Stundenlange Handlungsblockaden

      Stundenlange Handlungsblockaden

      Hallo,
      seit 2008 leide ich unter plötzlich auftretenden Handlungsblockaden in Verbindung mit Panik, welche stundenlang anhalten und erst nach dem Einschlafen weg gehen (wenn ich sehr unter Druck stehe, gehen sie nach dem Aufwachen manchmal weiter). Ich kann mich während dieser Zustände zwar bewegen und sprechen, bin also komplett ohne körperliche Einschränkung. Einfache Tätigkeiten kann ich machen, aber habe innerlich Panik dabei. "Kompliziertere" Handlungen funktionieren leider nicht während dieser Zustände, bspw. Gespräche führen.

      Ein Beispiel von gestern: Ich wollte mit dem Bus zur Bibliothek fahren, um Bücher zurück zu geben. Spontan stieg ich einige Haltestellen vorher aus und wollte mir einen Spaziergang im Park gönnen. Ca. zwei Minuten nach dem Aussteigen (ich war schon im Park und genoss bis dahin den Spaziergang) merkte ich eine Art Angst davor, dass die Handlungsblockade wieder kommen könnte. Sie kam auch gleich darauf. Ich versuchte, mich zu beruhigen. Da ich die Bücher in die Bibliothek bringen wollte, stieg ich nach ca. einer halbe Stunde des Spazierengehens wieder in den Bus zur Bibliothek, fühlte mich aber schon sehr unwohl. Ich hatte eigentlich vorgehabt, die Bibliothekarin zu fragen, ob ich das eine Buch nochmal verlängern dürfte. Auch nach über einer Stunde, in welcher ich in Panik in der Bibliothek saß und versuchte, mich zu beruhigen, sah ich mich nicht imstande, zur Bibliothekarin zu gehen und um eine erneute Verlängerung des Buches zu bitten. So schob ich die Bücher lediglich in den Rückgabeautomaten und fuhr in Panik zurück nach Hause. Dort atmete ich schon panisch und legte mich sofort hin.

      Was könnten diese Zustände sein? Außerhalb dieser Zustände wäre das Verlängern des Buches absolut kein Problem gewesen.

      Ich bin für jeden Hinweis dankbar.
      Bergsee
      Hallo Bergsee,
      ich für mich spüre nicht ganz so lange „Handlungsblockaden“ und ich versuche auch zu lernen, mit einem Gefühl der Ohnmacht in mir umzugehen. Ob das jetzt genau so auch für dich zutrifft, weiß ich nicht, aber lies einfach und schau, ob du mit meinen Zeilen für dich was anfangen kannst.

      Panikattacken und den Drang in mir, einfach wegzulaufen und einer Situation zu entkommen, versuche ich auszuhalten, teils mit viel Anstrengung auszuhalten. Darin steckt schon mein Ansatz des Gegensteuerns. Denn irgendwo habe ich mal gelesen oder gehört, dass man in solchen Situationen versuchen sollte, die Spannungskurve auszuhalten. (Ob das jetzt so stimmt, weiß ich nicht, aber es klingt für mich plausibel.) Hierbei sollte man sich und sein Befinden, insbesondere auch den Puls, beobachten, um dann letztendlich ein gewisses teilweises Nachlassen der Spannungskurve für sich zu registrieren. Das klingt jetzt natürlich sehr theoretisch, und als ich das erfuhr, habe ich bei mir gedacht: das steh ich nicht durch. Die Erfahrung der letzten Jahre, in denen bei mir die Panikattacken zunahmen, zeigten mir auch, dass ich die Situationen aushalten kann. Nur das Durchstehen ist schon heftig. Und ich stellte parallel bei mir auch immer wieder fest, dass da sich so ein Gefühl der Ohnmacht oder der Machtlosigkeit einschlich. Deshalb möchte ich vermuten, dass auch in deinen Situationen bei dir ein vergleichbares Gefühl auftritt.

      Es bleibt die Frage: was willst du dagegen tun, wenn in dir dieses Gefühl aufkommt? Weglaufen oder die Situation umgehen, ist ein Ausweichen. Auch ich habe für mich diese Möglichkeit überlegt, bin dann aber für mich zu dem Schluss gekommen, dass im Anschluss bei einer nächsten Situation genau dieses Muster dann zuschlagen könnte. Also habe ich für mich bislang immer wieder versucht, die Situation und die Spannungskurve auszuhalten.

      Als Zweites habe ich im Nachgang versucht, diese Situation genauer zu betrachten, auch um heraus zu bekommen, was genau bei mir zu diesem Gefühl geführt hat (Suche nach dem Auslöser). Danach habe ich versucht mir zu überlegen, welche Möglichkeiten ich eigentlich wirklich habe.

      Bei einem aktuellen Problem, bin ich momentan für mich zu der Entscheidung gekommen, das Problem und mein Vorgehen dagegen in mehrere kleine Schritte zu zerlegen. Das lässt für mich das Problem handhabbarer erscheinen. Und ich gewinne z.B. durch diese Unterteilung die Möglichkeit, mich nach jedem Schritt neu entscheiden zu können. Das Problem bleibt das gleiche, nur es verliert für mich ein Stück weit dieses Bedrohliche und ich fühle mich in der Lage, diesen Prozess durchzustehen. Was ich damit erreiche und versuche ist, dass ich diese „Machbarkeit“ immer wieder ein Stückchen weiter ausdehne.

      Der Trick bedeutet für mich, dass ich mir „Handlungsspielräume“ schaffe, und damit wieder für mich das Gefühl bekomme, nicht einfach nur ausgeliefert zu sein. Denn für mich bedeutet „Panik“ das Gefühl, nicht mehr steuern zu können. Und genau das Gegensteil versuche ich mir immer wieder vor Augen zu führen.

      Vielleicht hast du ja auch eine Person deines Vertrauens oder die Möglichkeit in einer Therapie hier sehr konkret Verhaltensmuster für dich zu erarbeiten, die du dann wie in einem Training durch häufiges „Wiederholen“ für dich zu einem „Werkzeug machen kannst. Ich stelle mir immer wieder die Situation vor und versuche, für mich Gedanken zur weiteren Vorgehensweise, einzelne Schritte und - wie nach dem Frage- und Antwortspiel – Reaktionsmöglichkeiten zu finden. Vielleicht ist das auch eine Möglichkeit für dich. Du schaffst dir damit „Werkzeuge“. Und je mehr solcher „Werkzeuge“ du für dich hast, desto mehr gewinnst du an sicherem Gefühl und Möglichkeiten, in angstmachenden Situationen zu handeln.

      Nach dem Motto: ich habe einen Plan A, ich habe einen Plan B, ich habe ein Werkzeug C, ich mache erst einen Schritt 1, ich mache dann Schritt 2, etc. etc.

      Lg Elfenspiegel
      Hallo Bergsee,
      da mich nun gerade wieder „Home-Office“ erwischt hat … versuche ich das mal positiv zu sehen – ich bin ein Stück weit mehr geschützt in der aktuellen gesundheitlichen Gesamtsituation und ich habe persönliche zeitliche Freiräume gewonnen. Und hey – die nutze ich jetzt mal für dich. Okay?

      Ich möchte dir noch etwas ergänzen – Gedanken, die mir beim wiederholten Lesen deines Themas gekommen sind. Ich betone, dass es meine Wahrnehmungen anhand deiner Zeilen sind und wie ich diese für mich deute. Was ich dabei wichtig finde und deshalb voran stelle: es ist keine „absolute“ Wahrheit, sondern es sind ausschließlich meine Gedanken. :)

      Mir fiel in deinen Zeilen auf, dass du schreibst:
      „…stundenlang anhalten und erst nach dem Einschlafen weg gehen …“ oder
      „ … merkte ich eine Art Angst davor, dass die Handlungsblockade wieder kommen könnte …“ oder
      „ … saß und versuchte, mich zu beruhigen, sah ich mich nicht imstande …“.

      Ein Stück weit tauchte dabei in mir folgender Gedanke auf: unsere Gedanken beeinflussen unsere Sprache. Umgekehrt beeinflusst unsere Sprache auch unser Wahrnehmen und unser Denken. Dazu gibt’s z.B. auch eine Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik mit folgendem zusammengefassten Ergebnis:
      „Die Hypothese, dass die Muttersprache die Wahrnehmung der Welt beeinflusst, fasziniert Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten. In einem Projekt am MPI für Psycholinguistik wird sprachvergleichend mithilfe neurowissenschaftlicher Methoden untersucht, unter welchen Umständen diese Annahme bestätigt werden kann. Es konnte gezeigt werden, dass bei der Wahrnehmung von sowohl einfachen als auch komplexen Sachverhalten (Objekte oder Bewegungsereignisse) stets automatisch unser Sprachsystem involviert ist. Diese Aktivierung entsteht ungeheuer schnell und kommt somit unbewusst zur Wirkung.

      Das bedeutet für mich im Umkehrschluss, dass ich vielleicht über die Kontrolle meiner Sprache ein Stück weit meine Wahrnehmung und die Einordnung dieser Wahrnehmung in meine „innere Denk- und Wertestruktur“ beeinflussen kann. Wie ich also spreche und schreibe kann meine Bewertung der Wahrnehmungen verändern. Es wird also nicht die Situation als solche verändern oder gar verhindern, aber sie lässt mich weiter aktiv bleiben in der Steuerung, was in mir damit passiert.

      Auf deine Zeilen indirekt übertragen: wenn du also für dich versuchst, die beschriebene Situation als vorübergehend, spontan, momentan eben oder auch vielleicht erst mal einmalig zu beschreiben, dann verliert sie ein Stück weit ihren Einfluss auf deine Wahrnehmung der gleichen Situation, und vor allem wie du sie für dich bewertest. So könntest du den Einfluss von Formulierungen
      „ ich bekomme schon seit langem …“ oder
      „ ich stelle immer wieder fest ….“ oder
      „ … ich spüre schon wieder …“
      für dich vielleicht reduzieren. Was du damit gewinnst, sind mehr Luft und Freiheit in dir, Situationen etwas anders und vielleicht ein Stück weit neu zu betrachten und ihnen für dich diese „Nichtbeherrschbarkeit oder zumindest Nichtbeeinflussbarkeit“ zu nehmen.

      Beispiel. Eine Person sagt dir: ich versage immer. Und jetzt passiert Folgendes: du findest ein Beispiel, in dem diese Person nicht versagt hat. Was macht das in deinem Denken in deinem Wahrnehmen? Für mich bedeutet das: die „absolute“ Aussage der Person ist widerlegt, zumindest aufgeweicht und in Frage gestellt. Indem du auch in dir „absolutierende“ Gedanken dahin anschaust, ob du nicht auch Gegenbeispiele findest, wo diese allumfassende Aussage nicht stimmt, hast du für dich eine neue Möglichkeit des Umgangs mit solchen Wahrnehmungen und Gedanken eröffnet.

      Ein erster Schritt in eine mögliche neue Richtung. Versuchen soll nichts schaden.

      Und dann noch ein zweiter Gedanke zu deinen Zeilen:
      So schob ich die Bücher lediglich in den Rückgabeautomaten und fuhr in Panik zurück nach Hause.

      Man kann das jetzt so beschreiben wie du, nach dem Motto: „ich hab’s wieder nicht geschafft …“ das Ergebnis: ein „sauschlechtes“ Gefühl in dir mit allen Begleiterscheinungen.

      Kann man das auch so sehen: du hast erst mal eine Lösung gefunden … und das Buch abgegeben??? Du hast den Abgabetermin eingehalten! Das nenne ich Zuverlässigkeit! Es bleibt dir ein zweiter Schritt. Du kannst das Buch ja auch erneut ausleihen. Dann hast du es wieder, wie du wolltest … nur eben über einen kleinen Umweg. Und das ist es auch nur: ein kleiner Umweg.

      Viele Ziele lassen sich erreichen – manche direkt und mit großer Mühe, andere indirekt und mit einem kleinen Umweg, aber vielleicht ein Stück einfacher.Wenn dir ein zweiter Anlauf Mühe bereiten könnte, übe ihn vorher. Stell dir vor, wie du erfolgreich in die Bibliothek gehst, in der Ausgabe freundlich nach dem Buch fragst, einen kleinen Smalltalk machst und am Ende dich mit netten Worten verabschiedest. Du hast gewonnen, deine neue Vorgehensweise hat gewonnen.

      Du bist gewinnend.
      Elfenspiegel

      PS: Verzeiht, wenn’s mal wieder zu lang ist. ;)
      Hallo Elfenspiegel,

      vielen Dank für deine Zeit, die du investiert hast, um mir deine Gedanken zu meiner Symptomatik mitzuteilen!
      Es tut mir leid, dass du unter einer ähnlichen Problematik leidest!

      In der Situation, in der die Handlungsblockaden auftreten, zu bleiben, habe ich schon sehr oft versucht und es auch oft durchgezogen. Im Unterschied zu reinen Panikattacken, werden die Handlungsblockaden bei mir leider in der Regel schlimmer anstatt besser, wenn ich in der jeweiligen Situation bleibe. :( Selbst nach mehreren Stunden wird es nicht besser. Jedenfalls habe ich es bisher immer so erlebt.

      Dass unsere Gedanken bzw. unsere Sprache unser Erleben beeinflussen, sehe ich auch so.
      Manchmal überlege ich, ob diese Handlungsblockaden rein psychisch sind, da sie mich aus heiterem Himmel überfallen. Vielleicht spielt auch eine neurologische Komponente mit hinein? Das könnte ein Video-Monitoring zeigen.

      Wie ist das bei dir, Elfenspiegel, bist du bei solchen Attacken nach einiger Zeit wieder handlungsfähig?

      Liebe Grüße,
      Bergsee
      Hallo Bergsee,
      kurz gesagt: ja. Aber so kurz wolltest du es sicher auch nicht hören.

      Lass vielleicht mal das „aus heiterem Himmel“ weg und schau doch mal, was genau hat denn deine Handlungsblockade ausgelöst:
      … die Erwartung eines Gesprächs?
      … eine Bitte zu formulieren um den Ausleihtermin zu verlängern?
      … die mögliche Ablehnung einer solchen Bitte?
      … deine Erwartungshaltung, dass es eine Blockade geben könnte?
      zwei Minuten nach dem Aussteigen (ich war schon im Park und genoss bis dahin den Spaziergang) merkte ich eine Art Angst davor, dass die Handlungsblockade wieder kommen könnte. Sie kam auch gleich darauf.

      Das liest sich jetzt für mich so, dass du schon in Erwartungshaltung warst, und damit wurde auch prompt deine Erwartung erfüllt.
      Deshalb ja auch meine Frage: was wäre, wenn du feststellst: da passiert gar nichts. Registrierst du das mit der gleichen Aufmerksamkeit?
      Hallo Elfenspiegel,

      danke für deine Zeilen.

      Ich glaube, am wahrscheinlichsten ist es, dass die Erwartungshaltung bzw. die Angst vor der Angst die Blockaden mitbedingt. Gut wäre es, wenn ich es schaffen könnte, auf die Angst, dass die Blockade eintreten könnte, mit Gelassenheit zu reagieren. Das spielt sich bei mir alles innerhalb von einer Minute ab: der Gedanke "Was wäre, wenn jetzt die Blockade käme?", dann die Angst davor, dass dies eintreten könnte, dann das tatsächliche Eintreten der Blockade. :(

      Liebe Grüße,
      Bergsee
      hallo bergsee,

      dazu kurz ein gedanke von mir: was wäre, wenn du die idee aus dem panikattacken-thread umwandelst und versuchst, in dem moment, wo der gedanke "was wäre, wenn..." kommt, das muster zu unterbrechen? indem du dir zb eben gedanklich sofort danach in den wildesten farben ausmalst, wie du - völlig übertrieben - jetzt sofort mit niemandem mehr reden kannst, dich in ein loch mitten im park verkriechen musst, dir vorher nicht einmal mehr was zu esse oder trinken holen kannst und dann erst nach tagen wieder da rauskommst... verstehst du, wie ich meine? also die "angst" dadurch umgehen, indem du dir das schlimmstmögliche total überzeichnet vorstellst, und das möglichst konkret.

      ein effekt könnte sein, dass du abgelenkt bist. ein zweiter, dass du merkst, was auch immer da eventuell gleich passiert, bringt dich nicht um - und das zu größerer gelassenheit und dann allmählich zu weniger angsteinflößenden gedanken führt.

      lg
      solaine
      "But isn't that life for us all? Trusting to luck?"
      "You can always try to give luck a helping hand", she said.
      //william boyd//


      Hallo Solaine,

      vielen Dank für deine Gedanken zu meiner Problematik.

      Gestern abend geriet ich zu Hause wieder in diesen Zustand des Gefühls der Handlungsblockade in Verbindung mit Angst (v.a. mit starkem Herzklopfen). Ich legte mich hin und nahm eine Beruhigungstablette [...], die aber bei mir leider immer erst nach 1h zu wirken anfängt. :(
      Nach einiger Zeit fiel mir dein Hinweis mit dem Katastrophisieren ein und ich probierte dies aus. Obwohl ich beim ersten Lesen dieser Idee skeptisch war, hat es gestern doch einigermaßen funktioniert nach einiger Zeit. Weiß aber nicht, wie es ohne Hinlegen und ohne Beruhigungstablette gewesen wäre. Ich nehme mir vor, das Katastrophisieren zu üben und vielleicht verschiedene Katastrophenszenarien `mal aufzuschreiben.

      Liebe Grüße,
      Bergsee



      [edit: Medikamentendosierung nach LR04 entfernt/Avicienna]

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