Verflixt - und zugenäht.

      Verflixt - und zugenäht.

      Hallo zusammen,

      es geht mir gut. Aber ein kleiner rationaler Teil in mir sagt, dass das rational gar nicht möglich ist.
      Denn nach über zwei Jahren habe ich mich in den letzten Wochen zweimal v*rl*tzt und mehrere bulimische Tage gehabt. So weit so gut, es könnte mir also schlecht gehen.
      Aber seitdem ich einen "konkreten Rückfall" hatte, geht es mir emotional spitze. Vorher war das anders. Da war Angst, rückfällig zu werden, Angst, die letzten Jahre mehr schlecht als recht klargekommen zu sein, Angst vor dem kommenden Semester, Angst krank zu sein, Angst gesund zu sein.
      Und jetzt habe ich quasi das was ich wollte. Einen sichtbaren Beweis, dass ich nicht zwischen allen Stühlen sitze, sondern zu einer Seite tendiere.
      Einen Grund wieder zum Arzt zu gehen und für das Erzählen der Krankheitsgeschichte mit Antidepressiva belohnt zu werden.
      Nicht mal die Tatsache, dass ich gestern leicht angetrunken auf die Idee kam, meine W*nd*n mal noch eben selbst zu nähen irritiert mich. Dabei ist das schon grenzwertig und die ganze Geschichte so elend perfide eingefädelt. Also erst verflixt, dann zugenäht.

      Meine Emotionen sind wie wenn man betrunken ist, auch wenn ich nüchtern bin. Sie sind einfach leicht und fluffig, mal eben in die Ecke gestellt.
      Aber was heißt das? Dass sie erträglich sind, dass ich unempfindsam geworden bin oder sie nicht zu Wort kommen lasse?


      Irgendwie hat mein perfide manipulatives Wesen das alles mal wieder eingefädelt. Irgendwie war ihm wohl langweilig. So ähnlich war es bei meinem ersten Klinikaufenthalt, den ich quasi selbst "erarbeitet" habe. Das ist mein "Projekt", meine kleine Beschäftigung.
      Und wenn mich doch all das andere nicht irritert, so komme ich damit überhaupt nicht klar.

      Warum hat man so große Angst davor, glücklich zu sein? Ich habe ein tolles Studium, bestehe alle Klausuren, tolle neue Freunde, tolle Aussichten, alles toll. Hat jemand von euch diese Angst schon gebändigt? Wie freut man sich übers Gutgehen, statt gleich manipulativ dran rumzusägen?

      Ich glaube es würde mir helfen, wenn irgendjemand eine Meinung zu dem Ganzen hat.
      Ich selbst habe nämlich keine. Ein "so komisch ist das nicht" oder "Mädel, bekomm deinen Hintern hoch", egal was. Nur einfach eine Meinung. Etwas anderes als grau, egal und gleichgültig.

      Danke,
      Kibalta
      Hallo kibalta,

      musste deine Zeilen erst mehrere Male lesen, bevor ich deine Situation verstanden habe. Ich versuch mal für mich zusammenzufassen: bislang war Angst dein häufiger Begleiter, Angst als Begleiter einer möglicherweise inneren Stimme, die vielleicht einem dauernd in den Ohren liegt und einem weismachen will: „das hast du jetzt aber nicht wirklich verdient, dass du ….“. Denn entweder hast du zu leicht gelernt, also spielte nur das Glück eine Rolle bei deinem Erfolg; oder die Prüfung war ja einfach, also auch nicht deine Leistung, etc, etc.

      Mir fällt da eigentlich nur eine Frage ein: erlaubst du dir überhaupt, Erfolge als deine Leistung wahrzunehmen und für dich zu akzeptieren, wenn du nicht ordentlich geschuftet hast? Leistung, die nicht mit unsäglicher Anstrengung oder Mühe erbracht wurde, ist keine Leistung. Ergo darf der Erfolg daraus auch nicht als eben dein eigener Erfolg anerkannt werden. So manipulierst du dich wieder in eine Position, die da die Selbstzweifel wieder aktiviert, die vielleicht in
      letzter Zeit etwas zu kurz gekommen waren. Und wenn’s dann keine Stolpersteine im „normalen“ Leben gibt, über die man stolpern könnte, dann muss eben ein Rückfall her, und schon stimmt die innere Welt wieder. Der kleine Teufel in dir hat seine Befriedigung wieder.

      So ne Idee wäre vielleicht: du könntest mal für dich ausloten, was die Zweifel für dich bislang geleistet haben, nach dem Motto: „die wollten doch nur was Gutes für dich“. Und dann könntest du nach Möglichkeiten suchen, wie du diese Absicht durch ein anderes Verhalten auch erreichen könntest. Und über ein Verhandeln und ein virtuelles Testen der gefundenen Möglichkeit schauen, ob sich das für dich ok anfühlt. Dann könntest du ja im „richtigen“ Leben ausprobieren, ob deine Selbstkritik und Selbstzweifel mit den Leistungen zufrieden sind.

      Und bitte verzeih meinen „stümperhaften analytischen Versuch“. Er sollte mir nur dazu dienen, deine Zeilen und meine Gedanken überein zu bekommen. :)

      Lg Elfenspiegel
      Hallo kibalta,

      ich würde mal behaupten, dass ich Dich aktuell sehr gut verstehen kann.
      Ich bin seit recht langer Zeit nicht rückfällig geworden und habe auch noch keinen sauberen Weg für mich gefunden, damit wirklich umzugehen. Die meiste Zeit ignoriere ich diese Tatsache.
      Häufig ist es aber so, dass ich mich danach sehne und dass ich auch schwierige Situationen danach beurteile, ob sie es wert wären deswegen rückfällig zu werden, ob es erklärbar oder unverständlich wäre. Denn... könnte man es nicht mit der Situation erklären, welche Erklärung gäbe es dann? Doch nur die, dass ich es einfach machen würde, weil ich es will. Und das fände ich irgendwie weder für meine Umwelt noch mich tragbar.

      kibalta schrieb:


      Und jetzt habe ich quasi das was ich wollte. Einen sichtbaren Beweis, dass ich nicht zwischen allen Stühlen sitze, sondern zu einer Seite tendiere.

      Gerade diesen Satz kann ich sehr gut nachvollziehen. Und weil Du das mit den Antidepressiva erwähnst... für mich war es tatsächlich auch ein harter Kampf mit dem Gedanken umzugehen, sie abzusetzen. Seit 14 Monate nehme ich keine mehr und die meiste Zeit habe ich mit Zweifeln zugebracht. Mir viel die Umstellung anfangs natürlich nicht leicht, körperlich - psychisch hat es noch länger auf mich eingewirkt, diese Tatsache nun nicht mehr ernsthaft erkrankt zu sein, man braucht ja kein Medikament mehr.

      Warum hat man so große Angst davor, glücklich zu sein? Ich habe ein tolles Studium, bestehe alle Klausuren, tolle neue Freunde, tolle Aussichten, alles toll. Hat jemand von euch diese Angst schon gebändigt? Wie freut man sich übers Gutgehen, statt gleich manipulativ dran rumzusägen?

      Wirklich gebändigt habe ich das nicht. Ich habe mich sehr gut darin eingeübt Dinge zu ignorieren. Das unendlich wiederholbare Motto ist "Einfach weiter machen...". Es macht mich unempfindlicher gegen diese Angst, gegen den Drang etwas in die falschen Bahnen zu lenken, der kranken Seite zu viel Raum zu geben. Manchmal glaube ich aber auch, dass es mich ebenso unemfpflicher gegen die positiven Gefühle macht. Aber Glück ist ja auch in kleinen, mageren Dosen besser zu ertragen.
      Ein anderer Punkt ist: Ich habe wenig Zeit mir darüber wirklich Gedanken zu machen. Ich kann es so schnell beiseite legen, weil ich es auch oft muss.

      Alles in allem kann ich es nur nachvollziehen, aber keinen konstruktiven Tipp geben. Ich versuche selbst noch immer damit zurecht zu kommen, mit diesem Unterschied zwischen einem früheren Ich, dem jetzigen und dem, was andere Personen hier schreiben (man vergleicht ja doch, ich wenigstens tue es).
      Ich glaube das Ignorieren auf Dauer hilft nicht. Es wird aber auch nicht helfen, wenn man immer wieder an so einen Punkt kommt, wo man sich selbst und das Umfeld manipuliert (ich bin mir aber nicht sicher, ob dieses Wort wirklich angebracht ist, auch wenn Du selbst es benutzt - ist so eine Henne-Ei-Geschichte...). Und es wird erst recht nicht helfen, wenn man sich dann irgendwelche Tabletten abholt und damit etwas "rumspielt". Viel eher läuft es darauf hinaus, dass man sich damit auseinandersetzt, sich dieser unangenehmen Frage stellt und vorher vielleicht einfach der Tatsache, dass man es selbst in der Hand hat. Man hat es in der Hand, dass es einem schlechter geht, man hat es in der Hand, dass es einem besser geht. Wenn man sich das verbaut, muss man eben erst herausfinden warum.

      Hm, also kein Tipp, nur eine weitere Erfahrung. Das was Elfenspiegel geschrieben hat, finde ich auch interessant, auch wenn ich es noch nicht ganz greifen kann. Aber vielleicht ist da ja vielleicht etwas dran... man kann ganz toll aufzählen, dass man wirklich glücklich sein kann, man hat ja dies und das und jenes inzwischen und auch Dinge erreicht etc. Aber eine Aufzählung ist deswegen noch nicht mit Gefühlen verbunden.
      Vielleicht kannst Du ja mal hinfühlen, ob Du wirklich nicht glücklich sein kannst, oder ob Du einfach nur in dieser nüchternen Betrachtung das Glück nicht empfinden kannst. Auf mich trifft das sicher ein gutes Stück zu. Wenn ich in einer Situation bin, kann ich auch glücklich sein, wenn ich von außen etwas beurteile, sieht die Sache schon anders aus.

      Vielleicht kannst Du ja damit etwas anfangen.
      Grüße,
      klirr
      Hallo ihr beiden,

      vielen lieben Dank für eure ausführlichen Antworten. Leider finde ich erst jetzt die Zeit, angemessen zu antworten.

      Elfenspiegel, das mit den Selbstzweifeln ist sicher ein wichtiger Punkt. Ich konnte viele Sachen immer recht gut, einfach so, kognitiv, aber auch physisch. Ich habe früher Leistungssport gemacht und habe mit halb so viel Training mehr erreicht als die meisten anderen. Ich war es immer gewohnt, alles zu können. Gleichzeitig wusste ich auch immer, dass ich in anderen Bereichen weitreichende Schwächen habe. Und dieser Zwispalt zwischen Können, Nicht-Können, einer gewissen Selbstgefälligkeit, die Tatsache, dass ich mir des ganzen immer recht bewusst war und es zu T*de analysiert habe hat mich letztlich eigentlich sehr unsicher und vorallem selbstkritisch gemacht. Andererseits bin ich in manchen Bereichen auch sehr selbstgefällig-und kann mich deshalb nicht ausstehen.
      Ich kann einfach nichts machen, was (moralisch) falsch ist, ohne mir dessen bewusst zu sein. Und sich die ganze Zeit seine eigene Arschlochhaftigkeit vor Augen zu führen und dieses Bewusstsein nicht ablegen zu können - nunja.

      Wenn so ich recht darüber nachdenke, kritisiere ich mich vllt. selbst, weil ich selten von außen Kritik bekomme. Sei es, weil sie selten nötig ist, sei es, weil sich viele Menschen nicht trauen, mir ihre Meinung zu sagen. Ich könnte also konkret versuchen, mir von Freunden häufiger eine konkrete Meinung zu etwas einzuholen. Oft reagiere ich nämlich total über, zB wenn ich mal an einem Abend meine, die ganze Zeit dreist das Gesprächsthema an mich gerissen zu haben und allen ins Wort gefallen zu sein - und meine Gesprächspartner fanden das Gespräch aber eigentlich total prima.

      Danke auf jeden Fall für die Anregung, ich muss da nur noch ein bisschen drüber sinnieren ;)

      Liebe klirr,
      schade, auch für dich hätte ich es mir gewünscht, wenn du diesen einen Schritt schon hinter dir hättest.
      "Einfach immer weiter machen" ist auch mein Credo seitdem ich dieses unsägliche Studium angefangen habe. Und das hat es mir auch ermöglicht, zwei Jahre ohne Rückfall zu schaffen. Aber ich war mir einfach so unsicher, ob das gesund ist, was ich da mache, oder ob ich nicht lieber das Ganze mal in Ruhe aufarbeiten soll, statt es in die Ecke zu drängen. Aber Abstinenz statt Heilung ist ja immerhin noch besser als keine Abstinenz, das denke ich jetzt.
      Wenn ich in einer Situation bin, die mich glücklich macht, dann bin ich es auch. Ich kann ehrlich lachen und Freude empfinden.
      Ich bin nur in all den Jahren so unglaublich misstrauisch meiner eigenen Freude gegenüber geworden, dass ich das dann, sobald die Situation vorbei ist, nur noch totanalysiere und nur die negativen Aspekte raussuche.
      Ich denke, die Sachen einfach mal gut sein lassen zu können, das ist eine hohe Kunst, aber um die geht es letztlich und vielleicht, mit etwas Glück ist sie ja erlernbar. :)

      Ein paar äußere Trigger konnte ich für mich inzwischen ausmachen (zB mein Wahlfach "Psychiatrie"; wie praktisch) und bearbeiten.
      Ebenfalls bin ich zu den Entschluss gekommen, mich jetzt erstmal nicht um eine Therapie zu kümmern, auch wenn ich mir das an manchen Tagen sehr wünschen würde. Vielleicht wird's ja eine SH oder ähnliches.
      Und bis dahin : einfach immer weiter machen!

      Liebe Grüße,
      kibalta