Was ist das Gute am Schlechten?

      Was ist das Gute am Schlechten?

      Hi,

      um erstmal den Zusammenhang herzustellen: Ich war vor einigen Jahren autoaggressiv und depressiv. Damals war das Forum ein wichtiger Anker für mich; ich konnte mich hier immer auskotzen und Hilfe finden.
      Seit vielen Jahren bin ich hier nicht mehr aktiv, aber es kommt mir immer wieder in den Sinn, wenn es mir so richtig dreckig geht. Darum bin ich hier und schreibe und hoffe, es ist OK.


      Autoaggression ist zu 99% kein Thema mehr. Was mich umtreibt ist eine chronische, schmerzhafte Erkrankung. Und langsam denke ich: "Das darf doch nicht wahr sein, dass ich so ein Pech habe!" Ich hab über 10 Jahre gegen meine Depressionen und Autoaggression angekämpft. Dann ging es mir 1-2 Jahre gut, ich hatte es geschafft. Ich hab einen Job, den ich mag; einen Mann, den ich liebe; Freunde, die ich gerne mag - und dann kam vor etwa 3 Jahren die körperliche Erkrankung. Liebes Schicksal, du kannst mir mal gepflegt den Buckel runter rutschen!
      Die Erkrankung zählt nicht zu den bösartigen wie z.B. Morbus Crohn und ich bin wirklich dankbar, dass es nichts wirklich Heftiges ist. Aber Endometriose kann eben auch ein Arschloch sein und ich hab natürlich eine richtige Arschloch-Ausprägung abbekommen. Eigentlich kommt es nicht vor, dass Endo einem tägliche Schmerzen beschert - bei mir ist es der Fall. Mal ist es schlimmer, mal ist es besser. Aktuell ist es wieder schlimmer, ohne ordentliche Schmerzmittel hätte ich die letzten Tage deutlich schlechter ausgehalten.
      Und wisst ihr, was das Lächerlichste daran ist? Ich kann mit Schmerzen dank der Autoaggression super umgehen. Ich kann viel erstmal aushalten, bevor ich zu Medikamenten greife und arbeite einfach weiter. Ich hab in Therapien so super gelernt, mit Ressourcen umzugehen, zu entspannen, mit der Angst umzugehen dass es nie besser wird bla bla bla. Alles, was ich in Therapien bzgl. der psychischen Erkrankung gelernt habe, hat mir in den letzten zwei Jahren (seit der Diagnosestellung) verdammt gut mit der körperlichen Erkrankung geholfen. Ich war bestens mental dafür ausgestattet. Die Depression und Autoaggression hat sich hierfür echt super ausgezahlt. Ha. Ha.

      Ich hab keine Lust mehr. Ich könnte - ich könnte weiterhin sinnvoll, ruhig und verantwortungsbewusst mit der Scheiße umgehen, aber ich hab keine Lust mehr. Weil ich so gut darin bin, trotz Erkrankung zu funktionieren, kann ich nicht mehr abschätzen, wann ich wirklich Zeit für mich und eine Krankschreibung brauche, und wann es doch geht. Ich kann es nicht mehr einschätzen, weil ich so viele Jahre parallel funktioniert und immer weiter gemacht habe, um nicht in der Depression zu versinken. Wie gesagt, viele der Fähigkeiten kommen mir heute mehr als gelegen. Aber manche auch nicht.

      Wann brauche ich eine Pause? Wann m u s s ich mal aufhören und mich einfach krank schreiben und wann würde es eher wieder zu einer depressiven Verstimmung führen? Es ist dieser eigenartige Balanceakt zwischen "ich achte auf mich" und "ihr könnt mich alle mal gern haben, ich will einfach nicht mehr" und "stell dich nicht so an, chronische Schmerzen gehören zu deinem Leben, fang an dein Leben so zu gestalten, dass es dir trotzdem gut geht". Ich falle immer wieder auf einer Seite des Seils runter und krieg die Balance nicht hin. Mal verlange ich mir zu viel ab und überarbeite mich, obwohl ich längst eine Pause gebraucht hätte, um meinen Akku wieder aufzuladen. Mal melde ich mich zu schnell krank und fall dann eher in ein Loch mit dem Motto "wie soll das nur die nächsten 40 Jahre weiter gehen?". Mal schaffe ich es, alles super in Balance zu halten, meinen Alltag mit seinen Verantwortungen zu gestalten und zugleich gut auf mich zu achten. Und einen Moment später fall ich wieder irgendwo anders runter. Gerade auf der Seite "ich kann einfach nicht mehr".

      Ganz im Ernst, was soll das? Die Hälfte meines Lebens kämpfe ich gegen irgend etwas. Und bei meinem Glück sieht es nicht so aus, als würde sich das tatsächlich ändern. Ich kann nur wieder MIT einer Erkrankung lernen zu leben und es kotzt mich an. Es kotzt mich so an, dass es nicht einfach gut wird, dass ich nicht Endo hab wie viele andere Betroffenen auch, sondern irgend eine beschissene Scheiß-Form, die Verwachsungen aus der Hölle produziert. Es kotzt mich an, dass die Ärzte trotz mehrmaligem Marathon nicht mehr sagen als "tja, wir könnten ja nochmal operieren, aber Verwachsungen kommen zu 80% wieder". Es kotzt mich an, dass ich wieder und wieder und wieder neue Möglichkeiten suche und mein Leben anpasse, damit die Schmerzen besser werden. Nicht verschwinden, nur besser werden. Es kotzt mich an, dass keiner der kleinen Tricks, die ich bisher herausgefunden habe, dauerhaft wirksam war, sondern dass es trotz aller Bemühungen immer wieder diese beschissenen Phasen mit diesen starken Schmerzen gibt. Es kotzt mich einfach nur noch an, ständig kämpfen zu müssen.

      Im Moment fokussiere ich mich wieder total auf das "es kotzt mich nur noch an". Aber ich weiß, dass das nichts besser, sondern nur schlimmer macht. Stress hilft nicht bei Schmerzreduktion... Ich weiß, ich solltemüsste jetzt wieder tief durchatmen, alle Ressourcen raus holen, einfach weiter machen, weil alles andere nichts bringt. Aber ich kann mich gerade einfach nicht dazu aufraffen. Mir geht die Puste aus.
      Hat jemand tröstende Worte, etwas Aufmunterndes?

      Viele Grüße & Dank vorab.
      Hallo noyée,
      irgendwie habe ich gerade das Gefühl, dass ich vielleicht nicht die Richtige bin, die dir schreibt und so richtig trau ich mich auch nicht. Warum? Ich musste erst die Suche bemühen, um dein Problem zu verstehen. Hast jahrelang gekämpft, um gegen die Probleme zu kämpfen und deinen Weg zu finden – und jetzt kriegst du eine neue Packung um die Ohren. Scheiß Schicksal, scheiß Welt. Und du mittendrin mit deinen Schmerzen.

      Auch ich dachte vor langer Zeit, ich hab viel aus meinen Therapien gelernt. Dann habe ich so gedacht, wie ich es gelernt habe – und seitdem geht es mir fast schlechter als vorher. Sind da nun Parallelen zu dir?

      Du hast Werkzeuge gelernt, die dir helfen sollen, ja was? Zu funktionieren?! Nach welchem Maßstab? Und da kommt mir der Gedanke: du funktionierst - nur im falschen Koordinatensystem. Ich glaube beinahe, dass eben dieses ‚Funktionieren‘ dir ein Bein gestellt hat. Herauszukommen aus dem einen Schlamassel war dein Wunsch. Doch das Pendel der Therapie hat ins andere Extrem ausgeschlagen. Du benutzt die gleichen Weisheiten – und die Weisheiten sagen dir Ätsch – reingefallen.

      Vielleicht ist es wirklich für dich Zeit, das alles beiseite zu schieben und deiner anderen inneren Stimme zu folgen. Es geht mir nicht darum, dir zu schreiben: mach krank. Es geht mir darum, dich zu bitten, die Signale deines Körpers als Rettungsleine wahrzunehmen. Das heißt nicht sich über die Schmerzen, deren Ursache etc. zu freuen. Weiß Gott nicht! Was ich meine: ist dieses Funktionieren wollen das Richtige? Wem hilfst du damit? Dir wie es scheint ganz sicher nicht. Was also wäre so verkehrt daran, zu sagen: ich mache eine Auszeit. Wie du solch eine Auszeit realisieren könntest oder welchen Fokus du darin für dich suchst, das wäre ein zweites Paar Schuhe. Ich würde also eine zeitlich befristete Krankschreibung nicht als Flucht vor dem Funktionieren sondern als Stopp zum Nachdenken und einen neuen Weg finden ansehen. Ob du dazu wirklich dich aus deinem Alltag zurückziehen musst, oder ob du für dich parallele Möglichkeiten findest, kann ich nicht beurteilen. Für mich waren die erklärten Auszeiten in einer Klinik eher der Weg, wieder etwas mehr zu mir und dem, was mein Körper etc. von mir will, zu finden. Aber das muss jeder für sich in seiner Situation entscheiden.

      Warum ich dir das schreibe? Weil ich fest davon überzeugt bin, dass unsere Psyche sehr wohl unseren Körper dazu benutzt, uns Haltesignale zu senden. Ob wir sie als solches wahrnehmen und akzeptieren … das steht auf einem anderen Blatt. Und Schmerzen sind wahrlich kein freudiges Signal.

      Da du schreibst: dir geht die Puste aus … was wäre, wenn du dich einfach mal hinsetzt und Luft holst? Eher nicht wörtlich mehr im übertragenen Sinn. Vielleicht, nur ganz vielleicht, merkt dann dein Körper, dass die ‚Noyée‘ auf ihn und auf sich achtet, und ist zu neuen verträglichen Kompromissen mit dir bereit.

      Lg Elfenspiegel
      Hallo Elfenspiegel,

      dafür, dass du das Gefühl hattest, nicht die "Richtige" zu sein, hast du mir mit deinen Worten ganz schön geholfen ;). Darum vorab: Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast. Ich weiß sie sehr zu schätzen.
      Und verzeih, dass ich erst so spät antworte. Ich wollte mich die letzten Tage einfach nicht mit den körperlichen Schmerzen auseinander setzen und damit, dass es mir echt zu schaffen macht, sondern einfach ein paar Tage Alltag spielen ;).

      Mich würde interessieren, inwiefern es dir schlechter geht als vorher, seitdem du darüber nachgedacht hast, was du in Therapien gelernt hast?

      Ich würde nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Die Werkzeuge der Therapie haben geholfen, gut leben zu können. Ich kann meine emotionalen Muster aushebeln und "gesund" (= für mich gut und heilsam) darauf reagieren. All der alte Kladderadatsch, der mich in die Verzweiflung getrieben hat, ist nicht mehr. Und ich verstehe mich unglaublich gut, was für meine Arbeit unerlässlich ist. In dieser Hinsicht war die Therapie eine Rettung. Und jetzt gerade hilft sie mir auch, auf meinen emotionalen Schmerz der körperlichen Erkrankung halbwegs gut zu reagieren.
      Aber ja, sie hat eine Kehrseite, definitiv. Der Modus "funktioniere erstmal nur und mach weiter" war bei der Depression - für mich - der Richtige, um meine hart erkämpfte Alltagsstruktur zu behalten. Jetzt ist der Modus aber echt nicht immer das gelbe vom Ei.

      Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist, funktionieren zu wollen. Ich meine - wie soll ich sonst mit der chronischen Scheiße leben? Im Moment sieht es nicht damit aus, dass ich je dauerhaft schmerzfrei sein werde. Also muss ich irgendwie trotz der Schmerzen funktionieren können. Mit Auszeiten, wie du schreibst, ja. Zwischendurch krank melden (Info am Rande - das tat ich, nachdem ich hier gepostet hatte ;) ). Geht nicht anders. Du hast den Punkt wirklich wunderbar getroffen und beschrieben, diese Balance, und auch dass meine psychische Verfassung natürlich Auswirkunge auf meine physische hat. Kurz: ich stimme dir bei allem zu, was du schreibst und danke dir für die Erinnerung an diese Wahrheiten.



      Mein Kopf spinnt weiter Gedanken und wenn du darauf nicht antworten möchtest, tu es nicht. Fühl dich nicht in der Verpflichtung ;).



      Es ist ein Balance-Akt. Ich kann nicht immer so, wie ich will. Ich kann nicht so leben, als hätte ich keine chronischen Schmerzen. Mein Körper wurde irreparabel beschädigt. Himmel, wenn ich das jetzt so schreibe fühlt es sich so an, als würde ich mir das zum ersten Mal eingestehen. Klar und deutlich. Ich bin krank und das kann ich nicht so autonom angehen wir die Depression. Mir sind physische Grenzen gesetzt und die HASSE ich. Ich konnte immer alles, ich hab mich aus allem heraus gekämpft, ich habe so viel überwunden und verwunden und ich bemerke jetzt gerade: Diese Grenze narrt mich und macht mich so wütend. Ich habe eine innerliche Trotzreaktion: "Na wollen wir mal sehen, lieber Körper, ob ich dich nicht doch auch mit deinen Schmerzen überwinden kann - alle anderen habe ich schließlich auch überwunden."

      Es macht mich fertig, dass es hieraus keinen Ausweg geben wird. Ich werde wieder operiert. Und danach vielleicht nochmal. Und nochmal. Ich habe täglich Schmerzen. Wieder. Und wieder. Und wieder. Ich will das nicht akzeptieren. Ich will es einfach nicht akzeptieren. Ich suche ständig nach neuen Wegen, wie ich die Auswirkungen der Operationen und der Erkrankung minimieren und in Schach halten kann; ich hab meine komplette Ernährung umgestellt, eigentlich habe ich auch mehr auf Erholungsräume geachtet. Ich sage wesentlich häufiger "nein" auf Arbeit, wenn etwas gar nicht geht (und der Krankheits-Bonus erleichtert es mir auch noch - ha, das Gute im Schlechten! Da ist es!). Ich hab bisher so viel gemacht, war so viel bei Ärzten, im Krankenhaus, Heilpraktiker, blaaablaaaaaaablaaaaaaaaaaaaaaaaa. Ich will nicht akzeptieren, dass es so die nächsten 50 Jahre weiter geht. Und d a r u m, wenn ich ehrlich bin, fällt es mir so schwer, die Atempausen und Auszeiten zu nehmen. Weil ich ahne, dass sie auf Dauer nichts daran ändern werden, dass ich Schmerzen habe.

      Ich weiß, wie ich gut mit einer psychischen Erkrankung umgehen kann. Die Muster verstehe ich, habe ich perfekt gelernt, da macht mir keiner so schnell was vor. Aber diese physische Geschichte... So viel Erfahrung ich auch darauf abgewandelt anwenden kann - die Grenzen meiner körperlichen Wunden geben mir ein Gefühl der Hilflosigkeit. Ganz böse: warum hab ich all die Jahre davor so viel gekämpft, wenn ich jetzt ja doch nur in der nächsten Scheiße sitze, die ich nichtmal selbst beheben kann!? Wie zum Teufel will ich die nächsten 50 Jahre damit leben?

      Viele Grüße

      noyée

      Irgend etwas Gutes muss es haben, sonst werde ich wirklich noch wahnsinnig. Irgend etwas Gutes muss es haben. Sonst werde ich zu einer verbitterten, zynischen Frau.
      Hallo noyée
      hier noch mal meine Gedanken zu deinen Zeilen.

      Ich habe dir eingangs schon geschrieben, dass ich nichts weiß, was dich belastet. Meine Intention bleibt trotzdem, dass du funktionierst – nur im falschen Koordinatensystem. Wie soll ich das erklären?

      Der Satz aus deinem letzten Post, daran möchte ich anknüpfen:
      Wie zum Teufel will ich die nächsten 50 Jahre damit leben?

      Du bist die letzte Zeit (ich weiß nicht wie lange) Sturm gegen dich und deinen Körper gelaufen. Für mich hast du gefühlt aber die Signale nicht in der Weise interpretiert und verstanden, wie es dein Körper und deine Psyche vielleicht gern gehabt hätten. Entschuldige, wenn ich die beiden als deine dritten Teile betrachte.

      Und ich frage dich nochmals: welches Funktionieren meinst du?

      Ich weiß, wir alle sind in unseren Alltag eingebunden und meinen, darin müssen wir funktionieren. Aber das ist unsere Wahrnehmung. Ich frage dich: was wäre, wenn du ein ganz anderes Leben führen könntest?

      Ich weiß, dass es schwierig ist, solche Fragen zu beantworten. Ich versuch‘s mal abstrakt. Es gibt Menschen, die entdecken, dass das Leben, das sie führen, nicht das ist, was ihre Intention ist. Sie fangen einfach an und ändern es – sicher ein langer und mühsamer Weg. Letztendlich stehen sie dann aber da und sagen: sie hätten es nicht anders machen können. Das ist es, was ich meine.

      Was ist dein Lebenstraum? Wie sähe dein Leben aus, wenn du alles so machen könntest, wie du es wolltest? Wäre dabei dein bisheriger Lebensablauf da noch passend? Hat dein Inneres nicht schon immer gegen das absolut Normale rebelliert?
      Ich weiß, ein „neues“ Leben zu starten, alle eingefahrenen Fahrspuren zu verlassen – das bedeutet Ungewissheit, das bedeutet viele Unsicherheiten, das bedeutet Angst. Aber was wäre, wenn dir dein Körper eines Tages sagen könnte: das ist es, was ich wollte. Das ist es, was Noyée immer wollte … sich aber bis heute nicht getraut hat. Ich weiß, kein leichter Weg.

      Alles das sind nur meine Gedanken. Das sind meine Gedanken über deine Zeilen, darüber:
      wenn ich mal weiterdenke.

      Vielleicht ist es genau dieser Weg, den dein Inneres dir zeigen will, wenn es auch nicht ein leichter Weg ist, das für sich zu akzeptieren. Denn das bedeutet alles über Bord zu werfen, was wir meinten, dass es uns ausmacht.

      Schau dich im Netz um und du wirst viele Geschichten finden, die genau das beschreiben. Und du wirst den Weg lesen, den sie gegangen sind. Aber du wirst auch von ihrem uneingeschränkten Glauben lesen, dass es genau dieser Weg war, den sie gehen mussten.

      Vielleicht ist es auch dein Weg?

      Wir werden in unserem Leben viele Wege gehen. Ob sie uns zu uns führen und damit unsere „Schmerzen“ beenden – ich weiß es nicht. Es sind nur meine Gedanken dazu.

      Lg Elfenspiegel
      Liebe Elfenspiegel,
      ich habe mir viel Zeit gelassen und kann nun deine Fragen beantworten.

      Funktionieren heißt - im weitesten Sinne - Alltag leben. Arbeiten, Steuererklärung machen, Freunde treffen, Familie besuchen, mit dem Partner den Alltag gestalten, schlafen, essen, kochen.... Wirklich alles, was Alltag umfasst und was man eben tun muss, damit man ein Dach über dem Kopf hat, Essen im Kühlschrank und ein intaktes soziales Netzwerk.

      Vielleicht vorab ganz konkret als Erklärung, welche Schmerzen mich beuteln:
      Ich habe täglich Krämpfe und Unterleibsschmerzen. Das ist der Endo geschuldet und vermutlich postoperativen Verwachsungen.
      An guten Tagen geht das nur morgens für 1-2 Stunden und danach ist für den Rest des Tages Ruhe. Damit komme ich mittlerweile gut klar und das ist kein Problem mehr.
      An "normalen" Tagen krampft es immer mal wieder über den Tag hinweg, meist nur leicht und daher gut ignorierbar. Aber es beginnt Kraft zu kosten, die Schmerzen zu kompensieren und trotzdem die Alltagsaufgaben zu erledigen (insbesondere Arbeiten fällt dann langsam schwerer).
      An miesen Tagen habe ich den ganzen Tag über immer wieder starke Krämpfe. Meine Ressourcen und meine Geduld für meine Mitmenschen ist aufgebraucht. Ich möchte nur noch auf dem Sofa liegen und meine Ruhe haben und mich mit nichts mehr herumschlagen müssen.

      Meinen ursprünglichen Post hatte ich verfasst, nachdem es wieder 1,5 Monate lang richtig mies war und mir die Kraft und Geduld für alles gefehlt hat, weil ich ständig wiederkehrende starke Krämpfe hatte.


      Wie möchte ich leben?
      Ich hab mich mit jeder Faser meines Lebens auseinandergesetzt und auf den Prüfstand gestellt.
      Meine Beziehung? Nicht perfekt, aber es wurde deutlich, dass ich ohne diesen Mann nicht sein möchte. Er hat seine Macken wie ich auch, aber ich liebe ihn und bin glücklich mit ihm. Dieser Teil meines Lebens passt.
      Meine Arbeit? Auch OK. Klar, an miesen Tagen würde ich sie gerne an die Wand klatschen und schreien "lasst mich alle in Ruhe!", aber ich habe dort die Freiheiten, die ich brauche, um flexibel trotz Schmerzen arbeiten zu können. Und ich habe ein unglaublich gutes Team, das ich wirklich nicht vermissen wollte.
      Freunde, Sozialleben? Auf der einen Seite würde ich gerne mehr unternehmen und ausprobieren. Auf der anderen Seite bin ich meistens vom Alltag schon so erschöpft, dass ich mir nicht vorstellen kann, mit noch etwas anzufangen. Ich bin froh, dass ich aktuell trotz Erkrankung alles unter einen Hut bringe und meine freie Zeit verbringe ich dann wirklich am liebsten mit meinem Partner ganz faul auf dem Sofa. Also passt auch das eigentlich.
      Die Umstände meines Lebens passen und mit ihnen bin ich zufrieden. Die Aspekte, mit denen ich nicht zufrieden bin, ändere ich, wenn ich das Bedürfnis danach habe.

      Wenn ich wirklich mal irrational spinnen würde, würde ich mir wünschen, dass es eine Heilung für Endo gibt und dass ich die Aussicht habe, irgendwann mal nicht mehr täglich Schmerzen haben zu müssen. Das ist es, was ich mir wirklich als Veränderung wünschen würde - und das ist es, was nicht geht. Zumindest sind meine Ärzte gerade nicht optimistisch und wir arbeiten nur an Symptomlinderung. An der Front komme ich also nicht wirklich weiter - ich hab auch keine Ahnung mehr, was ich noch alles tun könnte, damit die Krämpfe nachlassen. Ehrlich gesagt bin ich es auch langsam leid, nach immer neuen "Tricks" zu suchen, nur um die Schmerzen noch ein bisschen zu reduzieren.


      Ich bewege mich also innerhalb gewisser Parameter, die ich nicht loswerden k a n n : Krämpfe und Unterleibsschmerzen. Sie sind Teil meines Lebens. Das Leben, das ich drum herum aufgebaut habe, passt soweit - das könnte ich im Moment nicht besser hinkriegen.
      Was fehlt, ist die Akzeptanz, d a s s das nunmal mein Leben ist. Es ist die Trauer darüber, dass ich nicht schmerzbefreit durch die Gegend springe, sondern dass ich immer aufpassen muss, was ich z.B. esse, wie viel Belastung ich mich aussetze, wann ich welche Schmerzmittel nehme (oder lieber nicht, arme Leber) und und und. Für diese Akzeptanz muss ich nichts Äußeres in meinem Leben ändern. Das ist ein innerer Prozess.

      Soweit als Antwort zu deiner Frage. Ich kann mein Leben nicht so ändern, dass die Schmerzen verschwinden. Es geht nicht - ich muss m i t ihnen leben. Und das muss ich akzeptieren.

      Viele Grüße

      noyée
      Hey,
      Info am Rande. Ich hab herausgefunden, was fehlt. Das Teilchen, das ich brauche, damit ich mit meinem Leben zufrieden bin und es ist so signifikant wie simpel: Einfach keine Angst mehr haben, dass ich nicht gut so bin wie ich bin. D a s raubt Kraft - dass ich nicht so arbeiten und rumhüpfen kann wie andere. Dass ich Endo habe. Dass ich psychisch krank war und Therapien gemacht habe. Dass ich anders bin.
      Und jeden Tag setze ich alles daran, dass es keiner merkt und genau das ist so anstrengend. Nicht die Schmerzen, mit denen komm ich irgendwie klar. Aber das tägliche Verstecken und Überspielen ist ätzend - sonst echt nichts.


      Danke, dass du die Frage angestoßen hast. :) Ich hab die logische Schlussfolgerung gefunden. mit der Zeit werde ich sie umsetzen.

      Alles Liebe

      noyee
      Hallo Noyée,
      ich bezieh mal deine Antwort auf mich.

      Soll ich jetzt sagen: das ist dein Weg? Nein – denn ich weiß es nicht. Wenn der Gedanke, keine Angst mehr vor den eigenen Grenzen zu haben, dir hilft, dann ist es eine Sicht und ein Weg. Mir erscheint wichtig, dass du dies nicht als eine Art „Schlagbaum“ als eine Art unüberwindbare Grenze für die Ewigkeit siehst. Es ist eine Momentaufnahme.

      Ich weiß nicht, wie deine Zukunft aussehen mag. Soll ich all die Sportler bemühen, die trotz ihrer Handikaps Höchstleistungen bringen, bei Para-Olympics Goldmedaillen empfangen?

      Ob du bereit bist für deine Goldmedaille kannst nur du entscheiden. Alles, was du erreichst, ist nicht durch den Blick nach hinten sondern durch den Blick nach vorn gekennzeichnet.

      Hab ich gesagt, dass das ein Zuckerschlecken ist? Nein.

      Lg Elfenspiegel
      Hallo Elfenspiel,

      verzeih. Natürlich war die Antwort für dich.
      Ich wollte dir einfach nur mein Ergebnis schreiben und nochmal Danke sagen.

      Denn um um ehrlich zu sein wäre das meine Goldmedaille - Zufriedenheit wäre wunderbar. Akzeptanz. Nicht mehr ständig kämpfen und verstecken und meine Grenzen ignorieren etc. pp. Damit meine ich nicht Resignation, sondern gelassene Akzeptanz. Heute Abend hab ich sie gespürt, als ich meinen „Gedankenfehler“ erkannt habe und es ist einfach himmlisch! Es ist ruhig und friedlich, heiter und gelassen. Mit dieser Haltung als Grundlage sind die Schmerzen gerade echt einfach auszuhalten. Das tut wirklich gut.

      Darum danke dir. Mal sehen, wohin es mich von hier aus verschlägt. Im Moment möchte ich die Einstellung in meinem Alltag integrieren und wenn das geglückt ist, schau ich weiter, ob ich nicht noch nen Pokal gewinnen will ;).

      Viele Grüße an dich

      noyee
    • Benutzer online 1

      1 Besucher