(Über)Aktionismus, ich laufe und laufe und laufe.

      (Über)Aktionismus, ich laufe und laufe und laufe.

      Schon wieder ein Thread, ich weiß.. ich weiß nicht, ob andere das auch so kennen, ich weiß nicht wie ich das gerad stoppen kann, wird ein bisschen länger:


      Mein Kopf routiert und explodiert, ist voll, die Idee, vegan zu leben, find ich gut und sie stresst mich, weil ich alles sofort will, alles auf einmal, mich in diese Idee reinsteigere, und ich steh im Supermarkt und schick eine Sms, keine Antwort, aber mein Kopf ist voll, ich schick noch eine, keine Antwort, aber mein Kopf ist so voll, ich schick noch eine, krieg nichts um mich rum mehr mit, schreibe so schnell, dass meine Finger fast zittern, ungeordnet, den ganzen Tag Sms, hier, irgendwo anders, weil mein Kopf so voll ist und alles raus muss, _sofort, nicht mal Negatives, und hoffe plötzlich, mein Gegenüber sagt mir "Stop", weil ich erst viel zu spät merke, dass ich so in meinem Aktionismus drin bin und mich selbst damit so erschöpfe und überfordere. Aber ich merk das erst, wenn ich Käse kaufen will und mein schlechtes Gewissen das nicht mitmacht, wenn mir klar wird wie sehr ich mich damit stresse; wenn ich durch den Supermarkt gehe und merke, dass ich da kaum Sachen kaufen kann und mich überfordert fühle, obwohl ich die Idee generell gut finde. Und dann reicht es nicht, dass ich sage: Ich informier mich jetzt, dann gucke ich wo ich was kriegen kann und was möglich ist, nein, alles muss sofort und ganz. Aus einer Idee, die ich generell gut finde, wird ein Zwang und ein schon fast lächerlicher Aktionismus, der echt jenseits von gut und böse ist. Ich gehe bei Tchibo alles durch was es gerade gibt, stelle im Kopf zusammen was ich davon mit dem Gutschein kaufen _könnte, schließe dann das aus, dann das, wäge ab, diese Woche oder nächste Woche? Wenn ich mir das kaufe, könnte ich mir auch das kaufen, aber wenn ich das nicht kaufe, könnte ich mir das kaufen usw. Aus "Ich gucke wie ich von der Schweiz nach München komme" wird ein stundenlanges Unternehmen, weil alle Möglichkeiten in Erwägung gezogen werden, und es gibt viele Möglichkeiten, viele mögliche Zwischenstops, viele Bahnhöfe, viele Tage, viele Uhrzeiten. Dass mein Herz zu schnell klopft, ich komisch atme, mein Blick starr auf den Bildschirm gerichtet ist und ich nur noch drehe, merke ich nicht, ich merk es jetzt, Stunden später, ich merk es und ich weiß nicht wie ich's stoppen soll, hab ich soviel Angst vor'm Innehalten?

      Ich muss in Kontakt sein, immer, ständig, Gedanken mitteilen, über mich, für andere, für andere da sein, sagen "So und so ist das, das und das kann dir helfen, das und das hilft mir, ich bin da", damit.. keine Ahnung, wenn man für andere da ist, ist man stark, und auch da merke ich zu spät, dass mich das gerade komplett überfordert. Ich muss meine Gedanken mitteilen und sie richtig mitteilen, der andere darf mich bloß nicht missverstehen und dann werden aus ein paar Sätzen sehr viele Sätze, aus einem geplanten Absatz werden 3, 4 Absätze bis da so viele Sätze sind, so viel Gerede, dass gar nichts mehr klar ist. Und ich sitze und habe das Gefühl, zu rennen, in mir drin laufe und laufe und laufe ich, bin gehetzt ohne Ende, kann nicht aufhören zu rennen, immer schneller, ich hab so Angst den ganzen Tag, mein Atem ist komisch und ich spüre mein Herz, ich hab so Angst vor den Bildern in mir, vor den Dissoziationen, vor den Momemten, wenn ich meinen Kopf einfach nicht mehr kontrollieren kann, ich versuch, davor wegzulaufen. Es kommt mir vor als würde ich mir selbst zusehen und rufen "Halt, halt, spinnst du, halt an", aber ich kann nicht, ich kann nur zugucken.

      Ich weiß nicht wie ich dieses Drehen stoppen kann, es erscheint mir genau so "gefährlich" zu sein wie die Erstarrung, es ist schrecklich anstrengend und erscheint mir kontrolllos. Ich hab wohl Angst. Die letzten Wochen sind so voll mit Erinnerungen und Bildern, die so plötzlich hochflashen, schrecklichen Zuständen, grauenvollen Träumen und Nächten und ich war da drin, ich bin erstarrt, und jetzt werd ich aktiv, ich fange an, mich wieder mehr um mich zu kümmern, aber das heißt nicht, dass das alles weg ist, das ist auch verständlich und logisch, ich versuch nur, anders damit umzugehen. Das ist anstrengender, aber besser. Ich krieg dann soviel Angst, wieder zu erstarren, weil ich es immer wieder tue zwischendrin, dass ich mich gar nicht mehr zur Ruhe kommen lasse. Denke ich; wäre eine Erklärung.. jetzt gerade, in dieser Minute.

      Ich werde jetzt.. Durchatmen.

      Wenn das jemand bis hierhin gelesen hat: Danke.


      disarming
      For this is rock n roll, I’ve got a rock n roll soul
      And we are freedom fighters. For now...
      (The Tunics)


      ToWriteLoveOnHerArms
      Hallo disarming,

      Ich kann nachvollziehen dass du aus Angst der erneuten Erstarrung dir einen so ausgeprägten Tatendrang angeeignet hast und eigentlich ist das im ersten Moment auch nichts schlimmes. Das Problem ist nur, wie du auch schon selber erkannt hast, dass du dich damit total unter Druck setzt und auch überforderst. So ein Aktionismus wird eben dann genau so gefährlich wie die Erstarrung, wenn er in so einer extremen Variante sattfindet. Du sagst es ja selbst, du bemühst dich total, es strengt an und laugt dich aus und wenn dann Sachen nicht klappen, kann es schnell passieren dass es in Enttäschung umschlägt, dich runterzieht.. und genau darin liegt eben die Gefahr, zumindest meiner Meinung nach.

      Du hast ja schon eine mögliche Erklärung dazugeschrieben, warum du dich eben so hetzt, stresst und so viel schaffen möchtest und jene Erklärung finde ich eigentlich auch ganz plausibel. Versuch dir deine Angst mal deutlich vor Augen zu führen, setz dich damit auseinander. Du möchtest nicht in so eine Lethargie verfallen, du möchtest aktiver sein und dein Leben anders gestalten. Mach dir das erstmal in Ruhe bewusst bevor du mit etwas anderem beginnst. So läufst du mit deiner jetzigen Art ja einfach nur vor dem Problem weg wie du auch schon selbst erkannt hast.

      Und wenn du dann wieder voller Ideen bist und mit dem Handeln beginnen möchtest, versuch dich zumindest ein bisschen zu ordnen. Jeder kennt dass ja, man steckt plötzlich voller Ambitionen und möchte am liebsten direkt alles machen und dann steht man vor so vielen Baustellen und endet dann wie oben schon erwähnt in einer Überforderung und ist unzufrieden. Lieber erstmal durchatmen und sich etwas ordnen.

      Es kennt denke ich auch jeder so Situationen, wie dein Beispiel mit Tchibo oder dem schreiben mit deinen Freunden. Man will einfach nichts falsch machen, auf Nummer sicher gehen und dann landet man eben schnell in diesem Gedankenwirrwarr, auch das finde ich nicht schlimm. Man muss eben nur darauf achten, dass man nicht in Panik oder solchen Stresszuständen gerät. Auch hier kann ich dir nur sagen, versuch etwas Ruhe zu bewahren. Setz dich nicht selbst so unter Druck. Diese Unsicherheiten sind normal, man darf sich nur nicht von ihnen aus der Bahn werfen lassen.

      Ich konnte dir nun wahrscheinlich nichts wirklich Neues sagen, aber ich hoffe es hilft trotzdem irgendwie vielleicht ein ganz kleines bisschen weiter.
      If I could start from scratch I wouldn't change shit
      Hallo disarming,

      Ich kenne das auch. Beide Zustände. Die Erstarrung und den Aktionismus. Mal davon abgesehen, dass sich auseinandersetzen, wann immer man die Kraft dazu hat, meist auf lange Sicht hilfreich ist, hat ja das, was du da an ruhelosem Umherhetzen, tatsächlich oder in Gedanken, damit nichts mehr zu tun. Bei mir fühlt sich das an wie eine Achterbahnfahrt, die ich selbst nicht mehr stoppen kann. Das genaue Gegenteil zur Erstarrung. Und irgendwie dieser auch ähnlich. Weil: Beides fühlt sich letztlich dissoziativ an, beides hindert mich, im Hier und Jetzt meine Ziele zu verfolgen, beides entfernt mich von mir und von meinem Gefühl für mich und meine Bedürfnisse.

      Beides sind Zustände, aus denen ich raus will, noch besser: gar nicht erst rein. Skills, die mir aus diesen agitierten ( also den erregten) Zuständen helfen, sind andere als für de erstarrten. In der Erregung hilft mir kein Duftfläschchen, kein Igelball, keine Wasabipaste... Mir hilft dann heiß Duschen, mässig warm baden ( nicht zu warm, weil mein Kreislauf u.U. unbemerkt längst auf beachtlichen Touren ist), Qi Gong ( weil ich da beim entspannen etwas aktiv tun kann und es trotzdem beruhigend ist) - ich glaube mir hilft dann alles, was beim Strukturieren hilft ( aus der Wanne springt man nicht so schnell raus wie vom Sofa bei ner Atemübung...) und manchmal hilft mir auch ein Bedarfsmedi von der Psychiaterin. gar nicht hilft mir dann zum beispiel körperliche Aktion, zb. Joggen - mach ich gern, finde ich superentspannend - in diesen Zuständen höre ich aber erst kurz vrm Herzt*d auf zu laufen und fühle mich dann auch entsprechend. Das muss man aber für sich rausfinden.

      Hmm, ich schreibe von mir, weil ich dir nicht sagen kann, tu dies, lass das. Dein Text ist mir unter die Haut gegangen. Sehr. Und ich wünsche dir, dass du für dich die richtige Balance findest.

      Dark
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