Elfenspiegel

      サンゴカク - Teil 1

      Ich wollte über dich schreiben. Die letzten Tage waren sehr bewegend. Dann aber fiel mir auf: das geht nicht. Ich kann nicht über dich schreiben … ich kann nur über uns schreiben.

      Wenn ich so zurückdenke, dann fällt mir als einschneidendes Erlebnis ein Sonntagsausflug mit meinen Eltern und meinem Bruder ein. Es war ein Tag im Mai, fast so wie heute. Meine Eltern hatten uns geweckt mit den Worten: „Aufstehn, ihr Schlafmützen. Wir machen einen Ausflug, denn es ist wunderschönes Wetter.“ Mit diesen Worten begann ein Tag, der im Nachhinein betrachtet, ein Meilenstein in meinem Leben werden sollte. Damals, als kleines Mädchen, habe ich davon noch nichts geahnt.

      Wir waren gespannt. Wohin sollte unser Ausflug gehen?

      Schließlich waren wir angekommen. Beklommen stieg ich aus dem Auto aus. Was sich da vor mir zeigte, erzeugte eine eigenartige Stimmung in mir. Am Eingang erhob sich ein riesengroßes rotes Tor. Dagegen wirkten selbst die Erwachsenen wie kleine Spielzeugfiguren. Seltsame Schriftzeichen waren auf einem Plakat daneben angebracht. Meine Eltern sagten: „das ist unsere Überraschung. Da gehen wir jetzt hinein und machen uns einen schönen Tag. Übrigens werden wir auch an einem kleinen See ein Picknick machen.“

      Was für ein Tag.

      Ich hatte überhaupt keine Vorstellung, was mich erwartete. Überall sah ich geschwungene Wege. Grün belaubte Farnwedel wechselten ab mit rot- oder lila blühenden kleinen Büschen. Irgendwo gluckerte Wasser. Ein Summen und Brummen war in der Luft. Schmetterlinge schwirrten mit den Vögeln um die Wette. Doch neben all den Tönen und Geräuschen war da etwas Eigenartiges. Das alles wirkte irgendwie nicht laut. Wenn ich es beschreiben wollte - es wirkte auf mich fast schon wie … Musik, ja … wie Musik. All die Geräusche und Töne klangen wie die Instrumente eines riesengroßen Orchesters, eines Naturorchesters, wenn ihr versteht. Und ich mittendrin. Ich glaube, ich war damals schrecklich aufgeregt und richtig berührt.

      Auf einer kleinen Lichtung an einem mit größeren Felsbrocken eingefassten See sah ich ihn das erste Mal. Mein Mund ging nicht mehr zu.
      Das hatte ich noch nie gesehen. Einen Baum mit feuerroten Ästen und grünen gezackten Blättern. Und selbst diese Blätter hatten einen schmalen feuerroten Rand. Er sah traumhaft schön aus, wie er da so stand. So etwas hatte ich noch nie gesehen. An einer Tafel schräg daneben war ein eigenartiges Bild aufgehängt. Es zeigte diesen Baum und darunter eine Frau, irgendwie fremdartig wirkend, mit einem weißen langen Gewand und einem kleinen weißen Schirm, den sie aufgespannt trug. Die Frisur dieser Frau wirkte auch absolut merkwürdig, schwarz und wie zu einem Knoten zusammengenommen. Aber da war nicht nur diese Abbildung. Nein, dieses Bild war nicht auf Papier gemalt. Es bestand aus zig feinen Holzstäben, die wie eine Leinwand zusammengebunden waren … und darauf war das Bild gemalt. Meine Augen konnten das alles gar nicht so richtig erfassen. Am Rand dieses Bildes waren Zeichen gemalt, senkrecht untereinander, wie die Botschaft aus einer anderen Welt sahen sie aus. Ich war tief beeindruckt … und stand sicherlich mit offenem Mund davor. So jedenfalls oft später die Schilderung meiner Eltern von diesem Moment.

      Aus der Erinnerung kann ich gar nicht mehr sagen, was mich damals mehr beeindruckt hat: das hölzerne Bild mit dieser fremdartigen Frau und den eigenartigen Zeichen oder der Baum mit seinen feuerroten Ästen und den gezackten grünen Blättern mit ihrem feuerroten Rand.

      Seit diesem Tag war dieses Bild in mir, hat mich wie ein lebendiges Wesen begleitet. Lacht nicht, ja ich habe es wie ein echt lebendiges Wesen empfunden. Ich muss mich korrigieren: ich habe ihn wie ein echtes lebendiges Wesen empfunden.

      Zwei Jahre später war wieder mal mein Geburtstag. Geburtstage waren aufregend, weil ich dann immer ein besonderes Geschenk bekam. Manchmal hatte ich schon so eine Vorahnung, was es sein könnte – oder vielleicht war es auch nur meine Erwartungshaltung. Dieses Mal hatte ich so gar keine Vorstellung. Es war der spannendste Moment, wenn ich ins Zimmer durfte, wo mein Geburtstagstisch auf mich wartete. Selbst die Schlafmütze, mein Bruder, stand da mit meinen Eltern, und sie sangen: „Heute kann es regnen, stürmen oder schneien …“ und dann kam die schönste Stelle für mich: „denn du strahlst ja selber wie der Sonnenschein.“ Mein Bruder hat sicherlich schrecklich gesungen, aber das machte in diesem Moment nichts. Ich hab ihn trotzdem dafür umarmt.

      Dann war da das Auspacken. Alle standen oder saßen da und schauten zu. Dieses Mal lag da nur ein langes etwas dickeres Päckchen auf dem Tisch. Ein Kerze mehr als letztes Jahr stand ebenfalls darauf und flackerte mit den anderen vor sich hin. „Du musst sie auspusten und dir was wünschen. Dann darfst du auspacken.“ Ich glaube heute, der war damals mindestens genau so aufgeregt wie ich, seine kleine Schwester.

      Schon waren die Kerzen ausgepustet und dann … Das Papier zerriss; aber das, was darin war, war komischerweise nochmals eingewickelt. Dieses Papier fühlte sich weicher an und war halb durchsichtig. Es schimmerten irgendwie eine Art Stäbchen hindurch. Ich glaube, ich muss es nicht weiter spannend machen, was dieses Mal mein Geburtstagsgeschenk war. Du hast es sicher schon erraten. Es war das hölzerne Bild von dieser fremdartigen Frau mit ihrem weißen Schirmchen , wie sie unter diesem Baum stand, der mit seinen feuerroten Ästen. Ich glaube, ich habe damals meinen Mund nicht mehr zugekriegt. Tränen der Freude liefen mir über die Wangen. Meine Mutter fragte besorgt: „Was hast du? Warum weinst du? Freust du dich nicht?“ Ich konnte nur den Kopf schütteln, das Bild schnappen und es an meine Brust drücken.

      Ich glaube, damals sind wir eine Verbindung eingegangen – du und ich. Seit diesem Tag hingst du in unserem Kinderzimmer über meinem Bett. Mein Bruder fand dich ja nicht so toll. „Ist doch nur ein Baum“ hat er öfters gesagt. Aber für mich warst du der stärkste, der schönste Baum auf der ganzen Welt. Vielleicht habe ich es im Laufe der Zeit auch hineininterpretiert, denn schon damals weinte meine Mutter oft, wenn mein Vater zum Abendessen nicht nach Hause kam.

      Aus der Distanz von heute weiß ich, du wurdest zu meinem Zufluchtsort, warst der Ruhepol meiner kindlichen Ängste. Wenn ich am Abend manchmal geweint habe, hatte ich das Gefühl, als ob deine Blätter sich wie ein schützender Schirm über mich ausbreiteten. Ich habe dann mit dir gesprochen, leise und heimlich. Dann schlief ich oft ein. Mein Bruder fand mich albern, wie er einmal zu mir sagte: „wie kann man nur mit einem Baum sprechen?“

      Er hat dich nicht verstanden, er hat mich nicht verstanden. Er hat uns nicht verstanden.

      サンゴカク - Teil 2

      Es war Jahre später, in der Vorbereitung zum Abitur, ich bin zusammengebrochen. Viele Dinge haben letztendlich dazu geführt. In dieser Zeit habe ich fast täglich mit dir gesprochen. Du hattest Geduld und hast mir zugehört. Irgendwo gab mir dein Bild die Kraft, nicht aufzugeben. Deine gefühlte Stärke, die Ruhe, die dein Bild ausstrahlte, ließen mich wieder aufstehen. Mit dir und dem Gefühl, durch dich beschützt zu sein, habe ich meinen Weg fortgesetzt. Oft war ich verzweifelt und dann vielleicht auch ungerecht zu dir. Hab dich angeschrien, wenn ich das Gefühl hatte, dass du mir nicht hilfst. Hab dich beschimpft und wollte dich mit meinen Worten verletzen. Heute, wo all diese Bilder und Momente in mir auftauchen, während ich diese Gedanken niederschreibe, bedauere ich alle meine verletzenden Äußerungen. Heute kann ich ein bisschen davon erahnen, welche Kraft du mir gegeben hast. Du hast mich geführt, auf deine Art, sanft und behutsam, hast Widersprüche im Raum stehen lassen, hast Still zugehört, während ich vor Wut oder Verzweiflung überfloss.

      Vor ca. zehn Jahren lernte ich meinen Mann kennen. Wie es so kommen sollte, erzählte ich ihm irgendwann von „meinem Freund“. Erst war er etwas angesäuert. Er wusste ja nicht, wer du warst. Ich schwärmte in den höchsten Tönen von dir. Ich erzählte ihm, wie du immer für mich da gewesen warst, dass dies das Band unserer Beziehung war. Als ich ihm dann sagte, dass du ein Baum bist, lachte er mich sogar aus. Als er dann aber meinen Blick sah, verstummte er sofort. „Verzeih mir“ waren seine wenigen Worte, „ich versuche zu verstehen.“

      Zwei Tage später bekam ich dich zum Geschenk. Er sagte: „Das soll jetzt unser Baum sein.“ Nicht mehr. Dafür liebe ich ihn.
      Du hattest von da an einen geschützten Platz auf unserem Balkon.

      Später sind wir in das Haus umgezogen. Da war es selbstverständlich, dass auch du mit umziehst. Nachdem unser kleiner Garten eine Struktur hatte, haben wir dir den schönsten Platz darin gegeben. Rechts neben dir wuchs die dunkelblättrige Ligusterhecke, links zu deinen Füßen ein Bambus. Vor dir erstreckte sich das weißbeige Kiesbett. Es war fast wie auf diesem Bild aus meiner Kindheit. Nur war der See eben aus Kies. Wenn ich auf unserer Terrasse saß, konnte ich dich bewundern. Im Winter leuchteten deine feuerroten Zweige vor dem Schnee. Im Frühling schoben sich dann die schlanken gezackten Blätter aus deinen Knospen. Zartgrün leuchteten sie, mit einem schmalen feuerroten Rand. Später – im Verlauf des Jahres – wechselten sie dann ins kräftigere Grün. Im Herbst hast du dann noch mal alles gegeben. Du hast die Blätter leuchtend gelb werden lassen. Wie die goldgelb leuchtende Sonne des Herbsthimmels strahlten sie.

      So bist du gewachsen Jahr für Jahr. Und oft habe ich neben dir gestanden und dir erzählt.

      Irgendwann kam die Zeit, dass deine Zweige sehr lang wurden und einer Kürzung bedurften. Wie habe ich mich dagegen gewehrt. Aber mein Mann hatte Recht, es wäre zu viel gewesen. Letztendlich hat er es dann mir überlassen, die langen Triebe zu schneiden. Ich wollte dir nie wehtun. Ganz vorsichtig habe ich dabei jeden Trieb in die Hand genommen und nach einer geeigneten Stelle geschaut. Deine stattliche Erscheinung sollte nicht verletzt werden. Es sollte nur wie Fingernägel-Schneiden sein. Du hast mich mit deinem wunderschönen Wuchs belohnt.

      Im Winter nutzten die Vögel dich als Anflugstelle zu ihrem Futter. Das hatten wir für sie in deinen Ästen verteilt. Ich hatte immer den Eindruck, dass sie sich wohl bei dir fühlten; wohl und geborgen.

      Du strecktest dich aus. Ja, ich weiß, ein Baum braucht Platz. Das war das Problem, das war mein Problem. Unser Garten ist zu klein, es blieb nur eine Entscheidung. Im Februar hatte mein Mann schon den Großteil deiner Äste bis auf die Hauptäste zurückgeschnitten. Nun ragten nur noch einige deiner Hauptäste in die Luft. Wie mit einer erhobenen Hand standst du da. Ich durfte nicht hinsehen, so weh tat mir das. Ich hatte letztes Jahr im Spätsommer noch Bilder von dir gemacht. Neben all den Gedanken und Gefühlen in mir, sollten sie Erinnerung sein.

      Vorgestern sagte mein Mann, dass ich nach der Arbeit doch noch einkaufen wollte. Als ich nach Hause kam, hatte er bereits einen Teil deiner Wurzeln freigegraben und teilweise abgesägt. Ich bin heulend weggerannt. Mein Mann folgte mir. „Ich wusste, dass dich das sehr treffen wird, deshalb habe ich dich weggeschickt. Ich wollte es nicht noch schwerer für dich machen.“ Er hatte ja Recht, aber mir ging es sehr schlecht.

      Einen Tag später bin ich dann geblieben. Ich wollte dich in deinen letzten Stunden und Minuten nicht allein lassen.

      So hat mein Mann deine letzten haltenden Wurzeln freigelegt und sie dann durchtrennt. Du lagst da, ausgestreckt, deine wenigen Hauptäste ragten wie ein letztes Mal in den Himmel. Tränen rollten mir über das Gesicht. Mein Mann nahm mich in die Arme. So standen wir eine ganze Weile da, gemeinsam, zu deinen Füßen, ein letztes Mal. Dann verteilte er die ausgehobene Erde wieder. Nur noch dieser braune Fleck zeigte die Stelle, an der du gestanden hast. Irgendwann würde das sprießende Gras gänzlich die Stelle verdecken.

      Gestern Abend ging mein Mann nochmals in den Garten. „Ich hab was vergessen.“ war nur sein Kommentar. Dann kam er zurück und hielt einen kleinen Trieb in der Hand. „Ich glaube, du solltest versuchen, ihn einzupflanzen. Vielleicht wurzelt er ja. Dann kann er in einem großen Topf auf unserer Terrasse stehen.“

      Wieder liefen die Tränen nur so über mein Gesicht. Dafür liebe ich meinen Mann.

      Heute habe ich deinen kleinen Trieb vorsichtig in ein Blumentöpfchen gesetzt. Ganz sanft habe ich die Erde ringsherum angedrückt und anschließend leicht gegossen. Er steht gut behütet im Schatten auf unserer Terrasse. Und vielleicht … wenn es dir und mir gelingt … wird aus ihm ein zweiter wunderschöner Baum … so, wie du einer warst.

      Ich verspreche dir, ich werde ihn pflegen und hegen. Er wird es gut bei mir haben.

      Ich werde ihm erzählen, von dir und mir. Viel werde ich ihm erzählen, mein サンゴカク - Sango Kaku.
      Ich hatte eine Schürfwunde, bin gestolpert und hingefallen.
      Ich habe mich erschrocken, die Wunde hat mich erschreckt.
      Sie brannte und tat weh. Es war nicht unbedingt der reale Schmerz, es war der gefühlte.
      Dann kam er … der Satz: das tut doch nicht weh. Und … du musst stark sein.
      Dabei wollte ich doch bloß ein Streicheln über meinen Kopf von dir.
      Wenn ich dann auf deinem Schoß saß und deine Nähe spürte,
      dann sollte er verfliegen - der kleine Schmerz der Wunde. Aber … ich musste stark sein.

      Auch wenn ich traurig war, weil ihr euch wieder mal gestritten habt,
      weil du nachts nicht nach Hause kamst und Mama geweint hat.
      Die heimlichen Tränen, ich sollte sie nicht sehen. Ich sollte nicht den Schmerz sehen,
      den du verursacht hast, der sie zum Weinen brachte, der sie zerstörte.
      Kinder finden keine passenden Worte und fühlen sich hilflos.
      Wie auch sollen sie die Wege und Gefühle der Erwachsenen verstehen?
      Aus der Verzweiflung heraus. Ich musste stark sein.

      Später dann, als meine erste Liebe verschwunden war,
      sich über Nacht in Luft aufgelöst hatte, ich habe es nicht verstanden.
      Es tat so weh, ich war wütend – auf ihn, auf die Welt und … auf mich.
      Ich habe mich auf mein Bett geschmissen und geweint.
      Leise ging die Tür auf, meine Mutter blickte herein.
      Neben all meinem Herzschmerz sah ich ihre Hilflosigkeit.
      Sah in ihren Augen die Zeilen: Kind, mir geht es gerade genauso.
      Und dann kamen sie, die Worte dieser Welt. Ich musste stark sein.

      Ob sie es wirklich so gemeint hatte, in diesem Augenblick meiner tiefsten Traurigkeit?
      Ob es ihre Hilflosigkeit war, einer Wahrheit des Lebens ins Auge zu schauen?
      Ob es der klägliche Versuch war, Worte zu finden,
      wo es vielleicht eher einer Geste, eines „In den Arm nehmen“ bedurfte?
      Tränen trocknen. Auch die Zeit bleibt nicht einfach stehen,
      obwohl ich es mir so gewünscht habe. Wie sollte das auch gehen?
      Was aber blieb aus diesem Moment? Die Worte: du musst stark sein.

      Als ihr starbt, ich euch das letzte Mal begleitet habe,
      auf einem Weg, dem vielleicht schwersten in meinem Leben.
      Die Schaufel Erde ins Leere fiel, dumpf klang es zurück.
      Die weiße Blüte sich sanft auf euren Sarg legte, euch zu behüten,
      als ein letzter Gruß auf eurem Weg, wohin auch immer.
      Viele Erinnerungen gingen mit mir, waren da, unauslöschlich.
      Diesen langen Weg des Verlustes und der Trauer ging ich allein,
      niemand begleitete mich, stützte mich, nahm mich in die Arme.
      Was blieb? Ich musste stark sein.

      Während ich diese Zeilen schreibe, kommen sie alle wieder,
      tauchen sie auf, die Bilder aus meiner Vergangenheit.
      Ich sehe sie, ich spüre sie, in mir höre ich die Worte.
      Schmerz ist da, Wut ist da, Verzweiflung ist da, Traurigkeit ist da, Hass ist da.
      Aber da ist auch dieses Gefühl, was wohl alles ausgelöst hat.
      Da darfst keinen Schmerz spüren, denn den kann dir keiner wegnehmen.
      Du darfst nicht wütend sein, denn damit kann der andere nicht umgehen.
      Du darfst nicht verzweifelt sein, denn darauf gibt es keine Antwort.
      Du darfst nicht traurig sein, denn das macht dein Gegenüber hilflos.
      Du darfst nicht hassen, denn … warum eigentlich nicht?
      Aber er ist immer da, der Satz: ich muss stark sein.

      So war ich stark, die Zeit meines Lebens,
      in der Kindheit, in der Jugend, als junge Erwachsene, als Frau,
      für dich Mama, für dich Vater, für dich Bruder, für dich Freund,
      zu Hause, in der Schule, im Studium, in der Arbeit.
      In mir ist vieles, vieles was versucht seinen Weg nach draußen zu finden.

      Und ich? Sitze da und lache, stehe da und rede, nehme wahr und tröste,
      fühle da und schweige, liege da und … zerbrochen. Dabei muss ich doch stark sein.

      ich bin nicht stark.
      Worte in mir, ich verstehe sie und lege sie weg.
      Bilder in mir, ich sehe sie und lege sie weg.
      Musik in mir, ich höre sie und lege sie weg.
      Gefühle in mir, ich spüre sie und lege sie weg.
      Gedanken in mir, ich denke sie und lege sie weg.

      Alles ist in mir.
      Doch ich lege es weg.

      Du sagst mir Worte, sie sind in mir ...
      Du zeigst mir Bilder, sie sind in mir ...
      Du spielst mir Musik, sie ist in mir ...
      Du umarmst mich, es ist in mir …
      Du denkst an mich, sie sind in mir …

      Alles dringt in mich ein.
      Doch ich kann es nicht weglegen.

      Die Worte dröhnen in mir …
      Die Bilder explodieren in mir …
      Die Musik zerreißt in mir …
      Die Umarmung erdrückt mich …
      Die Gedanken ersticken mich ...

      Wenn ich nachdenke ist nichts mehr in mir außer
      ... deine Worte,
      … deine Bilder,
      … deine Töne,
      … deine Gefühle,
      … deine Gedanken.

      Nur noch du bist in mir.
      Und wo bin ich?

      Brückenschlag - An N.

      Hallo N.,

      Gedanken kreisen in meinem Kopf.
      Da sind auch viele Gedanken an dich.
      Ob du diese Zeilen liest, meine Worte ankommen
      ich werde es wohl nicht erfahren.

      Damals warst du einfach da.
      Du warst der Neue, für eine Zeit lang.
      Wir kamen in Kontakt, deine leichte Art?
      Wie und warum … ich weiß es nicht mehr.

      Wir haben viele Gedanken ausgetauscht,
      viele gute Gespräche geführt.
      Die Abende am Dienstag bei uns
      wurden unsere Zeremonie.

      Du hast viele Türen geöffnet,
      hast neue Kraft und Zuversicht gegeben.
      Mit dir gemeinsam und durch dich
      habe ich viele einzigartige Menschen kennengelernt.

      Ein unsichtbares Netz hast du gesponnen.
      Deine Hilfe war selbstverständlich für dich.
      Sie anzunehmen war unsagbar schwer für mich.
      Ich habe lange gebraucht, ich habe nie verstanden.

      Heute trennen uns einige hundert Kilometer.
      Keine Entfernung in unserer Zeit.
      Doch unsere Freundschaft lief auseinander.
      Warum? Vielleicht weil einfach das Leben so spielt.

      Ich sitze mit diesen Gedanken und glaube fest,
      dass es für mich das Beste gewesen wäre,
      wenn du mich damals …
      hättest einfach fallen gelassen.

      Das innere Orchester

      Wieder einmal hebt sich der Vorhang zu einem Konzert. Ob es ein großes wird oder ob es eher ein kleines Stück ist, was vorgetragen werden soll.

      Viele Frauen und Männer stehen auf der Bühne herum; jede, jeder sein Instrument in der Hand. Da sind die Geigen, hell klingen ihre hohen Töne durch das Gewirr der Töne. Da sind die Celli. Ihre eher melancholischen Töne versuchen sich den Geigen anzuschließen. Doch irgendwie sind es andere Töne, sind es andere Tonlagen. Die Bässe versuchen es mit ihren tiefen Tönen, dem ganzen ihren Charakter aufzudrücken.
      Die Triller der Flöten setzen sich über die Streicher hinweg. Plötzlich zerreißt ein Paukenschlag dieses wirre Tongeflecht. Die Becken kommen ihm zur Hilfe. Die Schlaginstrumente müssen doch den Ton angeben.

      Wo ist die Bläsergruppe, wo sind ihre Tonfolgen? Die Trompete setzt das Signal und schon fallen alle anderen Trompeten, Hörner und Posaunen mit ein. Es wird doch gelacht sein, wer hier den Ton angibt.

      Das Publikum sieht sich fragend an. War das das groß angekündigte Orchester, für dessen Auftritt sie sich schön gemacht hatten? War das die musikalische Darbietung, das sie erfreuen sollte? Ein Durcheinander von Tönen. Alle Orchesterteilnehmer liefen durcheinander. Jeder versuchte, mit seinem Instrument, mit seinen Tönen, in diesem Gewirr durchzudringen. Unruhe machte sich im Zuschauerraum breit. Ein Raunen entstand und bahnte sich seinen Weg durch die Menge. Wurde lauter und lauter, schwoll an, das Gewirr der Töne zu überflügeln: wo war der Dirigent?

      Mitten im Durcheinander der Orchestermusiker ragte ein kleiner heller Stock hervor.

      Dann bewegte sich diese kleine helle Spitze aus dem Gewimmel der Musiker heraus. Ein Schritt, noch ein Schritt … und noch einer. Es wurde ruhiger. Einzelne Töne verstummten. Das Gewimmel auf der Bühne wurde weniger.

      Dann noch ein Schritt … ein Mann steht auf einem Podest, den kleinen hellen Stock in der Hand.

      Was will der jetzt? Ob er in das Chaos der Töne eine Ordnung schaffen kann? Das Raunen in der Zuhörermenge klingt ab. Auch der letzte Ton der Instrumente verklingt. Stille tritt ein.

      Von hier oben aus kann er die Musikerinnen und Musiker gut überblicken. Alle sind da, ihr Instrument in der Hand. Gleich würden sie wieder losbrechen, die Töne, wieder dieses ohrenbetäubende Durcheinander von Tönen erzeugen. Da musste etwas geschehen.
      Der Stock hob sich, eine Anweisung folgte. Alle Instrumente nahmen einen Platz ein, in Gruppen sitzen sie beisammen. Links die Geigen, in der Mitte die Celli und der Kontrabass. Den rechten Flügel bilden die Blasinstrumente: Flöten Trompeten, Posaunen und noch einige andere. Hinter diesem ersten Halbkreis die Schlaginstrumente: Triangel, Becken, Trommeln und … nicht zu vergessen, die Pauke. Die hatte doch vorhin den lautesten Ton angegeben.

      Noch einmal hebt sich die Stockspitze des Dirigenten. Dann folgt das Zeichen für die Geigen. Sie dürfen zuerst ihre Tonfolgen darbieten. Aber immer schön im Takt und zusammen.

      Danach bekamen die Celli ihr Einsatzzeichen. Dieses Mal unterstrichen sie mit ihren vollen Tonargumenten den leichten Erstansatz der Geigen. Da fehlte noch was. Der Kontrabass ergänzte das Spiel der Streicher nach unten, fügte dort seine vollen volumigen Töne ein.
      Der Wink des Dirigentenstocks … die Streicher verstummten.

      Flötentöne entstanden und erfüllten den Raum, schwangen sich durch die Luft, den Zuhörern entgegen. Oboen untermalten die Folgen und gaben ihnen einen gewichtigeren Klang.

      Wieder der Wink des Dirigentenstockes.

      Es folgten die Bläser. Sir griffen die Tonfolgen der Holzbläser auf und intonierten sie auf ihre Weise, klar und präzise. Erst setzten die Trompeten die Töne um, dann die Hörner, zuletzt die Posaunen. Ein gewaltiger Akkord beendete dieses Zusammenspiel.

      Die Pauke, wo war die Pauke? Sie musste doch jetzt kommen. Wie gebannt lauschten die Zuhörer. Dann brach er los, der tiefe Donnerschlag der großen Pauke, wie die Blitze eines nahenden Gewitters mischten sich die Töne der Becken dazu. Die Triangel setzte ihnen die Krone auf.
      Das Publikum hatte sie alle gehört: die Streicher, die Bläser, die Schlaginstrumente … aber war das das viel gepriesene Konzert, war dies das Zusammenspiel der Töne?

      Wieder erhob sich die Spitze des Dirigentenstockes. Die Instrumente brachten sich in Position. Jetzt musste es gelingen.

      Unter der Führung des Dirigenten lösten sich die Tonfolgen und vereinten sich zu einem wohlklingenden Ganzen. Jeder noch so kleinsten Bewegung des Stockes folgten sie, schwollen an, wurden leiser, pausierten, um auch den anderen Instrumentengruppen Gehör zu gewähren. Es war wie ein Tanz der Tonfolgen und Instrumente.

      Ja … das war es. Das war das viel gepriesene Konzert. Wie aus einem Guss folgten die musikalischen Intervalle, gingen nach vorn, um dann im nächsten Takt den anderen die Bühne zu überlassen.

      Was für ein Stück, was für eine wunderbare Musik. Der Dirigentenstock hob sich nach oben. Mit einer letzten raumfüllenden Tonfolge spielten sie, alle Instrumente, alle Töne zum einzigen zusammenfassenden Akkord – dem Schlussakkord.

      Das Publikum war begeistert. Der Dirigent war zufrieden, ein Lächeln huschte über das bis dahin angespannte Gesicht. Die Zuhörer spendeten tosenden Beifall; sie standen sogar auf, so begeistert waren sie von der Darbietung.

      Die Instrumente erhoben sich von ihren Plätzen und verbeugten sich. Das war er … ihr Lohn, den sie sich erhofft hatten, den sie sich vom Publikum gewünscht hatten: gehört werden, wahrgenommen werden, als einzelnes, in der Gruppe, im Zusammenspiel. Der Dirigent stieg von seinem Platz. Er ging zur „ersten Geige“ und schüttelte „ihr“ dankend die Hand. Symbolisch für das gute Zusammenspiel des Orchesters wies er mit einer großen Handbewegung über alle Musiker des Orchesters. Was für eine Geste. Die Instrumente klopften ihren Beifall dafür.
      Auf dem Weg nach Hause hörte man noch hier und da Sätze wie: was für eine grandiose Leistung, dieses Zusammenspiel der Instrumente, in einem ganz neuen bisher nie gehörten Arrangement.

      Es war toll, dieses Konzert erlebt zu haben.

      Was hat das jetzt mit einem „inneren“ Orchester zu tun?

      Sind nicht viele unserer Gedanken, Gefühle, Einschätzungen von uns selbst und von anderen, Glaubenssätze in uns, wie die Stimmen und Töne dieses Orchesters. Versuchen sie nicht wie die Instrumente des Orchesters in gleicher Weise, jedes ihren Ton, ihre Tonfolge zu Gehör zu bringen. Sie alle wollen wahrgenommen werden.

      Doch wie das Chaos lösen?

      Als Dirigentin oder Dirigent ist es gut, sich aus der unmittelbaren Menge der Töne zu lösen. Sich herausnehmen, heraustreten, eine externe Position einnehmen. Vielleicht hilft ja sogar ein Podest noch und unterstreicht diese Loslösung aus der Menge, um den Überblick zu gewinnen.

      So ist es auch mit unseren Gefühlen, Gedanken und Vermutungen.

      Da fällt mir das Aufschreiben ein. Nein nicht das Aufschreiben – besser das Herausschreiben.

      Indem wir diesen Knoten herausschreiben lösen wir uns aus seinem unmittelbaren Einfluss. Wir gewinnen Distanz, wir gewinnen Überblick. Alles liegt wie ein Blatt mit Zeilen, wie ein Blatt mit Noten und Folgen vor uns. Wir erkennen die Zusammenhänge und wir können sie ordnen. Jeder Gedanke, jedes Gefühl hat seinen Platz, hat seine Mitstreiter, und kann so zu einer Einheit, zu einer Gruppe „von Instrumenten“ zusammengefasst werden. So kann die Gruppe als Einheit agieren und berücksichtigt werden. Wir sind der Dirigent, die diese Einheiten schafft. Unter unserer Führung können wir jedem Gefühl und jedem Gedanken seine Position zuweisen. Im Zusammenspiel ergibt sich dann das „große“ Konzert“.

      Die Anerkennung, die wir für diese Mühe erhalten, wird das Lob und die positive Zustimmung des „Publikums“ sein. Wir dürfen uns freuen, wir dürfen stolz auf uns und unsere Leistung sein. Unter dem Zusammenspiel all unserer inneren und äußeren Eigenschaften haben wir dieses „Konzert“ klingen lassen, haben durch unsere Facetten unser Arrangement geschaffen.

      Aus einem Gewirr an Gefühlen, Gedanken, Glaubenssätzen in uns können wir ein wohlklingendes Konzert schaffen.

      Wir sind die Dirigentin, wir sind der Dirigent.

      Der sich schließende Kreis

      Ich fand Leben
      Ich fand Liebe
      Auf dem Weg den Stein
      habe ich übersehen
      Verloren der Halt
      Verloren die Hoffnung
      Zerbrochen der Krug
      Zerbrochen ich.

      Ich tanzte den Reigen
      Ich tanzte den Blues
      Überhörte die Töne
      die mich oft gewarnt
      Gebrochen die Würde
      Gebrochen das Rückgrat
      Vernichtet das Gestern
      Vernichtet der Mensch.

      Suchte das Leben
      Suchte die Liebe
      Weinte die Träne
      die trocken verfloss
      Ließ ruhen den Geist
      Ließ ruhen den Körper
      Beendet die Suche
      Beendet das Sein.

      An meine Seele

      Du - meine Seele hast geweint.
      Um mich hast du geweint.
      Für mich hast du geweint.
      Doch ich habe dich nicht beachtet.
      Ich habe über dich gelacht.
      Habe mich über dich erhoben.

      Du bist gegangen.
      Hast mich verlassen.
      Mit all meinen Gedanken und Gefühlen
      hast du mich allein gelassen.
      Nicht Rache war es.
      Traurigkeit nahm dich gefangen.
      Es tut mir so leid.

      Könnte ich doch die Zeit zurückdrehen.
      Ich würde dich lieben
      mich um dich sorgen
      dir zuhören, wenn du erzählst.
      Würde deine Freundin sein.
      Meine Hand wäre deine Hand.

      Doch so laut ich auch rufe
      ich höre dich nicht mehr.
      Deine Stimme wurde leise.
      Der Sonnenstrahl ging mit dir.
      Das wolltest du nie.
      Du hast dich einfach um mich gesorgt.

      Ich schreibe dir diese Zeilen
      in der Hoffnung,
      dass du sie eines Tages lesen mögest
      und mir verzeihen,
      meine Dummheit,
      meine Überheblichkeit.

      Vielleicht kehrst du zurück zu mir.
      Wir werden reden
      viel.
      Ich werde verstehen.
      Ich werde weinen vor Glück.
      Tränen, die ich nie geweint.

      Der Ozean des Lebens

      Einer kleiner Segeljolle gleich gleiten wir durch die Wellen – auf dem Ozean des Lebens.

      Die Sonne streichelt mit ihren Strahlen das kristallklare Blaugrün des Wassers. Kleine weiße Kronen kleiden die Spitzen der Wellen um uns herum. Rechts und links neben uns sind viele weitere kleine Schiffe unterwegs, auf ihrem Törn. Eine leichte Brise füllt das Segel unseres Bootes, lässt es durch die Wellen gleiten, bringt uns voran. So leicht kann Leben sein.

      Doch am Horizont zieht sie auf, die Wolkenfront. Die Dunkelheit, die Zerrissenheit in sich tragend, stürmt sie auf uns zu. Das soeben noch freundliche Wasser wechselt seine Gestalt. Plötzlich verändert sich die Farbe des Wassers. Wellen türmen sich auf, werden zu drohenden Riesen. Ihre Macht wächst von Sekunde zu Sekunde. Plötzlich fühlen wir uns nur noch als Spielball, unterworfen den Kräften des Ozeans.

      Festhalten, kämpfen, gegensteuern – wenn es uns gelingt - einen kühlen Kopf bewahren. Aber wer sind wir schon in diesem Sturm? Reißt er uns mit? Haben wir eine Chance? Hält unser kleines Schiff dieser Gewalt stand?

      Ich könnte jetzt ob dieses Bildes sagen: nein, wir können, wir werden es nicht schaffen.

      Auch ich bin im Ozean des Lebens gefangen, so wie du. Auch mich beutelt der Sturm, wirft mein Lebensschiff durch die Wellen, einem Kinderball gleich, einem Spielzeug. Doch der Ball hat einen Vorteil. Er ist rund, setzt den Kräften keine Kante entgegen, kann sich jeder Bewegung anpassen. Nicht immer ganz leicht für ihn, oben zu bleiben. Oft schlagen die Gischt und die Wucht der Wellen über ihm zusammen. Doch es treibt ihn immer wieder nach oben. Einer inneren Kraft gleich, trägt ihn sein Inneres – und lässt ihn wieder oben schwimmen.

      Ein kleines Bild, es hinkt sicherlich und liest sich irgendwie eher läppisch und banal. Mir fehlen die passenden Worte, das besser zu beschreiben, was ich ausdrücken möchte. Wir mit unserem kleinen eigenen Leben, ein Spielball auf dem großen Ozean des Lebens. Und doch sind wir ein Teil davon. Schwimmen mit ihm, schwimmen auf ihm, lassen uns treiben, werden geduckt und getrieben. Selbst steuern, unseren Kurs unsere Situation bestimmen, wie soll das gehen?

      Wenn ich mich oft selbst unsicher und ausgeliefert fühle, so glaube ich doch irgendwo tief in mir, an eine Möglichkeit für mich. Nur wie sieht diese aus?

      Weit sind wir schon gekommen, haben die ruhigen Zeiten und die leichte Brise in unserem Segelschiffchen genossen. Jetzt treibt uns der Sturm vor sich her, vielleicht einer Klippe entgegen, wir empfinden nur die weiße, tosende, bedrohende Gischt.

      Ich bin nicht schlauer als du, habe nicht mehr gelernt als du, habe nicht mehr Weisheit oder Empathie wie du. Doch möchte ich dir gern meine Gedanken zu meinem Bild schreiben. Vielleicht können dich meine Zeilen ansprechen oder ein kleines Stückchen weit berühren, von Mensch zu Mensch, eine Brücke sein, eine „Gehhilfe“, wenn du selbst gerade etwas lahm bist und dich gehbehindert fühlst. Vorankommen wollen wir alle. Nur der Weg, dieser verdammte Weg?

      Auch wenn ich oft Zweifel in mir selbst trage und mich oft frage: „ist das der Weg, ist das mein Weg?“, und diese Frage mich eher Richtung Resignation treibt als hilft, so spüre ich gerade in diesem Moment, wo ich dir diese Zeilen schreibe, ein sicheres Gefühl in mir, dass es diesen Weg gibt, dass es meinen Weg, dass es deinen Weg gibt. Doch diesen Weg für sich zu erkennen und ihn auch zu gehen, erfordert neben der Erkenntnis auch Fähigkeiten und Fertigkeiten. Oft ahnen wir, wo wir langsegeln müssten, aber dies kann mit Unbequemlichkeiten verbunden sein. Dann wieder gibt es Passagen, wo wir glauben, die Grenzen unseres Könnens und Vermögens erreicht zu haben. Wir zweifeln, fühlen uns schwach, Angst lähmt uns und raubt uns die Klarheit der Entscheidung. Denn ich glaube fest, dass es gerade das ist, was uns in kritischen Situationen am schwersten fällt: uns selbst vertrauen und dem vertrauen, was wir in uns fühlen. Vielleicht ist es ganz hinten, versteckt, kaum zu sehen oder zu hören; aber es ist in uns. Wir müssen nur uns trauen, es wahrzunehmen, und es als solches anzunehmen, was es ist, unser Wegweiser aus diesem Sturm. Leicht gesagt, wenn einem die meterhohen Wellen des Lebensozeans ins Gesicht schlagen und wir eher fühlen, unterzugehen, zu stranden.

      Hier fällt mir der Roman von Daniel Defoe ein – Robinson Crusoe. Gestrandet und an einer „gottverlassenen“ Insel an den Strand gespült, ist er gezwungen, sein Leben von da an gänzlich neu zu gestalten, um zu überleben. Genau das ist einzig und allein auch unser Weg. Wir können den Sturm des Ozeans und diesen Kampf als Schicksal begreifen und uns ausgeliefert fühlen. Wir können aber auch versuchen, uns auf die Dinge zu besinnen, die wir in uns tragen, das was wir über unsere Gene mitgegeben bekommen haben, das was wir selbst dazugelernt haben. Das, was uns heute ausmacht, der oder die wir heute sind. Das kann unser Startpunkt sein, das ist unser Startpunkt, um von da aus unsere Lebenssituation zu bewerten und dann zu handeln.

      Jeder Schritt, den wir neu versuchen, kann wehtun, kann sich falsch anfühlen. Doch wir sollten ihn versuchen, aufgeben sollte keine Devise sein. Im Zweifelsfall können wir aus ihm lernen, auch wenn er uns nicht geradeaus ein Stück vorangebracht zu haben scheint. Was ich damit sagen will, manchmal ist der Schritt richtig und er bringt uns voran, doch wir sind nicht in der Lage oder bereit, ihn und seine Wirkung für uns zu erkennen oder gar zu akzeptieren. Aber beides erscheint mir unabdingbar und wichtig für uns. Wenn wir nach einem ersten Schritt ein zweiten versuchen, einen dritten usw., so haben wir etwas Großes erreicht: wir haben unsere innere Mauer des Stillstands überwunden und uns auf den Weg gemacht.

      Ich glaube, das ist es einzig und allein, was zählt, auf dich selbst vertrauen und auf den Weg machen.

      Vielleicht gibt es Hilfestellungen von außen, Freunde, Familie, Fachleute, doch letztendlich können sie nur die Gehhilfe sein, wenn wir uns lahm oder kraftlos fühlen, aber sie können nicht das Gehen für uns übernehmen. Warum ich dir das so ausführlich schreibe? Weil ich selbst oft in solch einer Situation war, und mich teilweise auch heute noch oft darin gefangen fühle. Aber auch ich weiß, es gibt diesen Weg, meinen Weg, deinen Weg. Auch ich muss mir immer wieder sagen: ich muss ihn gehen, kein anderer kann dies für mich tun. Diese Erkenntnis schmeckt nicht, tut manchmal sogar weh und Heulen und die eigenen Wunden lecken ist mir näher, als mit Zuversicht voran zu gehen. Doch das, was ich gelernt habe, sagt etwas anderes.

      Ich möchte dir noch ein weiteres schriftliches Bild beilegen, das ich hier im Forum mal geschrieben habe: das Bild von einem Jenga-Turm. Auch das trifft für mich die oft stattfindende Entwicklung unseres Lebens. Nur wir sollten uns bewusst werden, wo wir unsere Denk- und Handlungsfehler machen. Und dann handeln - so, dass wir wieder stabil werden, in uns stabil werden.

      Ich wünsche dir alles Liebe und Gute, ganz viel Kraft und Geduld - die fehlt mir oft selbst ;) - und gute Hilfestellungen oder einen guten Kompass für deinen weiteren Segeltörn.

      Herbststühle

      Ich sitze auf einem geerbten Paar Stühle und erinnere die Vergangenheit.

      Vor langer Zeit haben meine Eltern diese Stühle gekauft und haben darauf oft auch die wärmenden Strahlen des Herbstes genossen. Wir Kinder haben dann oft um sie herum auf dem viel zu kleinen Balkon gespielt. Der Balkon war jedoch wie ein Sinnbild für unsere kleine Familie mit seinen schützenden Mauern drum herum.

      Später dann, als Vater verstorben war, saß mein älterer Bruder auf seinem Stuhl. Doch dann ging er seinen Weg und gründete eine eigene Familie. Jetzt waren wir nur noch zu zweit zu Hause, Mutter und ich. Wie eine eingeschworene Gemeinschaft saßen wir oft auf den beiden Stühlen. Längst war ihr Haar grau geworden, doch die schon leicht kühlen Stunden in der späten herbstlichen Sonne ließ sie sich nicht nehmen.
      Dann – irgendwann – war ich allein mit den beiden Stühlen. Mein Bruder wollte keinen haben. Ich habe lange überlegt, was ich mit ihnen mache, habe ich sie einfach mitgenommen, in mein neues Zuhause. Mein Mann fragte erst, was wir denn mit den beiden alten Stühlen wollen, es gäbe doch so schöne neue und vor allen Dingen bequeme. Letztendlich hat er sie mir zu Liebe neu angestrichen.
      Jetzt stehen sie bei uns auf unserer kleinen Terrasse. Inzwischen ist es auch bei uns zu einer Tradition geworden. Wenn er und ich von der Arbeit nach Hause kommen, sitzen wir noch oft erst eine Weile auf unserer Terrasse, eine Tasse Kaffee in der Hand. Irgendwie kehrt dann Ruhe ein. Ab und an durchbricht eine Frage die Stille: wie war dein Tag? Gemeinsames Revue passieren lassen. Doch eine Sache ist ganz besonders.

      Wenn im Herbst die Sonne am Nachmittag bereits recht tief steht und ihre goldenen Strahlen durch die letzten Blätter des Apfelbaumes tanzen, dann ist er da, dieser Moment. Dann spüre ich den Zauber dieser beiden Stühle, spüre die Hand meiner Eltern, wie sie mir als Kind über die blonden Haare strich. Dann höre ich die Stimme von Vater und Mutter, die dunkle etwas raue meines Vaters und die sanfte weiche Stimme meiner Mutter. Und ich höre sie, die Frage: „wie war dein Tag?“

      Irgendwann werden die Stühle wieder allein sein, nur ihre Farbe wird von uns erzählen. Vielleicht findet sie ein junges Paar schön und stellt sie auf ihren Balkon oder ihre Terrasse. Sie werden eine Tasse Kaffee bei sich haben und die letzten Strahlen der Herbstsonne genießen, dann werden wir bei ihnen sein und vielleicht in Gedanken wird der Wind über die Haare ihrer Kinder streichen, so als wären es unsere Hände. „Wie war dein Tag?“ wird vielleicht auch ihre Frage sein.

      Es war einmal

      Es war einmal ...

      es war einmal ein kleines Mädchen, das liebte seine Eltern sehr. Es liebte seine Mama, es liebte seinen Papa. Doch zwischen den Eltern gab es oft Streit. Wenn es keiner sah, dann weinte die Mama. Einmal war es wieder. Das kleine Mädchen sah es und fragte: "Mama warum weinst du?" Die Mama antwortete: "ich liebe Papa, aber er hat ein anderes Verstehen von Liebe." Das kleine Mädchen verstand diese Antwort nicht.

      Später, sie war inzwischen sechs Jahre, da saß eines Morgens am Frühstückstisch eine andere Frau. Mama ging es im Moment sehr schlecht und sie musste deswegen ins Krankenhaus. Was wollte diese Frau am Frühstückstisch? Das kleine Mädchen fing an zu rebellieren. Papa versuchte es mit kleinen Geschenken, für seine kleine Prinzessin - wie er sie immer nannte. Mama weinte oft, sehr oft.

      Irgendwann wurden die Fragen kritischer, das Verstehen. Ein kleines Mädchen war hin- und hergerissen. Mama litt unter dem Leben von Papa, Papa lebte sein Leben, ohne Mama. Und das Mädchen? Es hätte sein Leben dafür gegeben, wenn doch Mama und Papa wieder zusammen wären. Irgendwann sah das Mädchen nur einen Ausweg: sein Leben für das Leben von Mama und Papa. Sie flehte zu Gott: gib, dass Mama und Papa wieder zusammen sind, gib dass Mama und Papa sich wieder lieben. Nimm dafür mein Leben.

      Irgendwann begriff das Mädchen: Gott hat etwas anderes zu tun.

      Sie entschied sich: für Mama – gegen Papa.

      Sie begriff auch: du musst etwas tun. Du musst die Dinge in die Hand nehmen. Sie nahm die Dinge in die Hand. Die Eltern wurden geschieden. Ein Mädchen blieb allein zurück, allein mit ihrer kranken Mama, allein mit sich.

      Später, viele Jahre später, rief sie das erste Mal wieder ihren Papa an. Sie besuchte ihn, sie begrub ihn. Er wollte es anonym, sie respektierte es. Eine Grabstelle, ein Ort, wo er vielleicht liegen mag, sie weiß es nicht.

      Das alles brach sie, brach ihr Herz. Sie lebte nur für Mama und Papa.

      Sie lebt noch heute, versucht Menschen ihre Hand zu reichen, sie fühlt sich schuldig. Hätte sie mit ihrem Leben das Leben von Mama und Papa verändern können? Sie leidet – noch heute darunter.

      Inzwischen hat sich das Schicksal wiederholt. Wieder fand sie einen Menschen, den sie liebte. Er wurde krank, sehr krank. Wieder bat sie Gott um Beistand, um Rat und um Hilfe. Der Mensch, er starb.

      Hätte sie ihn retten können? Hätte sie mit einem mehr an Einsatz ihre Eltern, das Leben ihrer Eltern, das Leben dieses geliebten Menschen retten können? Gott gab keine Antwort, er hinterließ nur Zweifel. Zweifel daran, dass es hätte sein können.

      Heute lebt dieses kleine Mädchen inzwischen mit diesen Zweifeln, mit dem Gefühl einer großen Schuld, mit dem Gefühl: es hätte mit seinem Leben die Welt verändern können. Es versucht mit aller Kraft und mit all seinen Gedanken, anderen Menschen Gedanken zu geben, Gedanken an ein mögliches besseres Leben, Gedanken an eine Weg aus ihrer Misere.

      Wer aber hilft dem kleinen Mädchen?

      Durch die Zeit

      Das Licht der Welt, da sein
      müde, gähnen, nur schlafen wollen
      Blicke schweifen, Helligkeit
      alle sagen zu früh geboren
      vor der Zeit

      Die Dinge fühlen, begreifen
      immer wieder Neues entdecken
      das Erlebte träumen
      vorwärts wagen, Schritt für Schritt
      an der Hand und dann allein
      in die Zeit

      Lernen, lernen, lernen
      Wissen sammeln und erleben
      Auf und Ab, fühlen, erfahren, mit dir, in dir
      festhalten, was nicht zu halten ist
      klammern, binden, loslassen
      die Zeit

      Formen und geformt werden
      Strömungen aushalten
      treiben und getrieben werden
      die Stelle finden, Kräfte endlich spüren
      Dinge vergehen, Narben bleiben
      durch die Zeit

      Kämpfen, taktieren, abwägen
      gestalten wollen, neu bestimmen
      Menschen passen nicht zusammen
      zurückziehen, ruhen, besinnen
      Erlebtes, Ziele, Fragen stellen, Sinn des Lebens
      mit der Zeit

      Uhren ticken, Zeiger springen
      unaufhörlich, nach vorn streben, getrieben
      Welten, Städte, Flammen, Ströme
      Chaos, lodern, fließen, Luft und atmen
      nur noch atmen
      gegen die Zeit

      Zurückblicken und den Abend spüren
      letzte Korrekturen, erledigen wollen
      ordnen für die Übergabe
      lesen, schreiben und dann weglegen
      Blick noch einmal schweifen lassen
      keine Zeit

      Stille überall, Erde wird geworfen
      wenige Töne erklingen, schweben
      mit ihnen schweben, gleiten, auflösen
      atmen, ein letztes Mal
      dem Licht entgegen
      ohne Zeit
      Ein Mann kehrt von der Arbeit nach Hause, bedrückt. „Schatz, ich muss mit dir reden.“ Seine Stimme klang etwas bedrückt.
      Gemeinsam saßen sie am Esstisch, dem Zentrum ihres Lebens.

      Immer, wenn es etwas zu bereden gab, setzten sie sich an den Esstisch.

      Früher saßen sie auch mit den Kindern da, aber die waren schon lange außer Haus. Der ältere Sohn war inzwischen verheiratet und hatte sein eigenes Leben. Der jüngere Sohn ging auch seiner Wege. Ab und an trafen sie sich beim Frühstück am Tisch.

      Arbeit reduziert, weniger Geld. Konsequenz u.a. Auto verkaufen, das sie bisher klaglos begleitet hatte. In den Urlaub mit den Kindern. Weißt du noch … oder jeden Tag zur Arbeit, im Sommer wie im Winter. Und immer hatte es funktioniert, hatte zuverlässig seinen Dienst getan.

      Jetzt mussten sie sich von ihrem Auto trennen. Schwer würde es werden, allein der wöchentliche Einkauf. Klar, war das Einkaufszentrum nicht weit weg, aber zu Fuß mit den schweren Taschen. Vielleicht mussten sie in Zukunft mehrmals in der Woche gehen, damit es nicht zu viel würde.

      Auch den einen oder anderen Weg zum Arzt müssten sie jetzt mit der Straßenbahn fahren. Eigentlich hatten sie ja Glück, denn die Haltestelle war nur 5 Minuten von ihrer Haustür entfernt.

      Und ein Urlaub pro Jahr, der müsste jetzt wahrscheinlich auch entfallen. Die Wanderungen, die sie immer gemeinsam gemacht hatten, waren zuletzt auch ganz schön beschwerlich geworden.

      Ja sie müssten wohl ihr Leben neu ordnen und viele Gewohnheiten und ihre Kosten überdenken.

      Es war still am Esstisch. Jeder hing seinen Gedanken nach.

      „Im Lotto müsste man gewinnen“ sagte er. „oder einen Schatz finden“.

      Nach einer weiteren Weile der Stille, huschte plötzlich ein Lächeln über ihr Gesicht. „Was lächelst du?“ „Ich habe schon einen.“ antwortete sie.

      Mit fragendem Blick schaute er sie an. Dann musste auch er lächeln. „Ja“ sagte er, „ich auch“.
      Ich wollte mit meinen Worten, die Menschen und ihre Seelen erreichen. Jedes Jahr wieder spürte ich die große Kluft zwischen den Worten, die gesprochen wie ein giftiger Bienenschwarm durch den Raum summten und den Worten, die in meinem Kopf, die in meinem Herzen brannten. Immer, wenn ich versuchte, diese Worte in mir in Vokale und Konsonanten zu fassen, aus ihnen Silben baute und aus den Silben Worte, dann verblassten diese, wurden schwächer, ja - wurden unsichtbar, ja – unhörbar.

      Und da stand ich wieder in dieser Welt, stand wieder mit den Worten und Bildern in mir über diese Welt ... und konnte doch niemandem meine Worte mitteilen. So, als wenn die Worte nicht aus mir heraus sollten, als ob sie immer in mir verschlossen sein sollten.

      Ich habe versucht, die Worte zu überlisten. Ich war clever. Aber die Worte ließen sich nicht überlisten.

      Ich habe es mit Gewalt versucht und habe geschrien. Aber die Worte beugten sich keiner Gewalt. Sie blieben in mir. Und ich ... blieb stumm.

      Ich schrie, dass ich das Gefühl hatte, dass meine Trommelfelle zerreißen müssten. Aber es waren nicht meine Ohren, die wehtaten, weh von all dem Schmerz, der in mir war. Es war meine Seele, die schrie, und es waren meine Gefühle in mir, die wehtaten. Aber niemand hörte sie, diese Worte, diese Schreie.

      Vielleicht war der Zeitpunkt noch nicht gekommen, dass diese Worte in mir raus durften, dass ich sie anderen mitteilen durfte, dass andere sie hören konnten. Hören … und verstehen. Nein, sicher, war noch nicht die richtige Zeit gekommen, denn sonst wären diese Worte bereits aus mir heraus, in die Ohren der anderen, in deren Kopf, in deren Seele gedrungen. Denn meine Worte hätten sich genau diesen Weg gesucht. Diesen Weg hatten sie auch bei mir gesucht ... und gefunden.

      Immer wieder hatte ich Anlauf genommen. Ich wollte diese Worte den anderen mitteilen, diese Worte? Nein ... ich wollte ihnen meine Worte mitteilen. Lag es daran? War das das Problem, die Schwierigkeit? Lag es vielleicht genau daran, dass ich versuchte den anderen meine Worte mitzuteilen, Worte, die vielleicht für die anderen gar nicht bestimmt waren? Und wenn sie denn gar nicht für sie bestimmt waren, wie sollten sie sie dann hören können? Wie sollten sie sie nicht nur hören, sondern auch noch verstehen können? War das nicht unermesslich viel, was ich da von den anderen verlangte? Meine Worte. Es waren doch nur Worte.

      Wenn die Worte sprechen könnten, was würden sie wohl sagen? Würden sie die Gefühle, die in mir sind, die in mir Tag und Nacht kreisen, beschreiben können? Oder würden sie nur ein Ton sein, ohne Buchstaben, ohne Silben, eben ohne Worte.

      Wenn ich so in mich hinein höre, so ist es genau das, was meine Worte sind. Töne sind es, die erzeugt wurden, und die dabei waren, in mir zu verklingen. Weshalb also sollten sie nach draußen wollen?

      Hatten sie nicht schon lange genug ihre Kraft in mir verschwendet, damit ich sie höre. Und jetzt kommt diese Dumme an und erwartet, dass da noch genügend Kraft ist, dass andere diese Worte hören.

      Es gab, so steht es in der Heiligen Schrift, mal einen Mann. Nein, zunächst war er nur ein Kind, ein Kind, so wie du und ich. Auf die Welt gekommen, so wie du und ich. Geliebt von seinen Eltern, oder eben nicht, so wie du und ich. Er wurde ein junger Mann, so wie du und ich. Er lernte viel und er verstand, so wie du und ich. Oder nicht? Er opferte sich, damit seine Worte gehört wurden, damit seine Worte aus ihm heraus in die Ohren der anderen drangen, um dort gehört zu werden, so wie du und ich.

      Nennen wir den Mann einfach J., so wie du und ich. Dieser J. hatte auch Worte in sich.

      Und wenn dann die Worte es schafften, nach außen zu dringen, so waren sie zwar außen, aber wurden sie deshalb gehört, wurden sie deshalb verstanden?

      Vielleicht haben seine letzten Worte die Menschen erreicht.

      Jedenfalls behaupten heute viele, in seinem Namen zu sprechen und führen seine Worte im Munde. Aber sind es tatsächlich seine Worte, die da durch die Welt schwirren, wie ein aufgescheuchter Hornissenschwarm? Sollten so seine Worte klingen?

      Ich versuche sie mit dem Klang meiner Worte zu vergleichen, und ich entdecke Ähnlichkeiten. Nicht Ähnlichkeiten in den Buchstaben oder Silben. Ich wäre zu vermessen, würde ich hier Ähnlichkeiten unterstellen. Nein, es ist der Klang seiner Worte. Genau so klingen auch meine Worte in mir.

      Erst sind es einzelne Klänge, die wie verloren umherschwirren, wie einzelne Töne eines großen Orchesters. Dann werden es mehr und immer mehr. Sie werden lauter. Ja du hast richtig gehört, die Töne werden lauter.

      Man hat, von außen betrachtet, das Gefühl, als wenn diese Worte sich untereinander ver­ständigen könnten. Als wenn sie eine gemeinsame Sprache hätten oder gemeinsame Töne.

      Dann kommen immer mehr und noch mehr. Sie orientieren sich. Sie finden eine Richtung. Wie ein großer Vogelzug finden sie eine Richtung und werden zu dem, was sie sind.

      Meine Worte, die Beschreibung meiner Gefühle. Erzeugt wie Töne in mir. Töne, im Meer unendlicher Klänge und Töne. Wie ein Stein, der ins Wasser plumpste, haben sie Wellen geschlagen und ... verklingen.

      Es waren Töne der Liebe, der Liebe zu Vater und Mutter, der Liebe zu Bruder oder Schwester, der Liebe zu Freund oder Freundin, der Liebe zu Mann oder Frau und Kindern.

      Heute sind es schon Töne der Vergangenheit. Ja, wie aus einer anderen Welt klingen sie zu mir herüber, ganz schwach und ganz leise. Aber ich erkenne sie noch. Noch kann ich sie hören. Wie lange noch? Wie lange noch werde ich sie hören können, bis ich sie nicht mehr höre, bis sie verklungen sind?

      Wenn ich sie dann selbst nicht mehr hören oder wahrnehmen kann, wie kann ich sie dann euch mitteilen? Werdet ihr dann meine Worte hören? Werdet ihr dann meine Worte verstehen?

      „Und seine Jünger verstanden ihn nicht.“ Sie verstanden J. nicht.

      Ich wünschte, ihr könntet meine Worte hören.

      J.

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      Manchmal wünschte ich ...

      Manchmal wünschte ich mir,
      ich müsste nur klicken, und dann würde sich die Welt ändern.
      Ich habe geklickt und geklackt, aber da war nichts.

      Ich wünschte mir, ich könnte mit den Fingern schnippen
      und die Welt würde sich ändern.
      Ich habe geschnippt und geschnippt ...

      Dann habe ich die Arme geschwungen und geschwungen,
      denn ich könnte ja Zauberhände haben.
      Ich habe gewackelt und gewedelt, aber da war nichts.

      Dann habe ich es mit Texten, Fotos und Videos versucht.
      Neue Medien … ihr versteht.
      Ich habe gedacht, geredet und geschrieben, aber da war nichts.

      Heute … ja heute, was soll ich sagen?
      Klicken, schnippen, schwingen, reden.
      Ich … ich habe gedacht … Welt verzeih mir.

      Shakespeare schrieb in seinem Akt: er stirbt.
      Das Leben ist eine Herausforderung, lass dich darauf ein.
      Bis dann.

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