Durch den Wind - und weiter.

      Durch den Wind - und weiter.

      Hallo zusammen,

      ich bin gerade ziemlich durch den Wind. Daher Zweck No. 1 dieses Beitrags: Gedankenkreisen durch Aufschreiben beenden.
      An anderer Stelle hatte ich bereits von meinem Praktikum auf der Akutstation einer KJP berichtet. Morgen geht die Famulatur zuende und heute hatte ich ein abschließendes Gespräch mit einem Oberazt, den ich um Rat gefragt hatte, weil ich nicht so recht wusste, wie sich die Arbeit mit meiner eigenen Krankheitsgeschichte vereinbaren lässt.
      Das Problem ist, ich mag ihn (den Arzt) richtig gerne und es gehen mir jetzt noch eintausend Sachen durch den Kopf, die ich ihm noch unbedingt hätte sagen und fragen wollen. Ich hätte gerne mehr über mich und meine Krankheit geredet - ich weiß jedoch genau, dass das Gespräch genau richtig gelaufen ist, so allgemein wie wir es gehalten haben, denn das was ich hätte loswerden wollen, gehört einfach nicht in diesen Rahmen Vorgesetzter/Studentin. Das was ich loswerden muss gehört in eine Thera und er ist nunmal nicht mein Therapeut.
      Womit wir bei einem Punkt sind, der mich immer wieder mich selbst verurteilen lässt, dieses ewige um Aufmerksamkeit Buhlen, das immer wahrgenommen werden wollen. Ekelhaft.
      Neben der formellen Ebene hat mich das Gespräch auch inhaltlich über den Haufen geworfen. Denn ich habe für mich in den letzten Wochen festgestellt: die Fälle (Patienten) belasten mich nicht, meine Krankheit belastet auch nicht die Arbeit mit den Pat., aber: die ständige Konfrontation mit dem Thema psychische Erkrankungen sorgt dafür, dass ich mich wieder vermehrt mit meiner Krankheit identifiziere. Ich muss mich geradezu versichern, dass sie noch da ist, indem ich mich in den letzten Wochen mehrfach selbst v*rl*tzt habe - was ich sonst schon lange nicht mehr tue.
      Gerade möchte ich am liebsten einfach "Pause" drücken, für eine gewisse Zeit lang aufhören zu existieren, einfach warten ohne etwas zu verpassen, bis sich eine Lösung für das Daseins-Dilemma aufdrängt.
      Seit ein paar Jahren habe ich mich relativ gut im Griff, SvV und Bulimie sind von erträglichem phasenweise exzessiven Alkoholkonsum abgelöst worden, damit "funktioniere" ich ausgezeichnet, das Studium läuft, alles läuft. Aber mehr und mehr drängt sich ein: "ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr" auf. Seit Jahren hangel ich mich nun von Tag zu Tag, von Aufgabe zu Aufgabe, klammere mich an Tagesrhythmen, Essenszeiten, Haushalt, Studium, Arbeit fest um ja nicht mal in die Versuchung zu kommen, loszulassen, mich wieder gehen zu lassen. Seit langem warte ich auf den Crash, auf den Punkt an dem nichts mehr geht, Ende letzten Jahres war es fast so weit, aber alles lief irgendwie weiter.
      Aber was die Genesung angeht, stehe ich seit drei Jahren auf dem gleichen Fleck. Ich habe mich auf funktonsfähigem Niveau eingepegelt, aber es muss so langsam weiter gehen. Es ist Zeit, weiter zu arbeiten, abzuschließen, einen Punkt zu setzen. Denn das muss ich, um in der Psychiatrie arbeiten zu können. Und ohne dieses Ziel bleibt mir nichts als mein Studium abzubrechen.
      Aber wie macht man sowas? Ist für so ein Vorhaben eine stationäre Therapie sinnvoll? Nehmen die mich so überhaupt auf, "nahezu symptomfrei, Verdachtsdiagnose Überdruss"?
      In zwei Wochen habe ich einen Termin bei einem Niedergelassenen, mehr als einmal im Monat wird bei ihm kein Thera-Termin drin sein; heißt: wochenlang Zeit, sich immer wieder reinzusteigern um dann einen kurzen Löschversuch zu unternehmen. Ich fürchte, das schadet mehr als dass es nützt.
      Wäre vielleicht gar keine therap. Anbindung besser? Kann man sich so leichter vom Thema lossagen statt ständg drum zu kreisen?

      In zwei Tagen geht es erstmal alleine an die Oststee, nur das Meer, das schlechte Wetter und ich. Entweder hilft das, um wieder etwas klarer denken zu können, oder es geht total daneben. Ich hoffe natürlich auf Ersteres.

      Ich würde mich freuen, für den Fall, dass sich jemand bis hierhin durchgekämpft hat, wenn jemand ein paar Tipps zur "letzten Therapie-Etappe" (das "Loslassen") hat, generell bin ich über jedwedes Feedback glücklich =)

      Viele Grüße,
      kibalta
      Hey,
      Meinst du denn, dass die Arbeit in der Psychiatrie die Wünsche des sich fallen lassens verstärkt haben? Zumindest bei mir hängen diese Dinge durchaus stark zusammen.
      Ich kann mir gut vorstellen, dass es schwierig ist und durchaus Zeit braucht, um seinen Platz in solch einer Einrichtung zu finden, sich auch innen drin dran zu gewöhnen, dass man eben nicht Patient sondern "Fachmensch" ist. Die S*lbstv*rl*tz*ng*n lassen vermuten, dass es für dich noch schwer ist, eindeutig die Rolle des Fachmenschen einzunehmen. Vielleicht brauchst du einfach noch etwas Zeit?
      War es denn immer dein Wunsch, in einer Psychiatrie zu arbeiten, oder warum sprichst du davon, gleich dein ganzes Studium hinschmeißen zu wollen? Selbst, wenn es nicht die Klinik werden sollte, hast du mit deinem Abschluss viele andere Möglichkeiten, auch mit dem Schwerpunkt klinische Psychologie.
      Was sagt denn der Oberarzt zu dem Thema einerseits eine Vergangenheit zu haben, in der psychische Probleme eine Rolle gespielt haben und der Psychiatrie als Arbeitsumgebung?(bin da jetzt einfach mal neugierig, da das für mich evtl auch mal interessant sein könnte)
      Ich denke schon, dass es tendentiell möglich ist, eine Therapie zum "abschließen" genehmigt zu bekommen - zumal, wenn du eine Therapieform beantragst, in der noch keine Behandlung stattgefunden hat. Ich habe, u.a. aus diesem Grund, gerade eine Therapie angefangen.
      Vielleicht war ja irgendwas hilfreiches für dich dabei...
      Am I that unimportant -
      am I so insignificant?
      Isn't something missing -
      isn't someone missing me?
      (Evanescence - Missing)
      Liebe Soraya,

      inzwischen bin ich wieder an einem Ort mit Internet -im Gegensatz zu den letzten Tagen ;) Daher auch jetzt erst eine Antwort.
      Den Wunsch sich fallen zu lassen hat die Arbeit sicherlich intensiviert, wenngleich er aus anderen Gründen ohnhin in letzter Zeit wieder vermehrt aktuell war (zB durch eine neu begonne Behandlung).
      Ein wenig Zeit werde ich sicherlich noch brauchen, ich bin immer froh zu sehen, dass ich ja noch drei Jahre Studium vor mir habe, von der FA Ausbildung ganz zu schweigen. Das habe ich mir auch ein bisschen zu meinem Mantra gemacht: wenn ich schaue, wo ich vor drei Jahren war und wo ich heute bin - dann könnte das durchaus was werden.
      Das Problem mit dem Studium ist, dass ich bei der Wahl zwischen Psychologie und Medizin für Letzteres entschieden habe, immer mit der Absicht, in der Psychiatrie zu arbeiten. Die ganzen somatischen Fächer interessieren mich wenig und ich glaube, da liegen auch nicht wirklich meine Stärken. Fiele nun also Psychiatrie als Arbeitsbereich weg, würde ich nicht noch weitere drei Jahre mit einem Studium verbringen wollen, das mir nicht liegt.
      Der Oberarzt sagte zu dem Thema v.a. eines: dass es nicht ungewöhnlich sei. Er brachte dann Beispiele, hauptsächlich aus dem Bereich ES, und dass das zum Teil dann nicht die richtigen Ansprechpartner für die Betroffenen seien. Insgesamt wies er darauf hin, dass es vor alllem wichtig ist, sich selbst genug abgrenzen zu können. Und als ich meinte, dass mich die Arbeit dazu bringt, mich wieder vermehrt mit meiner Erkrankung ausienander zu setzen meinte er ziemlich direkt, dass ich mir dann vllt. etwas anderes suchen sollte.
      Eine andere Kollegin meinte, sie schätze es sehr, wenn Leute mit "Erfahrungen von der anderen Seite" in dem Bereich arbeiteten, da sie einfach wertvolle Erfahrungen mit ein brächten. Sie hätte es jedoch bei einer Kollegin miterlebt, dass diese sich wegen ihrer n*rb*n von der Betriebsärztin und wohl auch Kollegen ein paar fiese Sprüche anhören musste.

      Ich für meinen Teil mache jetzt einfach erstmal weiter. Wenn der Posten eines Integrationsbeauftragten mit einem Menschen mit Migrationshintergrund besetzt wird, halten das alle richtig und wichtig. Was es ja auch ist. Warum das in der Psychiatrie so anders ist - keine Ahnung ;)
      Liebe Grüße,
      kibalta
      Hallo.

      Wenn der Posten eines Integrationsbeauftragten mit einem Menschen mit Migrationshintergrund besetzt wird, halten das alle richtig und wichtig. Was es ja auch ist. Warum das in der Psychiatrie so anders ist - keine Ahnung ;)


      Um das Bild mal aufzugreifen: Das kommt eben auf die Definition von Migrationshintergrund an. Ich glaube kaum, dass alle es für richtig halten, wenn den Posten jemand kriegen soll, der gerade aus seinem Land geflohen ist und kaum ein Wort (als Beispiel) deutsch versteht.
      Es sind doch eher die, die schon lange in einem Land leben und die sich gut artikulieren können, denen man solche Posten auch zutraut. Und die meisten würden wohl auch diejenigen bevorzugt in solchen Posten sehen wollen, die vielleicht schon die nächste Generation sind, die schon in dem jeweiligen Land geboren wurden, akzentfrei sprechen etc.

      Und das wiederum kann man auch übertragen... wenn jemand in einer Psychiatrie arbeiten will, der gerademal erst selbst entlassen wurde, würden wohl alle mit dem Kopf schütteln. Wenn es jemand ist, der sich schon ein gutes Stück rausgekämpft hat, wird man Bedenken haben. Steht da aber jemand, den es offensichtlich kein Stück mehr kratzt, werden andere sicher ob der Erfahrungen, die eingebracht werden können, jubeln. Am allerbesten wäre es, wenn derjenige seine Erfahrungen einbringt, nicht als "Das kenne ich auch", sondern als Fachwissen verpackt, ein "So ist es"-Wissen.

      Naja, aber ich arbeite nicht in dem Beruf und habe damit auch sonst nichts zu tun.

      Was mir an Deinen Beiträgen aufgefallen ist und was ich nicht übergehen kann, ist die Diskrepanz in Deiner eigenen Betrachtung (also von Beitrag 1 zu Beitrag 2), die ich sehr interessant finde:


      kibalta schrieb:

      Aber was die Genesung angeht, stehe ich seit drei Jahren auf dem gleichen Fleck. Ich habe mich auf funktonsfähigem Niveau eingepegelt, aber es muss so langsam weiter gehen.


      kibalta schrieb:

      Das habe ich mir auch ein bisschen zu meinem Mantra gemacht: wenn ich schaue, wo ich vor drei Jahren war und wo ich heute bin - dann könnte das durchaus was werden.


      Ich gehe einfach mal davon aus, dass die richtigere Einschätzung die zuletzt genannte ist, dass Du wirklich vorangekommen bist. Als Du den ersten Beitrag geschrieben hast, warst Du ja eher durch den Wind, wie Du sagtest, und daher ist das vermutlich eine etwas verzerrte Selbsteinschätzung.
      Aber ich glaube, das genau das ein wichtiges Element ist - dass Du hinschauen solltest, wie realitätsnah Deine jeweilige Einschätzung ist. Ich versuche selbst oft damit zu arbeiten, dass ich einen Realitätsabgleich mache. Wenn ich den in einem schlechten Moment nicht mache, falle ich tiefer, als es sein müsste. Wenn ich eine Überprüfung dazwischen schalte, kann ich abwägen und auffangen. Dabei kann eine Liste mit Dingen, die man schon geschafft/erreicht/gemeistert hat sehr hilfreich sein, die einem direkt zeigt, dass es wirklich Fortschritt gibt. Ich denke so etwas kann auch langfristig stabilisierend wirken.
      Es ist ja oft auch so (zumindest bei mir war es so), dass es - wenn man schon viel überwunden hat - schwerer fällt die aktuellen Erfolge überhaupt zu bemerken. Man macht keine riesigen Schritte auf einmal, die Verbesserung ist manchmal auch nur minimal (weil es vllt. vorher schon ok, aber nur noch nicht gut war) und da kann es schon sein, dass man denkt, dass man sich nur noch im Kreis dreht. Dabei ist man einfach schon so weit, dass die großen Schritte nicht mehr nötig sind, dass man am Feintuning dran ist.

      Naja, das meine hoffentlich halbwegs passigen Gedanken dazu.
      Grüße,
      klirr
      Liebe klirr,

      danke auch dir für deine Antwort und Ansichten.
      Was das "Integrations-Beispiel" angeht, sehe ich es ähnlich differenziert wie du. Gerade mit dem Punkt, an dem Erfahrungen mit Fachwissen verschmelzen, bzw. solches werden und als solches abgerufen werden, gebe ich dir vollkommen recht. In den letzten Wochen konnte ich mir da schon ein bisschen ein Bild machen, was denn bei mir der Fall ist bzw. noch überwiegt - die Grenzen verliefen fließend, so manches war noch von Erfahrungen überlagert, anderes "reines" Wissen. Ich glaube, Deutsch verstehe ich mittlerweile recht gut, beim Sprechen stellt sich jedoch immer wieder unangenehmes Stottern ein um beim Bild zu bleiben.

      Was den zweiten Punkt angeht: danke für den Fingerzeig in Richtung Diskrepanz. Diese schrägen konträr lautenden Aussagen waren mir gar nicht augefallen :D
      Eigentlich zeigt das unfreiwillig ganz schön, wie tagesformanhängig die Klassifizierung von Erinnerungen, Erfahrungen und Empfindungen ist. Gerade geht es mir seit ein paar Tagen so gut, dass ich gar keinen Gedanken und erst recht keinen Zweifel an dieses Thema mehr verschwendet habe.

      Wie genau muss ich mir diesen von dir erwähnten Realitätsabgleich vorstellen, also was genau machst du dann neben den von dir erwähnten Sachen wie dem Auflisten?

      Viele Grüße,
      kibalta