Stärker Fühlen wollen- ist das allgemein überhaupt gut?

      Stärker Fühlen wollen- ist das allgemein überhaupt gut?

      Ich habe mich vorhin seit langem mal wieder verletzt, eigentlich völlig unerwartet.
      Danach war ich ziemlich durch den Wind.
      Nachdem ich mich früher in erster Linie verletzt habe, um meine Autoaggressionen loszuwerden (bzw. immer annahm dass das der Hauptgrund wäre), habe ich nun gemerkt, dass ich diesmal- und auch ein paar mal vorher- für ein starkes Gefühl getan habe. Das es natürlich nicht gut ist und nicht hilft. Dass es aber auch schwierig ist mir Alternativen zu suchen. Alkohol oder Drogen sind ohnehin keine sinnvolle Alternative, auch wenn noch viel wirkungsvoller.
      Schwächere was-fühlen-Skills wären emotionale Gespräche mit anderen Menschen, Erfolge, Fressanfälle, Reisen, Sport, nachts durch den Park laufen oder schreiend über die Straße rennen.
      Mein Problem damit ist, dass ich merke, wie ich je mehr ich fühle, es immer weniger aushalte nichts oder weniger zu fühlen. Also auch wenn es um die vermeintlich gesunden Varianten geht. Ich meine, wie kann man diese "Sucht" nach starkem Fühlen bekämpfen? Gefühle müssen sein. Aber wenn sie im Rahmen bleiben müssen, machen sie mich unglücklich und einsam. Und wenn sie dann stärker werden- ja bewusst von mir auch stärker getriggert werden- kontrollieren sie mich und machen mich kaputt, sind unglaublich Kräfte zehrend. Neurotransmitter müssen sich ja auch irgendwann erholen. Und wie bei einer substanzgebundenen Sucht schwächt sich ihre Wirkung mit der Zeit. Ich weiß nicht ob die Analogie vermessen ist? Neurobiologisch nicht, aber insgesamt. Ich weiß nur nicht wie ich es anders beschreiben soll.
      Natürlich, instinktiv strebe ich also danach immer mehr zu wollen, aber ich weiß, dass es nicht gut ist. Weiß dass es nicht gehen kann. ich habe das Gefühl auf einer verrückten Suche nach dem Leben zu sein ohne zu wissen wo ich hin will. Ich habe das Gefühl, mir alles dadurch zu verbauen. Ich habe das Gefühl, mich selbst wahnsinnig einsam zu machen.
      Hat vielleicht jemand Ideen wie man aus diesem Zwiespalt rausfindet? ...kann mir vorstellen dass es einige hier kennen dürften...
      "Some people like business, some people like numbers,
      Some people grow organic heirloom cucumbers,
      And only feel free with their hands in the dirt
      In a pair of old jeans and their favorite t-shirt
      Some people feel enslaved when they have a boss,
      Some people without one feel totally lost.
      To make this world work it takes all different kinds.
      We have all different tastes, different strengths, different minds..."
      (Kimya Dawson, "Same Shit")
      Hallo feldsalat,

      Dein Posting hat mich sehr an mich selbst erinnert. Ich habe diese sehr starke Gefühls-Sehnsucht nicht ständig (bei dir klingt es so, als wäre es eher ein täglicher Begleiter), aber phasenweise treibt sie mich zu Verzweiflungstaten.
      Dann pushe ich ein Gefühl (sowohl pos. als auch neg.) so lange, bis es nicht mehr weiter geht, oft erreiche ich aber nicht das Gewünschte. SvV spielt dabei auch eine Rolle und der Wunsch nach Drogen ist in diesen Situationen auch sehr ausgeprägt.
      Ich weiß, dass ich diese Sehnsucht auf diese Weise niemals stillen kann, denn ich denke eigentlich will ich mich nur wieder mit der Welt verbunden fühlen. Wie ich dahin komme, weiß ich noch nicht so genau.
      Aber für den Anfang habe ich mir vorgenommen, erst einmal mit den Gefühlen klar zu kommen, die ich derzeit habe und nicht in Versuche zu investieren, Gefühle herbeizulocken, die ich gerne hätte.
      Ein bisschen habe ich dann die Hoffnung, dass die Zufriedenheit dann von alleine kommt...
      Und das ist es ja wohl auch, was du anstrebst.

      Ich überleg grad die ganze Zeit wie ich mich ausdrücken soll, vielleicht macht es für dich ja jetzt wenig Sinn, aber ich versuch mal das anzustreifen, was weniger durch Worte in meinem Hirn verankert ist, sondern eher eine "Bauchgefühl"-Angelegenheit darstellt.
      Ich bin in vielen Lebenseinstellungen melancholisch veranlagt. Und dieses Grundgefühl - Schmerz, der einen mit Freude - Glück, das einen mit Leid erfüllt - versuche ich in meinem Alltag in mein Handeln umzusetzen.
      Ich tue also etwas passend zu meinen Emotionen, was mir auch hilft sie dann genussvoller zu erfahren als wenn immer nur ein Zweck hinter meinem Handeln steckt (erfahre mehr, mehr , mehr!!!)
      Mit dieser Einstellung fällt es mir derzeit leichter, auch kleine Alltagsmomente wert zu schätzen und zu genießen:
      Die Fahrt aus dem Nebel in den Sonnenaufgang, das Umarmen eines verschmusten Kindes, das Dichten von Liedern über Sehnsüchte und Weltschmerz, das Malen von Bildern als Gefühlsausdruck, anderen die Schönheit des Augenblicks über Worte und ein Lächeln näherbringen, barfuss laufen durch einen sich zur Ruhe legenden Wald, sehnsuchtsvolles Verfolgen eines Vogelschwarms, der erste Schluck aus der Kaffeetasse in einem eiskalten Zimmer...
      Und dann merke ich, ich liebe das Leben. So wie es ist.
      Auch wenn mir immer und immer der Hintergedanke bleibt:
      Es ist egal was andre denken, sagen, fühlen und versteh'n
      Du wirst die Welt alleine geh'n

      Und so bleibt die Sehnsucht nach dem Verbundensein mit der Welt in jedem Augenblick und somit auch eine mehr oder weniger tiefe Traurigkeit.
      Aber die Jagd nach all dem was sein könnte, was Gefühlskicks hervorruft, hat eine Pause...

      Ich weiß nicht ob du dir daraus was nützliches ableiten kannst, ich hätte es wahrscheinlich nicht können wenn ich gerade starken Gefühlen hinterherjagen würde. Aber nach ein paar besinnlicheren Tagen habe ich für mich den Wert der Melancholie wiederentdeckt, u.a. auch deshalb, weil sie den Schmerz nicht verleugnet, den ich nicht bannen kann, was die ganzen Glücksbuchratgeber-Lesenden (zu denen ich auch mal gehörte) so verzweifelt versuchen.

      Ich wünsche dir ein verweilen im Augenblick,
      guessnoname
      Das Leben ist ein schmaler Pfad - rechts und links ein steiler Abhang. Es ist leicht hinunter zu rutschen, aber schwer, wieder rauf zu klettern.
      Liebe guessnoname,

      Vielen Dank für deine Antwort!!
      Ich weiß gar nicht, ob das was ich beschrieben habe bei mir wirklich ein ständiger Begleiter ist, aber zur Zeit scheint es so. Es ist ziemlich erschöpfend, weil ich mich selbst überhaupt nicht zur Ruhe kommen lassen kann. Im Frühjahr bin ich zwei Monate durch Australien gereist und habe mir bewusst die Zeit genommen, einfach nur zu sitzen oder zu laufen oder im Bus zu sitzen. Nachzudenken, vor mich hin zu singen, aufs Meer zu schauen dem Meer zuzuhören, mit den Füßen durchs Meer zu waten, am liebsten Abends wenn ich allein war.
      Die kleinen Alltagsmomente zu schätzen, ähnlich wie du es auch beschreibst. Und nachdem ich mich erstmal darauf eingelassen habe, war es eine zeit lang wunderbar möglich und hat mir ziemlich viel Kraft gegeben. Mit dieser Kraft habe ich dann leider im Frühling ziemlich um mich geworfen, habe viel zu viel auf einmal begonnen und mich erstens ziemlich in Schwierigkeiten gebracht und außerdem zu-viel-Alkohol so richtig für mich entdeckt. Ich überlege ob das vielleicht auch damit zu tun hat. Vor einer Woche habe ich nach zwei Abstürzen hintereinander beschlossen diesen Monat nichts mehr zu trinken, ein paar Tage lang war ich krank, da hat das funktioniert, die letzten drei tage leider nicht. Auch wenn mein Trinkverhalten bei weitem nicht bedenklich oder gefährlich ist, erschreckt es mich, dass ich es doch so wenig durchhalte. Ein Disziplinschwäche, die leider auch allgemein ein eindeutiges Problem von mir ist.
      Ich habe nach dem lesen deines Postings nochmal präziser darüber nachgedacht was ich mit "Fühlen" meine. Vorallem Euphorie. Aber auch alles was mit Adrenalin zu tun hat. Oder mit Leichtigkeit. Positives vorallem. Positives kann doch eigentlich nicht schlecht sein?
      Was ist unser Lebensziel? Nicht das erleben von möglichst viel Positivem?
      Andererseits ist ein "postiv" ja auch zeitlich gesehen. Ich möchte alles sein, können und erleben und gleichzeitig möchte ich jetzt leben! Ist das denn ein Widerspruch?
      Insofern als dass ich meinen Alltag ganz gut meistere nicht. Insofern als dass ich mir das schwer mache, indem ich mich kaputt mache, aber doch. Aber was heißt "kaputt machen". Drastisch ausgedrückt: Ist nicht auch ein kurzes erfülltes Leben viel wert? Aber was ist kurz? Und was ist erfüllt? Und in welchen Raum begibt man sich, in dem man Gleichgesinnte findet ohne dass es völlig destruktiv ist? Wo ist die Grenze zwischen leeren Worthülsen, Smalltalk, blindem Funktionieren und unfassbar nichtig scheinenden Alltagsproblemchen auf der einen Seite und gefährlicher Bedingungslosigkeit, Genusssucht und Wahnsinn. Kann man auf so einer Grenze überhaupt (über)leben?

      Ich habe seit Monaten das Gefühl: So kann es nicht weiter gehen.
      Aber es geht weiter!
      Also wie viel ist so ein Gefühl überhaupt wert?
      Wie kann ich mich selbst einfach ein wenig blinder machen?

      Entschuldigung für die vielen Fragen, mein Denken ist grad wenig konvergent, wenig lenkbar...
      "Some people like business, some people like numbers,
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      Some people without one feel totally lost.
      To make this world work it takes all different kinds.
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      (Kimya Dawson, "Same Shit")
      Hallo feldsalat,

      Ich möchte alles sein, können und erleben und gleichzeitig möchte ich jetzt leben! Ist das denn ein Widerspruch?
      Mhm, das kenn ich, v.a. aus meiner Jugend, aber auch später noch.
      Du stellst viele Fragen, nach Sinn und Lebensinhalt, die wohl kaum ein anderer Mensch für dich beantworten kann.
      Eine Sache die ich oft bedacht habe, wenn sich mir mal wieder so grundlegende Fragen gestellt haben: Welches Leben muss ich gelebt haben/leben, damit ich entspannt ins Alter gehen kann und letztendlich auf dem Sterbebett ein Lächeln tragen kann?
      Das scheint jetzt vielleicht etwas seltsam zu klingen, aber da haben sich mir eben Dinge offenbart, die mir wirklich wichtig sind, über Fragen wie:

      Geht es wirklich darum, das Leben wie eine Zitrone auszupressen, möglichst alles was geht herausquetschen?
      Oder bin ich eher wie ein Wurm, der sich durch einen "Lebens"-Apfel frisst. Mal hierhin und mal dorthin, aber letztendlich schmeckt alles gut wenn man gelernt hat zu genießen.
      Und ist es mir wichtig, etwas auf der Welt zurück zu lassen? Eine Spur? Und wenn ja, was für eine?
      Was will ich den Menschen schenken (wenn überhaupt)?
      Was ist wichtiger: nehmen oder geben?

      Das sind Fragen, die ich mir immer mal wieder stelle. Manchmal helfen sie, manchmal nerven sie, manchmal scheiß ich drauf.
      Aber eine grobe Richtung habe ich eingeschlagen und lerne derzeit damit locker und ungezwungen umzugehen, ohne mir Druck zu machen.

      Ich habe leider keine Antworten für dich und das Spannungsfeld welches du beschreibst klingt sehr anstrengend.
      Es gibt natürlich auch genug Adrenalinjunkies da draußen, es klingt etwas danach, als würde sich dein Leben auch in die Richtung entwickeln. Immer auf der Suche nach dem Kick.
      Und das wird ja heutzutage auch als völlig normal angesehen. Mein Bruder ist z.B. so einer, er lebt das über verschiedene Sportarten aus.
      Vielleicht hilft es dir ja, diese unbändigen Energien in eine bestimmte Richtung zu lenken um vielleicht nicht mehr dieser unkontrollierten Rauschsuche ausgeliefert zu sein?

      Ich hab mir aus diesem Grund z.B. überlegt, klettern zu gehen. Ich krieg aber auch emotionale Höhenflüge, wenn ich mich kreativ ausdrück, da muss jeder seinen Weg finden.
      Ich denke es ist sinnvoll, sowohl körperliche, also auch geistige Ventile zu finden, die einem Spaß machen.

      Aber das allerwichtigste ist mir zur Zeit einfach: Alles ohne Druck, Zwang und am besten auch ohne großartigen Sinn und Zweck, sondern einfach nur weil es sich gerade richtig anfühlt.
      Denn dann ist es Selbstausdruck und nicht der Druck, sich selbst möglichst intensiv wahrzunehmen. Aber ersteres führt eben meiner Erfahrung nach zur intensiven Wahrnehmung.

      Liebe Grüße,
      guessnoname
      Das Leben ist ein schmaler Pfad - rechts und links ein steiler Abhang. Es ist leicht hinunter zu rutschen, aber schwer, wieder rauf zu klettern.
      Geht es wirklich darum, das Leben wie eine Zitrone auszupressen, möglichst alles was geht herausquetschen?
      Darüber musste ich heute viel nachdenken. Ich befürchte dass ich ziemlich genauso lebe. Überall dabei sein muss. Überall hin fahren muss. Jeden kennen muss. Jedem zuhören muss. Jedem alles erzählen muss. Sowohl geben als auch nehmen muss und zwar so viel wie möglich.
      Du hast recht. Sinnvoll ist das nicht. Obwohl es sich meistens auch richtig anfühlt. Und obwohl ich oft das Gefühl habe viel zu machen, finde ich an Tagen wie heute wo ich den ganzen Abend frei habe, die Ruhe nicht. Vielleicht ist das auch eine Begleiterscheinung der Einsamkeit. Wie oft ich mir wünsche, dass irgendwo jemand auf mich wartet, ich vielleicht allein dann ruhiger werde.
      Ich habe einen wunderbaren Sport, der mir nun für die Wintersemesterferien einen Job in Südafrika beschert hat. Heute habe ich den Flug gebucht und freue mich wahnsinnig. Ich studiere das, was ich immer wollte. Ich wohne in einer tollen Stadt, in einer tollen WG.
      Trotzdem bleibt der Beigeschmack der Flucht. Ich frage mich, ob ich merke, wie mein Leben an mir vorbei zieht. Worauf ich eigentlich so versessen warte. Und gleichzeitig würde ich gerne die Zeit anhalten.
      Es stimmt etwas nicht, vielleicht sogar einiges. Aber egal was ich meine zu ändern, es ändert sich nichts. Dieses festgefahrene, engstirnige Denken, was ich so verachte, ist genau das was ich dennoch täglich, ständig praktiziere. Ich möchte gar nicht so sehr eine bleibende Spur hinterlassen. Aber ja, ich würde gerne mehr geben, mehr sein. Und weiß, dass mir genau dafür die Ruhe und das Selbstvertrauen fehlt.
      Vielleicht ist es auch das was ich Suche? Muss man dafür einfach nur älter werden? Oder eine Therapie machen? Oder die Erfahrung zu lieben und geliebt zu werden? Ich weiß es so wenig und wüsste es so gerne...
      "Some people like business, some people like numbers,
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      (Kimya Dawson, "Same Shit")