Es war einmal eine Uhr. Die hatte schon viele Jahre ihres Uhrenlebens hinter sich. Viele Sekunden, Minuten, Stunden, ja Tage, Monate, Jahre hatte sie versucht das zu machen, wofür sie ihrer Meinung nach bestimmt schien – zu funktionieren, zu laufen und immer gewissenhaft die aktuelle Zeit anzuzeigen.
Jetzt lag sie in der obersten Schublade einer alten Kommode. Der Staub hatte sich überall um sie herum breit gemacht und sich auch auf ihr gemütlich niedergelassen. Wie sie ihn hasste, diesen Staub. Aber ohne ihr zuverlässiges Funktionieren würde sie nie wieder aus dieser Schubladenecke in dieser alten Kommode herausgenommen werden.
Und genau da war der Haken.
Sie war von Anfang an nicht richtig gelaufen, jedenfalls war das so ihre Meinung, wie ihre Träger oder Trägerinnen es wohl von ihr erwarteten. Sie hatte das doch auch immer von anderen Uhren gehört, dass man funktionieren müsse, einfach so. Genau das war das Problem. So sehr sie sich auch anstrengte, es wollte ihr einfach nicht gelingen zu funktionieren, richtig pünktlich die Zeit anzuzeigen. Ihr Besitzer hatte sie zu mehreren Uhrmachern gebracht. Ihr wisst schon, die mit den goldenen Türschildern, in die mit großen geschwungenen Buchstaben der Schriftzug „Uhrmachermeister“ eingraviert war. Aber all die Versuche der Meister schlugen fehl.
Wenn sie es dann mal schaffte, ein paar Minuten, Stunden oder Tage richtig zu gehen, dann kam doch der Zeitpunkt, da hakelte oder klemmte es. Und vorbei war es wieder mit der schönen Zeit am Arm getragen zu werden, ab und an den Strahl des Sonnenscheins auf sich spiegeln zu spüren, ab und an mit einem weichen wolligen Tuch abgewischt zu werden. Das Abwischen hatte sie immer wie ein Streicheln für sich empfunden. Nun lag sie schon wieder eine lange Zeit in der Kommode, in der obersten Schublade, aber keiner wollte mehr etwas von ihr wissen, geschweige denn die Zeit von ihr angezeigt bekommen.
So wie mit der Zeit der Staub um sie herum und auf ihr immer dicker wurde, so wuchs auch in ihr die Unzufriedenheit. Ja man könnte schon fast sagen, die Uhr begann sich zu hassen. Nein, man muss ein bisschen genauer sein, sie begann sich und ihre Eigenschaften zu hassen. Waren sie es doch, die dazu geführt hatten. Sie ging nicht mehr oder tat sich unheimlich schwer. Dabei wollte sie doch einfach nur zuverlässig die Zeit anzeigen. Und auffallen wollte sie schon gar nicht mehr.
Früher, ja früher, hatte sie immer gedacht, sie wäre etwas Besonderes. Jedenfalls hatte das ihr Besitzer immer gemurmelt, wenn er sie aus der Schatulle holte, ihr mit dem Zeigefinger zärtlich über das Glas streichelte und sie dann ganz behutsam um sein linkes Handgelenk legte. Wie Musik klang es dann immer in ihren Ohren, wenn der Verschluss des Armbands so ein leises „Klick“ machte. Du weißt schon, wenn die Bandschnalle geschlossen wurde. Ach was war das früher für ein tolles Gefühl. Sie war doch so einzigartig. Jedenfalls hatte das der Besitzer immer so vor sich hingemurmelt, wenn er dann ganz behutsam den Hemdenärmel über die Uhr zog. Fast schon zärtlich war das. Ja, das mochte sie immer, die Uhr.
Die Schublade wurde geöffnet und herein schaute ein kleiner blauer Samtbeutel. Oh wie sie ihn hasste, diesen Samtbeutel. Immer, wenn dieser Samtbeutel auftauchte, wurde sie hineingesteckt und dann wieder zu einem Uhrmacher gebracht. Ob das heute auch wieder so sein sollte? Die Uhr hatte Recht. Auch heute wurde sie wieder zu einem Uhrmacher gebracht. Worte wie „Ungenaue Zeit“ und „unzuverlässig“ drangen dumpf durch den Samtbeutel an ihr Uhrenherz. Wieder so ein Profi, der an ihr rumfummeln würde. Und wieder würde es am Ende heißen: „da kann ich nicht helfen. Ich finde die Ursache nicht.“ Sie malte sich schon das Ergebnis aus.
Doch diese Mal sollte es anders verlaufen.
Als die Uhr aus dem Samtbeutel gezogen wurde, musste sie erst ein wenig blinzeln. Es war sehr hell um sie herum und ein paar dunkelbraune Augen schauten sie fragend an. Was die wohl finden würden? Ob die überhaupt etwas finden würden? Man kannte sie ja schon, diese Uhrmacher. Meister nannten die sich immer alle. Aber geholfen hatten sie ihr nie, jedenfalls nie so richtig gründlich und langanhaltend. Manchmal gab es kleine Momente, wo die Uhr das Gefühl hatte, jetzt, ja jetzt funktioniere ich. Aber dann war da wieder so ein Ruckeln und Klappern und alles war wieder wie immer. Es hatte einfach keinen Wert. Warum sollte es diese Mal anders sein? Sie wollte doch gar keine besondere Uhr sein, nur noch einfach funktionieren, jede Minute, jede Stunde, jeden Tag. Höchstens vielleicht ab und an mal ein bisschen daneben gehen, die Zeit vielleicht um fünf Sekunden falsch anzeigen. Dies ließe sich ja dann immer wieder korrigieren. Man müsste ja nur an dem Stellrädchen drehen. Schon würde sie wieder funktionieren. Und immer genau das tun, wofür sie in ihren Augen bestimmt war, zu funktionieren und die Zeit genau anzuzeigen. Ausnahmen nicht erlaubt.
Vor die braunen Augen wurde eine Brille mit glubschigen Gläsern geschoben und das Licht wurde noch intensiver, noch heller. Dann näherte sich ihr eine Hand mit einem kleinen Uhrenöffner und … schwupps … sprang der Uhrenboden auf den Tisch. Wie nackt sich doch die Uhr immer vorkam, wenn ihr der Uhrenboden entfernt worden war.
Dann war da immer die Pinzette mit ihren scharfen Spitzen. Die kratzten immer so auf ihren Zahnrädchen und Hebelchen, wenn sie so darüber strichen. Doch diese Mal war irgendetwas anders. Gedreht wurde sie und von allen Seiten beleuchtet, so als ob der Schein der Leuchte bis in ihre hintersten Winkel dringen sollte. Da war ihre empfindlichste Stelle. Und die sollte wohl sichtbar werden. Wie sie es hasste, wenn dieser Schein so um jede Ecke leuchtete. Nichts konnte man vor ihm verborgen halten. Wie ausgezogen kam sich die Uhr vor.
„Irgendetwas muss doch dazu führen, dass du nicht mehr rund läufst.“
Wer sprach da? War sie etwa gemeint? Sollte da wirklich jemand mit Geduld und Verstand sitzen und sich um sie und die Lösung ihres Problems bemühen wollen? Eigentlich sprachen ihre bisherigen Erfahrungen dagegen und eigentlich … ja eigentlich hatte sie doch gar keine Lust mehr. Die Uhr dachte bei sich: nun mach schon du Meister. Ich will doch nur einfach funktionieren. Das kann doch nicht so schwer sein.
Die prüfenden Augen betrachteten weiter jedes einzelne Rädchen in der Uhr. Jeder einzelne Lagerstein wurde im Licht der Leuchte im wahrsten Sinn des Wortes unter die Lupe genommen.
„Hm, du da. Bei dir scheint es nicht zu stimmen.“
Wer? Wo?
Vorsichtig näherte sich ein Schraubendreher ihren kleinen Schrauben und löste diese. Dann wurden Teil für Teil die Halterung und einige größere Zahnräder entfernt. Zuletzt blieb nur noch die Unruhe mit ihrer Feder und dem ersten kleinen Zahnrad übrig. Vorsichtig hob die Pinzette dieses kleine Zahnrad aus seiner Halterung. Wie winzig, wie zerbrechlich doch dieses kleine Ding aussah. Und dieses kleine Ding sollte dafür verantwortlich sein, dass sie nicht richtig funktionierte. Blödsinn dachte die Uhr bei sich. Wieder so ein Besserwisser.
Und doch. Wenn die Uhr es sich so richtig überlegte, das hatte sie immer an dieser Stelle von Unwohlsein geklagt. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass da irgendwo in der Ecke etwas nicht rund laufen müsste. Aber wie erklärt man einem Uhrmacher, wo einen das Zahnrad drückt, wo immer dieses Unwohlsein herkam, wo es immer schmerzte. Und wer hatte schon Lust, wenn es immer weh tat zu funktionieren. Wie sollte sie rund laufen und die Zeit einhalten, wenn jeder Schritt, jeder Klick des Zahnrades schwer lief, ja fast unmöglich schien?
Behutsam wurde das Zahnrad zwischen den Pinzettenspitzen nach allen Seiten gedreht.
„Irgendwie ist deine Achse nicht ganz in der Mitte“, murmelte die Stimme. „Und eine Zahnflanke ist auch schon ziemlich abgewetzt. Wahrscheinlich wurde zu lange immer wieder und mit allen Mittel versucht, dich zum Funktionieren zu bringen. Das sieht so nach Kratzspuren von meinen Kollegen aus.“
Die Uhr dachte über die Worte nach, denn sie hatte ja eines – viel Zeit.
Jetzt lag sie in der obersten Schublade einer alten Kommode. Der Staub hatte sich überall um sie herum breit gemacht und sich auch auf ihr gemütlich niedergelassen. Wie sie ihn hasste, diesen Staub. Aber ohne ihr zuverlässiges Funktionieren würde sie nie wieder aus dieser Schubladenecke in dieser alten Kommode herausgenommen werden.
Und genau da war der Haken.
Sie war von Anfang an nicht richtig gelaufen, jedenfalls war das so ihre Meinung, wie ihre Träger oder Trägerinnen es wohl von ihr erwarteten. Sie hatte das doch auch immer von anderen Uhren gehört, dass man funktionieren müsse, einfach so. Genau das war das Problem. So sehr sie sich auch anstrengte, es wollte ihr einfach nicht gelingen zu funktionieren, richtig pünktlich die Zeit anzuzeigen. Ihr Besitzer hatte sie zu mehreren Uhrmachern gebracht. Ihr wisst schon, die mit den goldenen Türschildern, in die mit großen geschwungenen Buchstaben der Schriftzug „Uhrmachermeister“ eingraviert war. Aber all die Versuche der Meister schlugen fehl.
Wenn sie es dann mal schaffte, ein paar Minuten, Stunden oder Tage richtig zu gehen, dann kam doch der Zeitpunkt, da hakelte oder klemmte es. Und vorbei war es wieder mit der schönen Zeit am Arm getragen zu werden, ab und an den Strahl des Sonnenscheins auf sich spiegeln zu spüren, ab und an mit einem weichen wolligen Tuch abgewischt zu werden. Das Abwischen hatte sie immer wie ein Streicheln für sich empfunden. Nun lag sie schon wieder eine lange Zeit in der Kommode, in der obersten Schublade, aber keiner wollte mehr etwas von ihr wissen, geschweige denn die Zeit von ihr angezeigt bekommen.
So wie mit der Zeit der Staub um sie herum und auf ihr immer dicker wurde, so wuchs auch in ihr die Unzufriedenheit. Ja man könnte schon fast sagen, die Uhr begann sich zu hassen. Nein, man muss ein bisschen genauer sein, sie begann sich und ihre Eigenschaften zu hassen. Waren sie es doch, die dazu geführt hatten. Sie ging nicht mehr oder tat sich unheimlich schwer. Dabei wollte sie doch einfach nur zuverlässig die Zeit anzeigen. Und auffallen wollte sie schon gar nicht mehr.
Früher, ja früher, hatte sie immer gedacht, sie wäre etwas Besonderes. Jedenfalls hatte das ihr Besitzer immer gemurmelt, wenn er sie aus der Schatulle holte, ihr mit dem Zeigefinger zärtlich über das Glas streichelte und sie dann ganz behutsam um sein linkes Handgelenk legte. Wie Musik klang es dann immer in ihren Ohren, wenn der Verschluss des Armbands so ein leises „Klick“ machte. Du weißt schon, wenn die Bandschnalle geschlossen wurde. Ach was war das früher für ein tolles Gefühl. Sie war doch so einzigartig. Jedenfalls hatte das der Besitzer immer so vor sich hingemurmelt, wenn er dann ganz behutsam den Hemdenärmel über die Uhr zog. Fast schon zärtlich war das. Ja, das mochte sie immer, die Uhr.
Die Schublade wurde geöffnet und herein schaute ein kleiner blauer Samtbeutel. Oh wie sie ihn hasste, diesen Samtbeutel. Immer, wenn dieser Samtbeutel auftauchte, wurde sie hineingesteckt und dann wieder zu einem Uhrmacher gebracht. Ob das heute auch wieder so sein sollte? Die Uhr hatte Recht. Auch heute wurde sie wieder zu einem Uhrmacher gebracht. Worte wie „Ungenaue Zeit“ und „unzuverlässig“ drangen dumpf durch den Samtbeutel an ihr Uhrenherz. Wieder so ein Profi, der an ihr rumfummeln würde. Und wieder würde es am Ende heißen: „da kann ich nicht helfen. Ich finde die Ursache nicht.“ Sie malte sich schon das Ergebnis aus.
Doch diese Mal sollte es anders verlaufen.
Als die Uhr aus dem Samtbeutel gezogen wurde, musste sie erst ein wenig blinzeln. Es war sehr hell um sie herum und ein paar dunkelbraune Augen schauten sie fragend an. Was die wohl finden würden? Ob die überhaupt etwas finden würden? Man kannte sie ja schon, diese Uhrmacher. Meister nannten die sich immer alle. Aber geholfen hatten sie ihr nie, jedenfalls nie so richtig gründlich und langanhaltend. Manchmal gab es kleine Momente, wo die Uhr das Gefühl hatte, jetzt, ja jetzt funktioniere ich. Aber dann war da wieder so ein Ruckeln und Klappern und alles war wieder wie immer. Es hatte einfach keinen Wert. Warum sollte es diese Mal anders sein? Sie wollte doch gar keine besondere Uhr sein, nur noch einfach funktionieren, jede Minute, jede Stunde, jeden Tag. Höchstens vielleicht ab und an mal ein bisschen daneben gehen, die Zeit vielleicht um fünf Sekunden falsch anzeigen. Dies ließe sich ja dann immer wieder korrigieren. Man müsste ja nur an dem Stellrädchen drehen. Schon würde sie wieder funktionieren. Und immer genau das tun, wofür sie in ihren Augen bestimmt war, zu funktionieren und die Zeit genau anzuzeigen. Ausnahmen nicht erlaubt.
Vor die braunen Augen wurde eine Brille mit glubschigen Gläsern geschoben und das Licht wurde noch intensiver, noch heller. Dann näherte sich ihr eine Hand mit einem kleinen Uhrenöffner und … schwupps … sprang der Uhrenboden auf den Tisch. Wie nackt sich doch die Uhr immer vorkam, wenn ihr der Uhrenboden entfernt worden war.
Dann war da immer die Pinzette mit ihren scharfen Spitzen. Die kratzten immer so auf ihren Zahnrädchen und Hebelchen, wenn sie so darüber strichen. Doch diese Mal war irgendetwas anders. Gedreht wurde sie und von allen Seiten beleuchtet, so als ob der Schein der Leuchte bis in ihre hintersten Winkel dringen sollte. Da war ihre empfindlichste Stelle. Und die sollte wohl sichtbar werden. Wie sie es hasste, wenn dieser Schein so um jede Ecke leuchtete. Nichts konnte man vor ihm verborgen halten. Wie ausgezogen kam sich die Uhr vor.
„Irgendetwas muss doch dazu führen, dass du nicht mehr rund läufst.“
Wer sprach da? War sie etwa gemeint? Sollte da wirklich jemand mit Geduld und Verstand sitzen und sich um sie und die Lösung ihres Problems bemühen wollen? Eigentlich sprachen ihre bisherigen Erfahrungen dagegen und eigentlich … ja eigentlich hatte sie doch gar keine Lust mehr. Die Uhr dachte bei sich: nun mach schon du Meister. Ich will doch nur einfach funktionieren. Das kann doch nicht so schwer sein.
Die prüfenden Augen betrachteten weiter jedes einzelne Rädchen in der Uhr. Jeder einzelne Lagerstein wurde im Licht der Leuchte im wahrsten Sinn des Wortes unter die Lupe genommen.
„Hm, du da. Bei dir scheint es nicht zu stimmen.“
Wer? Wo?
Vorsichtig näherte sich ein Schraubendreher ihren kleinen Schrauben und löste diese. Dann wurden Teil für Teil die Halterung und einige größere Zahnräder entfernt. Zuletzt blieb nur noch die Unruhe mit ihrer Feder und dem ersten kleinen Zahnrad übrig. Vorsichtig hob die Pinzette dieses kleine Zahnrad aus seiner Halterung. Wie winzig, wie zerbrechlich doch dieses kleine Ding aussah. Und dieses kleine Ding sollte dafür verantwortlich sein, dass sie nicht richtig funktionierte. Blödsinn dachte die Uhr bei sich. Wieder so ein Besserwisser.
Und doch. Wenn die Uhr es sich so richtig überlegte, das hatte sie immer an dieser Stelle von Unwohlsein geklagt. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass da irgendwo in der Ecke etwas nicht rund laufen müsste. Aber wie erklärt man einem Uhrmacher, wo einen das Zahnrad drückt, wo immer dieses Unwohlsein herkam, wo es immer schmerzte. Und wer hatte schon Lust, wenn es immer weh tat zu funktionieren. Wie sollte sie rund laufen und die Zeit einhalten, wenn jeder Schritt, jeder Klick des Zahnrades schwer lief, ja fast unmöglich schien?
Behutsam wurde das Zahnrad zwischen den Pinzettenspitzen nach allen Seiten gedreht.
„Irgendwie ist deine Achse nicht ganz in der Mitte“, murmelte die Stimme. „Und eine Zahnflanke ist auch schon ziemlich abgewetzt. Wahrscheinlich wurde zu lange immer wieder und mit allen Mittel versucht, dich zum Funktionieren zu bringen. Das sieht so nach Kratzspuren von meinen Kollegen aus.“
Die Uhr dachte über die Worte nach, denn sie hatte ja eines – viel Zeit.