Ohne Eltern auskommen

      Ohne Eltern auskommen

      Hallo,

      ich möchte grade mal etwas loswerden. Vielleicht geht es ja auch anderen so oder vielleicht hat jemand einen Ratschlag für mich.

      Es geht um meine Eltern.
      Meine Kindheit war turbulent. Ich fühle mich immer schlecht wenn ich zugebe, dass ich sie ziemlich schei*e fand.
      Meine Eltern sind beide psychisch krank.
      Ich konnte dadurch zuhause nie so recht zur Ruhe kommen. Es ging um Aggressionen und Ängste und Scham usw.
      Ich war am Rande der Verzweiflung. Bis man 18 ist kann man ja nicht mal eben weg. Man muss aushalten. Aussitzen und abwarten.
      Hab mich an meinen Freund geklammert und die Beziehung an die Wand gefahren, weil es natürlich nicht gut gehen konnte, dass er mein Ein und Alles war.
      Ich hab meinen Vater damals gehasst. Ich mag hier nicht sagen, was ich ihm alles gewünscht hab.

      Heute denke ich mir, dass meine Mutter auch nicht soviel besser war. Sie hatte ein Kind und hat es weder sich selbst noch mir zu liebe geschafft uns zu schützen. Es gibt Frauenhäuser. Sie hatte Familie, die sie unterstützt hätte.
      Natürlich ist das leicht gesagt. Vielleicht auch ein wenig unfair.
      Andererseits ich kämpfe doch auch dagegen an, dass meine psychischen Sachen andere nicht belasten. Wiederum andererseits: ich schaffe es auch nicht ganz.

      Naja. Ich hab mich mit meiner Mutter zerstritten vor ein zwei Jahren. Seitdem hilft es mir sie nicht mehr zu glorifizieren und meinen Vater zu hassen. Aber ich glaube damit habe ich mich auch der Wahrheit etwas angenähert.

      Mein Vater ist mittlerweile gesundheitlich sehr eingeschränkt. Über die Jahre ist er milder geworden. Er ist zwar vom Verstand her inzwischen ziemlich eingeschränkt, aber er freut sich mich zu sehen, er schreibt mir mails usw.
      Ich weiß nicht wann und wieso ich angefangen hab zu verzeihen. aber inzwischen... er ist jetzt nicht mehr ernstzunehmen. selbst wenn er wollte wäre er nicht mehr fähig mich einzuschüchtern. ich kann da nicht nachtreten und sei es nur mit bösen wünschen.

      Meine Mutter... sie hat eine soziale phobie. seit ich mit 18 ausgezogen bin, hat sie mich dadurch nie besucht. sie weiß nicht wie und wo ich lebe. sie war seit 15 jahren oder so nicht mehr vor der tür.
      ich versuche auf sie zuzugehen. rufe ständig an. aber durch die krankheit traut sie sich nicht dranzugehen, weil es könnte ja jmd anders dran sein.
      ich schreib ich ne mail "wollen wir telefonieren" sie schreibt mir in meiner arbeitszeit wo ich keine mails lesen kann zurück "heute abend um 7", ich komm heim, mein freund geht dran, sie legt wortlos auf.
      ich schreib ihr "ich hab die mail erst jetzt gelesen, ich ruf zurück" rufe sie an. sieh geht nicht ran und schreibt eine mail, es war irgendwas vorwurfsvolles und dass sie heute auch nicht mehr will weil in den nachrichten etwas war was sie aufgeregt hat (irgendwelche demoausuferungen, terrorgeschichten oder so) und sie jetzt offline ist.

      ich muss gestehen ich hab dann pampig geschrieben "dann eben nciht" und mich seit dem nicht mehr gemeldet.

      ich hätte gerne eltern, die an meinem geburtstag anrufen, die mich mit meinem freund einladen und sich freuen uns zu sehen, die erreichbar sind, wenn mal alles blöd ist und man nicht weiß wen man anrufen soll, die nach nem umzug gucken kommen - oder die sich verdammt nochmal helfen lassen.

      ich hab schon soviel gemacht. überhaupt den laptop besorgt, router eingerichtet und repariert damit überhaupt internet möglich ist, freundinnen von meiner mutter angerufen damit sie wieder einen einzigen kontakt hat (was auch für sie nicht übergriffig war, den kontakt hat sie dann tatsächlich gepflegt, ich glaube die freundin durfte sie sogar mal besuchen kommen), ich würde bei einem dringend notwendigen umzug meiner eltern jederzeit helfen. und mein freund würde auch mit anpacken, würde damit helfen dass er ein auto hat usw, hat auch schon oft mal nen großeinkauf für die beiden gemacht usw. den kann meine mutter gar nicht ab. weil er nicht die richtige partei wählt. wer es jetzt die npd würd ichs ja verstehen. aber nein es ist einfach nur nicht das was sie gut findet.
      dabei zählt nicht, dass er für mich alles tut.

      ich lebe damit dass es so ist mit meinen eltern. ich werd sicher nochmal einen versuch starten. vielleicht werd ich auch nochmal mir was von der seele schreiben, mal ehrlich sein. wobei das auch gefloppt ist.
      ich bin froh dass ich tolle schwiegereltern hab. ich spüre zwar immer ein bisschen, dass ich da sozusagen nur angeheiratet bin, das blut eben doch am dicksten ist. aber ein bisschen ist das schon eine ersatzfamilie.
      aber auch wenn ich objektiv klarkomm und mich über das freu was ich hab, entsteht immer mal wieder ein gefühl dass es ungerecht ist. dass ich auch "eltern" verdient hab. eltern die präsent sind.
      hej swollen,

      klar hast du eltern verdient, das hat jeder mensch. und doch, manche eltern sind keine guten eltern. ohne sie auszukommen ist meistens sogar einfacher als damit auszukommen, dass man von ihnen nie - auch nicht mehr dann, wenn man selbst halbwegs mit diesen eltern klar ist - bekommen wird, was man als kind gebraucht hätte. denn kinder brauchen bestimmte dinge einfach, zum beispiel das gefühl, sich auf jemanden verlassen zu können, jemanden zu haben der die regeln vorgibt, jemanden zu haben, der immer für einen da ist und der ohne fragen erstmal hinter einem steht.

      insofern zuallererst mal: dicken respekt dafür, wir du damit umgehst. dass du geschafft hast, trotz dieser familie ein halbwegs normales leben mit job, beziehung und freunden zu führen, ist nicht selbstverständlich und zeigt, wie viel kraft du hast. und dass du ihnen meistens verzeihen kannst, ist wirklich groß von dir.

      schlimm genug, wenn die eltern so krank sind wie deine. der andere schwierige schritt, neben damit klarzukommen wie sie sind und was du von ihnen nicht bekommen hast und auch nie bekommen wirst, ist dann zu akzeptieren, dass du sie auch nicht retten kannst. wenn deine mutter bestimmte schritte nicht schafft, dann kannst du auch nichts machen. du kannst immer mal wieder ein angebot machen, wenn es dann so blöd läuft wie die situation mit dem telefonat, liegt es nicht mehr in deiner hand.

      wenn das irgendwie geht, würde ich an deiner stelle wohl versuchen, es nicht persönlich zu nehmen, ihr die hand hinzustrecken, wenn du gerade kannst. wenn es dann nicht hinhaut, ist es nicht deine schuld. du solltest dich nicht verbiegen und vor allem keine schuldgefühle haben - andererseits hat man nur einmal eltern, und wenn man ohne sich zu verbiegen was tun kann, um zu helfen oder nett zu sein, kann man das ja tun.

      ich wünsche dir weiterhin viel kraft, und dass du vor allem gut nach dir schaust und für dich alles tust, was du brauchst. denn du musst ja dann für dich auch ein bisschen eltern sein, wenn die es nicht konnten.

      alles gute,
      solaine
      "But isn't that life for us all? Trusting to luck?"
      "You can always try to give luck a helping hand", she said.
      //william boyd//


      Hallo solaine,

      vielen Dank für deine Antwort und die netten Worte.

      Im Allgemeinen krieg ich das alles gut hin.
      Ich glaube auch ernsthaft, dass ich wenn ich mal Kinder kriege anders handeln werde. Aber das bleibt dann wieder dem Urteil der Kinder überlassen, wenn sie erwachsen sind.
      Irgendwo haben meine Eltern vielleicht auch getan was sie konnten und es wäre auch nicht fair nur alles schlechte rauszupicken und die Bemühungen, die es auch gab auszublenden.

      Ich hab recht früh eine Wahlschwester gefunden, das hat mir viel geholfen^^

      Was die Krankheit meiner Eltern angeht. Das kann ich zwar nicht ganz als Entschuldigung für alles hinnehmen, aber es hilft zumindest ein bisschen zu verstehen.
      Selbst in den agressiven Zeiten meines Vaters, kann ich mir rausdenken, dass es vielleicht eine krankhaft narzistische Tendenz war, dass es vielleicht Vorboten der Psychose waren oder dass es einfach eigene Verzweiflung, nie gelernte Impulskontrolle usw war.

      Nur bei so Sachen wie dem Telefonat.. Dass sie auflegt, ok, von mir aus. Aber dass sie dann mal eben keinen Bock hat. Vielleicht ging bei ihr durch den "fremden" abheber das adrenalin schon so hoch, dass sie nicht anders konnte.. Fällt jeden falls schon schwer das nicht persönlich zu nehmen.

      Aber ok ist auch schon wieder wochen her. Ist nicht so, dass mich das innerlich zerfrisst. Sind eher so die kleinen Neidmomente die einen schonmal zwicken.

      Wie du sagst, manchmal ist es besser ohne als mit. z.T. war das ja auch meine Entscheidung. Ich hab mich entschieden gewisse Verletzungen nicht mehr hinzunehmen. und dazu steh ich auch.

      Irgendwie kenne ich viele Menschen die über Jahre oder dauerhaft kaum oder keinen Kontakt zu ihren Eltern oder Geschwistern haben.
      Ist schon traurig. Eigentlich sollten solche Banden doch dick sein. Und regenerationsfähig.
      Mal sehen was die Zeit bringt.
      hej,
      also was ich echt schwierig finde ist, wenn man nicht wenigsten seinen kindern zuliebe eine motivation findet, um gegen die eigene krankheit zu kämpfen.

      eine freundin von mir ist jetzt ende vierzig, ihr vater ist gestorben, da war sie 13 und ihre mutter war schon immer seltsam. sie war null für sie da, nach dem tod ihres vaters hat sich eher die tochter um die mutter gekümmert, haushalt geschmissen etc. ihre mutter hat ihr immer nur gezeigt, dass sie im prinzip so "nur" mit ihrer tochter nichts anfangen kann. meine freundin hat jahrelang versucht, das in ner therapie für sich klar zu kriegen, aber ihre mutter kümmert sich inzwischen nicht mal mehr darum kontakt herzustellen. so ist es jetzt halt so, dass sie alles halbe jahr mal tefonieren. traurig, aber da steckte so viel herzblut, unerwiderte bemühungen und enttäuschungen drin, das hat alles zu nichts geführt, und nun ist es halt so.

      ich wünsche dir auf jeden fall, dass es bei dir besser läuft!
      alles gute,
      solaine
      "But isn't that life for us all? Trusting to luck?"
      "You can always try to give luck a helping hand", she said.
      //william boyd//


      Hallo solaine,

      danke für deine Antwort.

      Es gibt seit Jahren noch eine offene Frage.
      Bei meiner Mutter weiß ich ungefähr was sie so erlebt hat, was sie als junger Mensch so getan hat, wie die Krankheit sich manifestiert hat, ein bisschen welche Gefühle aufkommen wenn es bei ihr um die Außenwelt geht usw.

      Von meinem Vater weiß ich eigentlich sehr wenig. Ein paar Stichworte. Geschwister, eine Mutter die ihn im Stich gelassen hat, Berufsstationen und Dramen, ein Lieblingslied, von dem ich aber auch nicht weiß ob es eine Geschichte dazu gibt. Alles was ich sonst wahrgenommen hab waren seine negativen Eigenschaften. Als ich ein (kleines) Kind war gab es noch gemeinsame Unternehmungen, die zwar auch schwierig verliefen aber vorhanden waren. Ich weiß dass er mit Geld usw großzügig war. Das lief zwar eher im Sinne von nicht-mit-Geld umgehen können, aber immerhin.

      Die ersten Jahre nachdem ich ausgezogen bin hab ich wenn ich dann mal (1-3x im Jahr) zuhause war ihm nicht hallo gesagt, mich nicht verabschiedet und ihn auch ansonsten mit Missachtung gestraft. Zum einen aus Wut, auch aus Sprachlosigkeit, weil da nichts mehr zum Reden übrig war.
      Aber so besser es mir ging, so mehr Abstand zur Vergangenheit aufkam.. hab ich immer wieder überlegt ihn mal ins Auto zu packen in eine Kneipe zu fahren und mal wirklich zu sprechen.
      Bisher war das eheste und einzige was ich in der Richtung hinbekommen habe ihn im Krankenhaus zu besuchen. Ich bin 300km gefahren, nur um ihn zu besuchen. Nach ner Stunde wieder 300 km zurück.
      Soetwas mal für ihn zu tun widersprach all meinen früheren bösartigen Rachegedanken. Ich muss zugeben, dass es auch stark durch Selbstschutz motiviert war. Ich hatte Angst, wenn es schief geht, dass ich ein Schuldgefühl hab nicht nochmal da gewesen zu sein.

      So ein Kneipenbesuch oder ähnliches würde wenig Sinn machen. Das würde verbal wegen seiner Krankheit mir wenig offenbaren.
      Die Möglichkeit einer E-Mail bestünde aber.
      Entweder offen mit dem Hinweis, dass ich wissen will was ihn so gemacht hat, dass er meine Kindheit derart mitgestaltet hat, oder ohne diesen Unterton.

      Es wäre irgendwie ein Verlust, wenn er nicht mehr ist und mir fehlt ein Teil meiner Familiengeschichte und der Verpflechtungen die alles so gemacht haben wie es ist.

      Aber mir fehlt eigentlich seit Jahren der Arsch in der Hose und der letzte Impuls soetwas zu versuchen.
      Ich kann meine (Nicht-) Motive nicht so recht ergründen.
      Vielleicht ist es die Angst ihn dann wirklich mehr als Mensch zu sehen. Der Hass auf ihn war in meiner Kindheit eine Überlebensstrategie. Er war Schuld, damit hatte ich wenigstens eine Möglichkeit meine Mutter mehr oder minder grundgut zu sehen und mir keine (weniger) Schuld zu geben. Insbesondere da er mir klar geäußert hat, dass ich Schuld wär.
      Oder es ist grade das Gegenteil. Was ist wenn es nichts gibt, dass mir erklärt wieso er so war. Und mir nur dumm gelaufen übrig bleibt.
      Oder der Versuch floppt und ich mir eigenstehen muss, dass es zu spät ist um Antworten zu bekommen.

      Es ist wie immer: die Entscheidung wird mir keiner abnehmen können. Vermutlich schiebe ich es solange vor mir her, bis sich die Frage nicht mehr stellt.
      Eigentlich stell ich mir bei allem immer die Worst-Case-Frage. Und demnach müsste ich es versuchen. Selbst wenn es gänzlich unbefriedigend verläuft, das krieg ich schon hin, wär vermutlich weniger blöd als es nicht versucht zu haben.

      Gibt es dazu irgendwelche positiven Erfahrungsberichte?^^