Schamgefühl wegen "dunklem Geheimnis"

      Schamgefühl wegen "dunklem Geheimnis"

      Hallo zusammen,

      es gibt eine Sache, die mich immer wieder sehr beschäftigt und die ich gedanklich einfach nicht sortiert bekomme.

      also...die Vorgeschichte auszuführen würde zu weit führen und tut letztendlich nichts zur Sache. Fakt ist: Ich habe eine Zeit lang regelmäßig Substanzen konsumiert, die man nicht konsumieren sollte. Eine Arbeitskollegin von mir, die in ihrer Freizeit beim Roten kreuz fährt und daher gewisse medizinische Vorkenntnisse hat, hatte die körperlichen Anzeichen bei mir bemerkt, das meinem Chef gesteckt, zusammen mit dem Betriebsarzt haben sie mich komplett auseinandergenommen, in der Folge wurde ich zur Geschäftsführung zitiert, schriftliche Verwarnung, und die Bedingung: "Entweder du hörst auf oder du fliegst raus!"

      Da aufhören für mich zu dieser Zeit nicht in Frage kam, habe ich mich ins Substitutionsprogramm aufnehmen lassen. So habe ich die Entscheidung "aufhören oder nicht" erst mal verschoben. Aber endgültige Lösung habe ich trotzdem keine gefunden. Es fängt schon mal mit der Frage an, ob ich denn überhaupt aufhören muss. Denn ich bekomme das ganz legal auf Rezept, es ist nicht schädlich für den körper, und andere Leute nehmen schließlich auch ihr Leben lang Medikamente. Beim letzten Argument bin ich mir allerdings unsicher, ob das überhaupt "zählt"- denn auch wenn es hart werden würde, hätte ich zumindest die Wahl. Ein Diabetiker zB. hat diese Wahl nicht. Ich bin mir unsicher, ob ich es mir mit diesem Argument nicht zu einfach mache, manchmal fühle ich mich als würde ich nur Ausreden suchen um in meiner "komfortzone" bleiben zu können.

      Andererseits merke ich auch, dass es mich als Mensch verändert hat, und das hängt denke ich hauptsächlich mit der Reaktion von Mitmenschen darauf zusammen. Das erste Erlebnis dieser Art hatte ich mit meiner Mutter. Dazu muss man sagen, dass sie, egal wie sehr ich äußerlich durch SVV/Essstörung "gezeichnet" war, immer hinter mir gestanden ist und ichh nie das Gefühl hatte, dass sie sich für mich schämen würde. Doch bei der Sache war es eben anders, da hat sie bei einem Telefonat klar formuliert dass sie mit niemandem darüber reden möchte weil ihr das unangenehm sei (ich hatte vorgeschlagen, dass sie mit ihrer besten Freundin drüber spricht, weil ich den Eindruck hatte dass sie das ziemlich fertig macht). Das hat mich irgendwie ziemlich verunsichert, denn wie gesagt, das kenne ich so nicht von ihr. Und wenn ich schon meiner Mutter unangenehm bin...was müssen dann erst andere Menschen von mir denken? Dazu kamen dann noch 2 sehr unangenehme Situationen am Gesundheitsamt, wo ich immer die Betäubungsmittelrezepte stempeln lassen muss, die in mir das Gefühl hinterlassen haben, dass mich andere Menschen, die dieses "Geheimnis" von mir kennen, für Dreck/Abschaum halten. Daher habe ich es kaum wem erzählt, selbst hier habe ich es weitgehend für mich behalten.
      Das alles hat dazu geführt, dass ich sämtliche soziale kontakte quasi auf null zurückgeschraubt habe. Traurig aber wahr, wenn ich den Auftrag bekommen würde: "Lade 3 Freunde zu deinem Geburtstag ein"...ich wüsste nicht, wen ich einladen sollte. Wenn ich aufgrund von Corona in Quarantäne müsste, ich wüsste nicht wen ich anrufen könnte dass ich an Lebensmittel bzw. meine Substitutionsmedikamente komme. Der einzige kontakt, den ich noch habe, ist der zu meiner Familie, aber selbst da vermeide ich Treffen wo es nur geht.

      Alles in Allem fühlt es sich an, als würde diese Sache zwischen mir und dem Rest der Welt stehen. Andererseits möchte ich auch nicht darauf verzichten. Besonders im Winter, wo ich sowieso ständig friere. tut diese Wärme einfach so gut. Es ist der Treibstoff, der mich funktionieren lässt. Meine scheinbare Stabilität stützt sich auf verschiedenste Pfeiler der Selbstzerstörung/Betäubung und wenn man nur einen davon entfernen würde, würde vermutlich alles in sich zusammenbrechen. Und selbst wenn ich aufhören würde... ein Teil meiner Vergangenheit würde es trotzdem bleiben.

      Ich erhoffe mir von diesem Thread Tipps, wie ich dieses Schamgefühl loswerde. Wie ich wieder ein Teil dieser Welt werden kann, trotz diesem Hintergrund. Oder vielleicht auch den einen oder anderen neuen Denkansatz, denn ich habe fden Eindruck dass sich die Gedanken bei mir nur im kreis drehen. Dass mir die Entscheidung niemand abnehmen kann, ist mir bewusst, aber neue Meinungen zu dem Thema sind wertvoller neuer, gedanklicher Input.

      LG
      wild_angel
      If everything seems to be going against you,
      remember that the aeroplane takes off against the wind,
      not with it...
      (Henry Ford)

      ~~~~~~~~
      Ich versuche nach den Sternen zu greifen, doch das Universum expandiert....
      liebe wild_angel,

      so richtig vie erfahrung habe ich mit dem thema nicht, ich versuch trotzdem mal, meine gedanken dazu zu sortieren.

      erster gedanke: ich glaube, ohne zu erforschen, wofür du das brauchst und was dir stattdessen "helfen" könnte, wirst du das auf dauer nicht lassen können. du schreibst:

      wild_angel schrieb:

      Meine scheinbare Stabilität stützt sich auf verschiedenste Pfeiler der Selbstzerstörung/Betäubung und wenn man nur einen davon entfernen würde, würde vermutlich alles in sich zusammenbrechen.

      und solange du das glaubst bzw. "akzeptierst", wüsste ich nicht, wie etwas, warum etwas und was sich ändern sollte.

      zweiter gedanke: schamgefühl finde ich völlig unangemessen. millionen menschen da draußen sind abhängig von irgendwas, sei es alkohol, zigaretten, medikamente, drogen, sei es bewusst oder unbewusst. ich finde, schämen muss man sich dafür überhaupt nicht. klar, es gibt mehr oder weniger gesellschaftliche akzeptanz für bestimmte dinge (als ich aufgehört habe alkohol zu trinken wurde mir erstmal bewusst, wie wahnsinnig gesellschaftlich "geregelt" es ist, dass und wieviel man wann trinkt - die ersten 2-3 jahre habe ich immer erklären müssen, warum ich beim ausgehen, bei familienessen, bei abenden mit freunden, auf dem weinfest, beim brunch, firmenfeiern etc. alkoholfrei trinke, inzwischen "nur" noch in ca. 50% der situationen :D ) - aber gesellschaftliche akzeptanz war ja noch nie eine gute richtlinie für die eigene gefühlswelt.

      dritter gedanke: du schreibst, dass es dich irgendwie stört, dass das zwischen der welt und dir steht.
      was ich nicht verstehe: warum stört es dich nicht, dass du abhängig bist? ist jetzt natürlich nur meine kleine welt, aber für mich ist es das wichtigste, (von dingen, konsum, äußeren einflüssen) unabhängig zu sein. zu wissen, egal was man mir wegnimmt, es gibt nichts, was mich komplett aus der fassung bringen würde. meine stabilität stützt sich nicht auf substanzen, alkohol, ungesundes verhalten, medikamente, wahrnehmungsdämpfung oder ähnliches. sondern ich kann das leben, aus mir selbst, aushalten, genießen, gestalten. das war für mich der allerwichtigste schritt aus dem svv heraus (aus dem kranksein heraus, in die stabilität).
      ich erlebe dich eigentlich so weit "gesund", dass ich mich wundere, dass dieser gedanke in deinem post jetzt gar nicht vorkommt. ist dir das nicht wichtig?

      liebe grüße,
      solaine
      "But isn't that life for us all? Trusting to luck?"
      "You can always try to give luck a helping hand", she said.
      //william boyd//


      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von „solaine“ ()

      Ich kenne das aus eigener Erfahrung, Die "Krücke" zu nehmen um sich besser zu fühlen, und auf einmal gehts nicht mehr ohne. Hasst du mal darüber nachgedacht das du dir vielleicht nur ein redest das es damit geht, aber insgeheim weißt das das nicht gut ist ? Bei mir war es so.
      Auch das die Familie auf einmal anders reagiert, du wirst nicht mehr zu Familien Festen eingeladen, darfst nicht mehr zu Besuch kommen. Irgendwie ist das in den Leuten drin das wer "solche Dinge" konsumiert, auch stielt um das zu finanzieren und das man mit so jemanden nicht gesehen werden, das niemand wissen soll das einer aus der Familie sowas macht.
      Ich hab es geschafft damit auf zu hören, es ist aber schwer, bei mir gings am Ende nur ohne weiter, weil ich zu stur war um weiter auf eine "Krücke" angewiesen zu sein.
      Es muss aber jeder seinen eigenen Grund finden um auf zu hören und man muss es wollen.
      Hallo,

      Aus aktuellem Anlass habe ich mir in letzer Zeit einige Gedanken um das Thema gemacht. ich könnte vielleicht noch mehr schreiben, belasse es aber erstmal bei dem :)

      wild_angel schrieb:


      Ich erhoffe mir von diesem Thread Tipps, wie ich dieses Schamgefühl loswerde. Wie ich wieder ein Teil dieser Welt werden kann, trotz diesem Hintergrund.


      Macht es denn einen grossen Teil deines Lebens aus? Falls dem so wäre, könnte ich mir vorstellen, dass das Schamgefühl zurückginge und der Kontakt zu Anderen und Anderem leichter fallen würde, wenn die Beschäftigungen/Identifikation mit der Substanz weniger werden würde (beziehungsweise wenn andere, mehr dem Leben zugewandte Gebiete, eine grössere Rolle als das Geheimnis spielen würden).


      Und es gibt wirklich keine konstruktiven Stüzten?  Dinge, die dich aufbauen und dir gut tun?
      ich glaub, ich persönlich würde da ansetzen; mir Listen schreiben mit Aktivitäten, Gedankengängen, Liedern, Gründen, weswegen es sich lohnt, rauszugehen. Skillslisten wieder hervornehmen?


      Für mich wäre (und ist, bei allem), wie @solaine geschrieben hat, wäre abhängig an sich etwas, dass ich auf keinen Fall sein will - schon gar nicht von den Ärzten die das Rezept ausstellen müsse (oder eben Dealern).

      Ich wünsch dir einen schönen Abend (mit etwas Sonne vielleicht? Hier scheint sie) und liebe Grüsse,
      Noisette
      Hallo, ich hab länger überlegt, ob ich was dazu schreibe.

      Ich denke, du bist weiter, als du es dir eingestehen möchtest. Du kennst und spürst die Folgen, siehst die negativen Seiten der Sucht und bist in der Lage das pro und kontra zu reflektieren. Gleichzeitig ist da aber auch ein Teil in dir, der nicht loslassen kann/ will/ möchte, der ediese Wärme verlangt.

      Substitutionsprogramme sind idR nicht auf Dauer angelegt. Sie sollen Zeiträume überbrücken, bis man genug Kraft (oder einen Platz) hat um eine Entgiftung und dann einen Entzug zu machen, denn auch von Substitutionsmedikamenten muss man einen Entzug machen. Aus eigener Erfahrung kann ich nur raten, das in einer Klinik zu machen, ein kalter Entzug ist einfach nur die H*ll* und sau gefährlich.

      Und du widersprichst dir: Da ist diese Seite, die nicht loslassen kann/will/möchte und sagt, dass es ja "nur" ein medikament ist ohne Nebenwirkungen.
      Die andere Seite sagt aber auch, das es Wesensveränderungen wahrnimmt, ebenso wie soziale Isolation, Ablehnung aus dem Familienkreis. Das sind auch Nebenwirkungen.

      Du bist reflektiert genug, um zu sagen, das es dich isoliert, provokativ gefragt : ist es dir das Wert? Ist dir diese Sucht das wert?

      So hart es sich liest, ich denke, man kann wieder Teil dieser Welt werden, indem man übt, es hinter sich zu lassen. Substitution ist ein erster Schritt, aber man darf da nicht verharren, es sich nicht bequem machen. Aus den Erfahrungen meines Jobs heraus kann ich dir nur sagen: Du hast die Chance, auch von diesem Substitutionszeug loszukommen. Du hast (noch) eine Arbeiststelle, eine Wohnung, ein Familien- Freunde und Arztnetzwerk. Du musst eigentlich nicht Teil dieser Welt werden, du bist es bereits. Du begibst dich durch dieses Zeug nur selber in einen Schatten. Ich weiß aus eigener Erfahrung, das dieses Schatten dasein Vorzüge hat (Wärme, Wattewolkengefühl, etc.) aber du schreibst es ja selbst, es nimmt dir eben auch unglaublich viel. Du musst dich also entscheiden aus diesem Schatten heraus zu treten.

      Ich wünsche dir ganz viel Kraft!

      LG, Scivias
      Komm wir klettern auf die Dächer dieser Stadt und schmeißen alle unsere Sorgen in den Wind.
      Drunken Swallows//Über den Dächern

      liebe wild_angel,

      auch ich habe jetzt lange überlegt, ob und was und wie ich dir schreibe und ob das überhaupt angebracht ist.
      dennoch möchte ich ein paar gedanken dazu teilen, um die du gebeten hast.

      du hast geschrieben, dass du deiner mutter unangenehm bist und das kann ich mir so nicht vorstellen. Kann es sein dass deiner mutter dein drogenkonsum unangenehm ist, aber nicht du als person und ihr geliebtes kind? kommt vielleicht daher dein schamgefühl?

      über das thema wärme, dein substitutionsprogramm und die kälte hatten wir uns schon einmal unterhalten. du weißt selber ganz genau, dass dir die substanzen die wärme nur vorgaukeln und du in dein haus, mit dem ich deinen körper mal vergleiche, keine wärme bekommst, wenn du es nicht heizt, es nicht isolierst und auch die wärmepumpe nicht funktioniert. natürlich kannst du dir die wärmeillusion mit drogen, alkohol oder sonstwas erzeugen, sie verpufft nur sofort und hinterlässt immer größere kälte, den teufelskreis daraus brauche ich dir nicht zu erzählen. vielleicht ist es auch mal wieder an der zeit in diesem zusammenhang über den themenkomplex "essen" nachzudenken.

      den aspekt der unabhängigkeit, den solaine schon ansprach, möchte ich auch noch einmal aufgreifen. bisher hatte ich immer das gefühl, dass dir selbstbestimmung und freiheit sehr sehr wichtig sind und es eine der schlimmsten dinge ist, wenn man dir selbstbestimmtes handeln unmöglich macht oder du fremdbestimmt herumgeschubst wirst. warum verharrst du in der entwürdigenden fremdbestimmung der substitutionsausgabe oder stoffbeschaffung, anstatt den weg der freiheit zu gehen und dich unabhängig von substanzen, rezepten und wohlwollen und geduld deines arbeitgebers zu machen?


      als ich deinen thread die ersten male durchlas kamen mir zwei (ehrlich gesagt total abgegriffene) sprichworte in den sinn:
      - wer sich immer alle türen offen hält, bei dem ziehts gewaltig
      - wer sich nicht entscheiden kann, der verbringt sein leben auf dem flur

      denn ich glaube - und das ist mein persönlicher eindruck - dass du dich entscheiden musst, was du willst. ehrlich gesagt bin ich auch jemand, der sich ganz schwer entscheiden kann und je höher die tragweite, desto schwieriger fallen mir entscheidungen.

      wohin hat sich das aufschieben irgendeiner entscheidung gebracht? garnirgendwohin, höchstens noch tiefer in die sch*****. weder in der einen noch in der anderen richtung bewegt sich nennenswert etwas und es erinnert mich stark an das, was du mir vor 2 oder 3 jahren schriebst. wie viele weihnachten sind inzwischen vergangen?

      ja es zieht, egal wohin du dich wendest, es gibt gegenwind und ich vermute, dass du dich nirgendwo zugehörig fühlst. du passt nicht zu den vollkommen kaputten junkies, nicht zur gesunden familie, nicht zu vielen anderen menschen, weil dich nichts mit ihnen verbindet usw.
      wenn du türen schließt und lebenswege für dich ausschließen könntest, wäre es vielleicht einfacher eine entscheidung FÜR deinen individuellen weg zu finden. die zugluft ist übrigens auch etwas, das dich auskühlt und verhindert, dass du die wärme in dir halten kannst, auch wenn sich das eher auf die innere und emotionale wärme bezieht

      das gleiche zu dem "leben auf dem flur". auf dem flur kann man sich nicht einrichten, da trampeln ständig leute durch, dahin kannst du niemanden einladen, nicht zur ruhe kommen und auch das ist zur überbrückung besser als nichts, nur kein dauerzustand. wenn du dich für eine tür entscheidest, entscheidest du dich gegen andere türen, aber du gehst voran, du würdest schritte in eine richtung machen, die sicher besser sind als stillstand

      natürlich bleibt es immer teil deines lebens, du hast es aber in der hand es zum teil deiner vergangenheit zu machen. angenommen, du würdest einen entzug machen, dann wärst du teil der nicht stoffabhängigen menschen und könntest auch wieder voll und ganz dazugehören. im endeffekt ist es auch nicht anders als ein lebensentwurf. mütter treffen sich oft und gerne mit anderen müttern auf dem spielplatz mit kind und kegel, karrierefrauen ohne kinder treffen sich beim teuren italiener. eine kinderlose karrierefrau wird auf dem spielplatz nur schwer dazugehören können, ebenso die vierfache mutter beim nobelitaliener im businessgespräch. das ist jetzt ein ganz plattes beispiel. es gibt umstände, in denen man sich seine peergroup aussuchen kann und sein leben so ausrichten kann, dass man zur gewünschten gruppe dazugehören kann, viele faktoren wie erkrankungen und schicksalsschläge verhindern das. für oder gegen einen entzug kannst du dich entscheiden, es liegt in deiner hand es zumindest zu versuchen.

      angenommen, es wird zu einem teil deiner vergangenheit, dann wäre das unfassbar bewundernswert. wir im deutschsprachigen raum sind ja traditionell etwas zurückhaltend mit unserer bewunderung und anerkennung für menschen, die entweder von ganz unten kamen oder mal ganz unten im leben angekommen sind und sich trotz allem wieder nach oben gekämpft haben. irgendwie scheint es mir, dass man das stigma hier nie wieder los wird, wobei sich das auch ganz langsam ändert. das ist nicht ganz unwesentlich davon abhängig, wie die stigmatisierte person ihren lebensweg oder ihr scheitern in der vergangenheit verkauft. man könnte es als erfolgsgeschichte verkaufen und damit anderen zeigen, welchen willen, durchhaltevermögen und noch viele andere dinge einem zueigen sind

      ganz anders sieht es in den usa aus, wo der neue präsident gar nicht hinterm berg hält, dass er als kind stotterte. auch der vorvorletzte präsident, das schwarze schaf der familie und exalkoholiker wurde zum präsidenten gewählt, sein bruder, kein schwarzes schaf und ohne alkoholproblem scheiterte in den preelections.
      es gibt kaum einen promi, der nicht frei von der leber erzählt aus welchem elendsviertel, welcher gewalttätigen familie, welche drogen und waffenkriminalität usw die kindheit und jugend dominierten. daraus wird eine erfolgsgeschichte gewebt, dass man alles schaffen kann, vom berühmten tellerwäscher zum millionär, wenn man nur begabt, durchsetzungsstark und hartnäckig genug ist.
      dort führt es sogar soweit, dass promis angeblich wegen irgendwas mal gemobbt wurden (wahrheitsgehalt kaum überprüfbar) und damit ebenfalls eine heldengeschichte schreiben können

      auch hierzulande gibt es die ansicht unter geschäftsleuten, dass nur menschen, denen mal finanziell der popo auf grundeis ging, später wirklich erfolgreiche und gute geschäftsleute werden können, da sie den wert des geldes viel mehr zu schätzen wissen und vorausschauender und verantwortungsbewusster handeln

      wie wird deine erfolgsgeschichte aussehen?

      liebe grüße,
      deine avi :biggrin:
      Liebe wild_angel,
      Ich kenne dich nun schon viele Jahre. Und genau das

      wild_angel schrieb:

      Meine scheinbare Stabilität stützt sich auf verschiedenste Pfeiler der Selbstzerstörung/Betäubung und wenn man nur einen davon entfernen würde, würde vermutlich alles in sich zusammenbrechen.


      ist meiner Meinung nach der Knackpunkt. Dein Schutz, deine Bewältigungsmechanismen, waren immer selbstzerstörerisch und/oder betäubend. Und sie haben sich immer gesteigert. Selbstverletzung, Essstörung, noch mehr Selbstverletzung, noch mehr Essstörung, letztendlich die Substanzabhängigkeit.

      Wenn eins davon weg fiehl, therapiert wurde, nicht mehr tragbar oder möglich war, dann hat die eine schädliche Verhaltensweise die nächste abgelöst. Letztendlich muss, wenn du aus diesem Kreislauf einen Ausweg finden musst, ein anderer Pfeiler an diese Stelle treten. Man kann keine tragende Wand einreißen und hoffen, dass das Haus lange stehen bleibt. Da braucht es am Anfang Stützbalken, bis eine neue Mauer steht. Da müssen andere Dinge her, die dir Stabilität und Kraft und Wärme geben.

      Die Frage, ob es nun "in Ordnung" ist den Rest des Lebens zu substituieren, kann ich dir nicht beantworten. Aber meine Haltung geht da in eine ähnliche Richtung wie solaines Gedanken. Abhängigkeit, egal wovon, ist nur schwer mit Freiheit und Selbstbestimmtheit zu vereinbaren.

      Zu der Scham habe ich noch einen Gedanken, vielleicht geht er auch in eine völlig falsche Richtung. Kann es vielleicht auch damit zusammen hängen, dass das alles nicht selbstbestimmt ist? Selbstverletzung, Essstörung und Substanzmissbrauch waren gänzlich deine Entscheidung.
      Die Situation nun ist sehr fremdbestimmt. Das "Aufhören" kam quasi von Chefseite, dass "clean bleiben" auch. Du musst zum Gesundheitsamt, du bist drauf angewiesen, dass das alles funktioniert, dass du deine Substitutionsmedis kriegst. Du entscheidest nicht selbst, was und wann und wie und wo, sondern der ganze Prozess ist von außen beeinflusst.

      Und: ich würde zu deinem Geburtstag kommen. Auch wenn ich nicht gut heiße was du tust, was du dir selbst antust, so ist es ein Verhalten, dass hier eben "im Weg steht", nicht du als Person oder Mensch. Vielleicht hilft dir dieser Gedanke ja auch ein wenig, dass du als Mensch nicht schlechter oder sonstwas bist, und dass die Menschen in deinem Umfeld sich nicht für dich, sondern für dieses Verhalten schämen?

      Fühl dich gedrückt,
      Dein Zitrönchen
      Von verrückten Leuten kann man eine Menge lernen.
      (Die Mitte der Welt - Andreas Steinhöfel)
      einzig wahres Zitrönchen
      & Chefin des Chi-Kreiselwurm-Verschwörungskommandos


      Hey,

      wollte mich kurz für eure Antworten bedanken, einiges davon hat mich sehr berührt, ich werde mich in naher Zukunft ausführlicher dazu äußern. Bin nur gerade etwas neben der Spur, weil eines meiner geliebten Fellmonster täglich ein Stück weiter in Richtung Regenbogenbrücke geht ;( und ich mich in all dem Gefühlschaos mit diesem Thema hier gerade leider nicht weiter auseinandersetzen kann.

      Himmel, ich weiß echt nicht mehr wann ich zuletzt so viel geflennt hab wie die letzten 2 Wochen...

      LG wild_angel
      If everything seems to be going against you,
      remember that the aeroplane takes off against the wind,
      not with it...
      (Henry Ford)

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