach Narnia verschwunden war.
      Aber ich lebte nicht in einer Fantasiewelt und das war ein normaler Holzschrank und außerdem war ich außerstande, mich zu bewegen.
      Also wartete ich, zählte seine Schritte, bis er bei mir war und ich seinen Atem und seine Hand auf meinem Arm spürte. Neun. Neun Schritte. Fast hätte ich gelacht, es war so seltsam. Vor neun Wochen ist Mama g*st*rb*n und die Welt meiner Schwester zusammengebrochen. Papa hatte sich alle Mühe gegeben, aber mit meiner Mutter wurde auch das, was unsre Familie ausgemacht hatte, begraben.

      Er sah mich aus tieftraurigen Augen an, aber ich wusste, dass seine Trauer und sein Mitgefühl eigentlich ihr galten.

      „Ich kann ihr nicht helfen“, flüsterte ich erstickt. „Es tut mir so leid. Sie ist am Boden zerstört, aber ich kann ihr nicht aufhelfen.“

      Er lächelte dieses Lächeln, das kein Lächeln war und ging zwei Schritte weiter. Richtung Badezimmer. Er wollte duschen, drehte das Wasser auf und mit dem lauwarmen Wasser kamen auch meine Tränen. Ich wusste, dass sie mich hörte, dass sie die Luft anhalten würde.
      Aber ich konnte nicht mehr.
      Es tat so weh.
      Die Gedanken verschwanden. Die Kontrolle verschwand.

      Ich ging langsam. Auf Zehenspitzen. Ich ging zu ihr. Legte mich neben sie, sah sie an.
      Ihre verquollenen, roten Augen.
      Sie schaute zurück und ich erkannte ihr Flehen, wieder zu gehen.
      Aber ich blieb.
      Ich lag neben ihr und wenn es möglich gewesen wäre, wäre ich für immer hier liegengeblieben.

      Ich habe ihr nicht aufhelfen können. Aber ich habe mich zu ihr auf den Boden gelegt und ihre Hand gehalten. Wir haben zusammen geweint.
      Wir waren zusammen ganz unten und dann sind wir zusammen wieder aufgestanden.

      xXx

      Danke für's Lesen! Kommentare werden geherzt! ♥
      "Wir haben Angst zu fallen, nicht zu springen."

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