fliehender Sturm

      fliehender Sturm

      Unregelmäßig überfällt mich die Lust darauf, Geschichten zu verfassen. Eine meiner letzten sollte eigentlich eine Hommage an Edgar Allen Poe werden. Ich wollte nur nicht aus der Übung geraten und etwas im Stil des Pendels schreiben. Aber ich habe wohl sehr starke Übertragungsmechanismen und hatte über mich geschrieben. Und während des Schreibens kam der unwiderstehliche Impuls, was ich auch in den Text eingearbeitet habe. Das Ergebnis ist ein ziemlich depressives Geschichtchen, was aber wohl mein damaliges Mindset widerspiegelt. Ich sehe gerade, der Text ist knapp einen Monat alt, kommt mir aber wie wenigstens ein Jahr vor. *seufz*
      Vielleicht sollte ich vorher eine Warnung an mögliche Leser geben, meine Geschichte handelt letztlich vom Todeswunsch, den ich, glaube ich, recht eindringlich beschrieben habe. Es wirkt zumindest auf mich sehr trostlos.
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      Druck


      Desorientierung. Hab' erst vor wenigen Sekunden die Augen geöffnet. Gleißendes Licht von den Wänden blendet mich. Unerträgliche Kopfschmerzen. Wo bin ich?
      Allmählich lässt das Gleißen nach, die Umgebung gewinnt Konturen. Fenster. Das Licht kommt aus den Fenstern. Kann kaum was erkennen, nur Schemen. Menschen? Und.Mein.Kopf. Der Schmerz wütet und hinterlässt eine Schneise der Verwüstung in meinem Inneren. Wo bin ich?
      Die Versuche, meinen Körper zu bewegen, sind vergebens. Gefesselt? Gelähmt? Kann meinen Kopf nicht drehen, lasse meine Augen schweifen. Harte Hanfseile, straffgespannt, drücken meinen Körper auf eine härtere Unterfläche. Gefesselt. Die Fenster in den Wänden sind große helle Rechtecke, hin und wieder sehe ich Umrisse von Menschen wie verbleichende Bleistiftzeichnungen. Wird auf mich gedeutet oder stoßen sie mit Sektgläsern an die Fenster? Das anscheinend einzige Licht hier: kahler schummriger Raum, Metallwände?, kommt von dort. Und die ganze Zeit fühlt sich mein Kopf an, als wäre er in einem Schraubstock eingezwängt. Und jemand dreht und dreht. Darf nicht ohnmächtig werden. Ich schaue langsam nach oben. Ein merkwürdig schmaler, sich verengender, ach ja, perspektivische Verzerrung; ein unbestimmbar breiter und großer grauer Betonblock, dessen oberes Ende im Dunkel der Decke verschwindet, dessen unteres Ende genau über meinem Kopf schwebt. Über? Auf meinem Kopf lastet, drückt, presst, meinen Schädel langsam verformt. Die Schmerzen! Wie bin ich hier gelandet?
      Denken fällt schwer, der tonnenschwere Betonblock drückt und schiebt und drückt und schiebt und macht mich verrückt. Ich versuche mich zu erinnern.

      Ich lief durch regennasse Straßen der aschgrauen Stadt. Es war dunkel, die Neonlichter mit ihrem aufdringlichen Blinken warfen ihr dreckiges falsches Leuchten auf Pfützen, die den Schmutz der Welt aufgesogen hatten. Der Regen hatte etwas ätzendes an sich. Die Menschen, in farblose Plastikjacken und -mäntel gehüllt, schlurften mit eingezogenen Schultern und gesenktem Kopf über den ranzigen Asphalt. Kein Kontakt zwischen ihnen außer gelegentlichen Remplern und gemurmelten Flüchen. Ich, einer von ihnen.
      Meine Gedanken hingen tiefer als die sauren Wolken über den Gebäuden. Sie hatten den gleichen verzehrenden Charakter, lösten Alles in Nichts auf, übrig blieb nur zerfressender Dampf. Ich hatte kein Ziel, irrte durch diese giftige Atmosphäre. Vielleicht hoffte ich auf einen kleinen Unfall mit mir als Opfer. Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Herr SoundSo heute von einem Bus tödlich getroffen wurde, als er die Straße überqueren wollte. Sowas in der Art hörte ich die Ärzte schon sagen. Wem sie es sagen und warum sie Bedauern heucheln sollten, ich wusste es nicht. Warum ich tot sein wollte, auch nicht. Ebenso wenig, warum ich leben sollte. Überdruss, einfach genug von allem. Ich wollte es nicht mehr ertragen.
      Und so ließ ich mich treiben, vernahm den beißenden Gestank des Säureregens, spürte die spitzen Knochen der Rempler, fror jämmerlich, während die Schmutzfeuchte meine Hosenbeine langsam hochkroch. Ich versetzte mich kurz in die Stimmung, die mich auf die Straße trieb:

      Ich sitze auf meinem abgerissenen, braun-beigen Stuhl und starre auf die grauen, vom Nikotin sich langsam verfärbenden Wände meines Zimmers. Die Kippe brennt, ich halte sie in meiner rechten Hand, die über meinen linken Arm kreist. Meine Augen lösen sich von der Wand, schauen auf die merkwürdig blassstrahlendweißen, kreisrunden Brandwunden. Auf die verschorften wochenalten, manche habe ich blutig gekratzt. Auf die tagealten – eitrige Brandblasen. Schaue auf die vollständig verheilten; ich sehe sie immer noch, die Erinnerung lässt sie neu entstehen. Ich spüre wieder die Gier, die anstelle meiner tauben Gefühle getreten ist. Inhaliere tief, asche ab und suche einen schönen Ort zwischen den verheilten. Drücke nieder, kurzer Schmerz, dann abfallende Anspannung. Als ich die Zigarette wieder hebe, ist die Glut erloschen. Mein kleiner Finger wischt die Aschereste vom Arm. Zunächst ist nichts zu sehen, dann kommt es wieder, das merkwürdig blasse, ins Strahlen übergleitende Weiß. Schmerzen spüre ich kaum. Mir fällt plötzlich auf, dass die Musik verstummt ist. Wie lange schon, vermag ich nicht zu sagen, vielleicht eine Minute, vielleicht eine Stunde. Wie lange sitze ich schon hier? Mir fällt plötzlich auf, dass ich schon lange vestummt bin. Wie lange schon – Jahre. Mindestens. Ich zögere, als ich die Musik wieder einschalten will, verspüre einen Impuls, muss mich umsehen.
      In der Ecke mein Schreibtisch mitsamt PC. Sieht aus als wäre ein Vulkan ausgebrochen, alles mit einer Ascheschicht überdeckt, einzelne Bierflaschen ragen raus wie abgestorbene Bäume. In der Mitte ein abgefuckter ehemals rotbrauner, nun graubrauner Tisch, der nie die Fabrik hätte verlassen dürfen, darauf zwei sonst schnarrende, nun stumme Boxen, eine Anlage. Ein Kabel führt zur Steckdose. Und davor der hässliche Stuhl, auf dem ich sitze. Ansonsten Wände, grau-nikotingelb. Alles ein einziges trübes veschmiertes Beigebraungrau, schmutziggelb, lediglich unterbrochen von den roten Farbtupfern auf meinem Arm. Ein plötzliches Gefühl der Übelkeit überkommt mich, ich muss hier raus, raus, raus. Raus. Weg von hier, weg von allem. Nur raus.


      Ich scherte ansatzlos nach links aus. Augen auf den Boden über die Straße durch den Verkehr. Wütendes Hupen, zorniges Bremsquietschen, aufgebrachter Fahrtwind und ich war auf der anderen Seite. Ein tiefer Seufzer entrang sich meiner Kehle, so würde es nicht klappen. Ich fragte mich, ob ich einfach weiter, immer weiter laufen sollte, bis die Häuserblocks mich zerquetscht, der Säureregen mich aufgelöst, die Menschen mich zerrissen haben würden. Bis ich umfiele. Ich wusste, zum Aufstehen hätte mir die Kraft gefehlt. So stand ich da, regungslos, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, den Körper nach unten geneigt. Mein Kopf war schwer. Ich starrte auf die dreckige, ölverschmierte Pfütze zwischen meinen undichten Schuhen, versuchte mein Spiegelbild zu erkennen. Nur verzerrte Fratze ohne festen Umriss.
      Es war zu viel. Ich holte tief Luft, legte den Kopf in den Nacken und schrie. Lange. Laut. Vielleicht war es auch ein Heulen. Die Leute schoben sich weiter blickgesenkt an mir vorbei, die Nässe weiter hoch, die Neonlichter schmerzten weiter in den Augen: Das Unleben der Stadt wucherte unbeeindruckt vor sich hin wie Metastasen. Es war mir egal.
      Doch etwas im Bild hatte sich verändert. Einige Meter vor mir stand ein Mann und schaute mich an. Er trug einen tiefschwarzen, trockenen Anzug. Der Regen schien von ihm abzugleiten. Die Menschen machten einen Bogen um ihn, ohne ihn wahrzunehmen. Er schien das flackernde schmutzig-grelle Licht der Reklametafeln aufzusaugen. Nur eine düstere, schwarz strahlende Aura um ihn herum. Seit Jahren hatte ich keine solche Lebendigkeit gesehen. Er schritt langsam auf mich zu, mich immer im Blick haltend. Seine Augen waren so schwarz wie seine Kleidung. Er blinzelte seitwärts.
      Als er mich erreichte, verschmolz ich in seiner Schwärze. Ich spürte nicht mehr meine kaltnassen Hosen, den ätzenden Regen, die Gleichgültigkeit der Menschen. Nur eine vollkommene Leere, weltraumkalt, wunderschön. Er bot mir an, mich von hier fortzuführen, ins Herz der Schwärze. Alles was er und die Gesellschaft, deren Stellvertreter er war, dafür wollte, war, mir bei der Reise zuzusehen. Ein lächerlich gutes Geschäft, fand ich. Ich schlug ein und wurde bewusstlos.

      Ich spüre, wie mein Schädel Risse bekommt. Plötzliches Aufknacken. Der Schmerz ist nicht zu ertragen. Der Betonblock drückt und drückt und drückt. Und ich erinnere mich an das strahlende lichtschluckende Schwarz, an das wohlige, meinen Körper umschmeichelnde Nichts. Ich lächle Richtung Fenster. Bilde mir ein, dass die Schemen hinter dem Fenster mir zuwinken. Noch ein Knacken.
      Bewusstlos, kurz. Spüre das Blut an meinem Kopf runterströmen. Schaue auf meinen linken Arm. Sehe die Brandwunden mir aufmunternd zunicken. Sie pulsieren glänzend rot. Glückselig lasse ich los.