Brief an meine Eltern

      Brief an meine Eltern

      Ich habe die Borderline-Persönlichkeitsstörung, bin sehr impulsiv und verl*t*e mich selbst. Meine Eltern wissen, das ich seit der Jugend psychisch krank bin und mich selbst verl*t*e. Meint ihr sie haben bis jetzt auch nur einmal meine Diagnose erfragt? Interesse gezeigt, woran das liegen kann? Ich möchte dennoch mein Leben selbst in die Hand nehmen, es gestalten, loslassen und verzeihen. Dies soll ein Anfang sein - ein symbolischer Brief an meine Eltern:

      ,,Hallo Margitta, Hallo Jürgen,

      (denn Mutter und Vater konnte ich schon als Kind nicht zu euch sagen und kann es jetzt immer noch nicht)

      was ich euch schon immer sagen wollte, wenn ich mich nur getraut hätte, ist, das ich in meiner Kindheit sehr unter eurer Lieblosigkeit, Kälte und besonders eurer Ablehnung gelitten habe. Ich wollte doch nur eins: eure Liebe und für euch in Ordnung sein, so wie ich bin. Mit jeder Faser eures Daseins habt ihr mir gezeigt, das ich NICHT so bin, wie ihr mich gerne hättet. Mein Leben lang abgewertet und mich mit meinem Bruder, der ja so anders ist als ich (,,wieso kannst du nicht auch so sein") verglichen. Als ich nicht das bekam, was ich so sehr brauchte, fing ich an Sachen zu zerstören um wenigstens so eure Aufmerksamkeit zu bekommen. Die lange Zeit der Bestrafung und körperlichen Züchtigung haben mich so müde gemacht. Wochenlanger Arrest ohne eine Geste von Zuneigung oder Liebe. Ich konnte nicht mehr, zog mich in mich selbst zurück und fing in aller Stille an, mich selbst zu zerstören. Bis heute habt ihr das nicht begriffen. Warum nur nicht? Es war doch so offensichtlich!

      Der Künstler Andre Heller sagte einmal (So gewinnen sie mehr Selbstvertrauen, Seite 59: ,,Man ist gut beraten, sich noch einmal ohne Vater und Mutter selbst auf die Welt zu bringen. Und keine Schuldigen zu suchen."

      Ich will nicht mein ganzes Leben in diesem Schatten verbringen. Ständig daran denken, was ich nicht hatte und zu was ich dadurch geworden bin. Zu denken, das ich keine andere Wahl habe. NEIN, das will ich nicht! Ich will mich neu erschaffen. In Frieden von euch loslassen.

      Ich bin bereit euch zu verzeihen. Ihr habt das getan, was euch aufgrund eurer Lebensgeschichte möglich war. Ihr seid genau wie ich, nur Menschen, und nicht vollkommen. Ich verzeihe euch.

      Und lebe nun MEIN Leben ...... “

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      Nun habe ich es geschafft. Meinen Eltern gesagt, was ich sagen musste. Kann dies ein Anfang sein......? Könnt ihr mich verstehen?

      Lieben Gruß

      paul
      Hallo paulwolle,

      Ich habe deine Brief gelesen und kann es in Teilen nachvollziehen, wobei selbst wenn alle sagen "Ja ich verstehe es und kenne das", wird das an deinem Gefühl berechtigterweise nichts ändern.
      Ich denke nur ganz ehrlich, willst du deinen Eltern denn verzeihen bzw. musst du das um dein Leben zu ergreifen und kannst du das auch?

      Gerade oben durch das Zitat

      paulwolle schrieb:

      Bis heute habt ihr das nicht begriffen. Warum nur nicht? Es war doch so offensichtlich!


      machst du Ihnen indirekt schon Vorwürfe, das kann man so verstehen, muss man nicht; ich finde die Vorwürfe gerechtfertigt, aber finde nämlich auch nicht, dass man verzeihen muss um "neu anzufangen", sondern vll. so etwas wie Frieden finden und eine Chance geben sich zu bewähren.
      Wenn das für dich dasselbe ist, dann überlese es.

      Ich bin mir auch nicht sicher, ich hatte es so verstanden, dass du diesen Brief nicht abschicken möchtest, wegen dem Symbolcharakter.

      Eine Sache die mich stutzig gemacht hat, gleich zu Beginn, ist die Frage, dass deine Eltern nie nach deiner Diagnose gefragt haben. Hätte es was geändert? Was sagt denn so ein komischer ICD 10 Code auf einem Papier über einen Menschen, du bist soviel mehr, als eine Diagnose und selbst wenn sie gefragt hätten, hätten sie damit etwas anfangen können? Sagt ihnen das was? Oder wenn Klischeehaft?

      Damit möchte ich nicht den Rest beschönigen, in keiner Weise.
      Vielleicht kannst du ja etwas mit anfangen.
      Liebe Grüße
      Yincana
      -L'essentiel, nous ne savons pas le prévoir- Das, worauf es im Leben ankommt, können wir nicht voraus berechnen. -Antoine de Saint Exupéry-

      Hallo Yincana,

      vielen Dank für deine offenen Worte, über die ich erst einmal nachdenken möchte und muss.

      Kann man neu beginnen, das Alte wirklich loslassen, wenn man nicht bereit ist zu verzeihen?
      Ich bezweifel das - um so mehr bei einer so prägenden Beziehung, wie das Verhältnis zwischen
      Kind und Eltern.
      Das Opfer seiner Umstände kann sich meiner Meinung nach nur durch ein Akt der Vergebung
      vollständig lösen.

      Dazu bin ich bereit und gerade deshalb werde ich den Brief nicht an meine Eltern abschicken.
      Denn du hast Recht, er ist nicht ohne Vorwürfe geschrieben.

      Ich danke dir jedenfalls, das du dich auf diesen Thread eingelassen hast und zum Nachdenken
      hast du mich allemal gebracht.

      Lieben Gruß

      paul