Einsamkeit

      Sicherlich spielt Corona eine große Rolle, vielleicht ist es aber auch einfach die Gesamtsituation. Ich habe mich im letzten Jahr unglaublich alleine gefühlt - wie wahrscheinlich sehr viele Menschen. Dabei lebe ich mit meinem Mann zusammen. Weder konnte ich meine Hobbys ausüben, noch großartig ins Kino gehen und viele Kontakte habe ich ohnehin nicht, seitdem ich vor vier Jahren umgezogen bin. Ich habe mit Freunden, die weit weg wohnen, Zoomkonferenzen gemacht, aber das hat vieles einfach nicht aufgefangen. Normalerweise besuchen wir uns wenigstens alle drei Monate, aber das war natürlich auch alles nicht möglich. Zeitweise bestand mein Leben nur noch aus Arbeit, Essen, Schlafen.

      Das sind alles keine großen Besonderheiten, wahrscheinlich geht und ging es vielen Menschen durch die Pandemie eben so. Mir hat allerdings die Gesamtsituation noch einmal vor Augen geführt, wie wenig Kontakt ich tatsächlich außerhalb von meiner Beziehung habe, wenn mein Hobby pandemiebedingt nicht stattfinden kann und ich eben nicht einfach so die Stadt verlassen kann und vier Stunden später bei jemandem zu Besuch bin. Hier vor Ort ist fast keiner. Sogar mein Vater hat mir in einer am Telefon gesagt, dass ich einfach eine beste Freundin bräuchte - aber so einfach ist das alles nicht.

      Ich denke manchmal, dass ich nie wirklich eine richtige beste Freundin hatte und ich bin außerdem an einem Punkt, an dem viele der Freund*innen, die ich habe, Kinder bekommen und in ganz anderen Themen drin sind. Dann denke ich manchmal, dass ich irgendwann verpasst habe, meine Freundschaften auf ein erwachsenen Level mitzunehmen. Versteht ihr, was ich meine?

      Ich fühle mich manchmal so, als wäre ich gar nicht da. Und das ist durch die Pandemie einfach noch verstärkt worden. Und dann denke ich manchmal, dass ich auch einfach gar keine Freundschaften langfristig aufrecht halten kann - selbst wenn man sich jahrelang kennt. Ich glaube, es liegt an mir und ich weiß nicht, wie ich es ändern kann. Ich habe natürlich akzeptiert, dass ich eben so bin wie ich bin und dass es vielleicht keine Gründe gibt, an mich zu denken oder mich nicht zu vergessen und das war irgendwie auch ok für mich, aber irgendwie ist es das nicht mehr. Ich weiß auch, dass ich mich manchmal aus Situationen zurückziehe, wenn mir Dinge zu viel werden - ich habe vor zwei Jahren eine Freundschaft gekündigt (das zweite Mal in meinem Leben), weil mir diese Person zu fordernd war und ich mich so fühlte, als würden meine Grenzen nicht akzeptiert werden. Jetzt frage ich mich, ob das ein Fehler war. Andererseits - ist es nicht wichtig, darauf zu achten, dass die eigenen Grenzen respektiert werden? Gleichzeitig und das stimmt und ich weiß nicht warum, hat mir mein Mann gesagt, dass ich ein Talent dazu hätte, mir komplizierte Menschen auszusuchen. Ich habe schon versucht zu analysieren, warum das so ist und an welcher Stelle da vielleicht mein Helfer*innensyndrom kickt, das ist sicherlich ein Problem. Auf der anderen Seite: was ist, wenn nur komplizierte Menschen übrig bleiben?

      Ich weiß, dass ich irgendwie eine Mauer habe, die Menschen erst einmal überwinden müssen, bis ich ihnen vertraue und durch die Erfahrungen der letzten Jahre, ist diese Mauer auch noch unbewusst ein Stück höher geworden. Gleichzeitig ist das auch ambivalent, weil ich wohl auch einfach den Eindruck gegenüber anderen perfektioniert habe, dass ich niemanden brauchen würde.

      Wie geht ihr mit Einsamkeit um, wie arbeitet ihr an euch selbst, dass ihr wieder Vertrauen in Situationen und Beziehungen zu anderen gewinnen könnt und was hat euch geholfen, wenn es euch vielleicht ähnlich geht oder ging? Mir scheint, es gehen hier gerade verschiedene Dinge zusammen, aber ich kriege es gerade selbst nicht so richtig auseinandergedröselt.

      Vielen Dank fürs Lesen.
      Today you are you, that is truer than true.
      There is no one alive, who is youer than you.
      Dr. Seuss
      Hallo atemzug,

      vieles, was du beschreibst, kommt mir sehr bekannt vor.

      Ich weiß auch, dass ich mich manchmal aus Situationen zurückziehe, wenn mir Dinge zu viel werden - ich habe vor zwei Jahren eine Freundschaft gekündigt (das zweite Mal in meinem Leben), weil mir diese Person zu fordernd war und ich mich so fühlte, als würden meine Grenzen nicht akzeptiert werden. Jetzt frage ich mich, ob das ein Fehler war. Andererseits - ist es nicht wichtig, darauf zu achten, dass die eigenen Grenzen respektiert werden?


      Grundsätzlich würde ich schon sagen, dass es wichtig ist, eigene Grenzen zu schützen. Wenn man in einer Freundschaft dauerhaft das Gefühl bekommt, dass die eigenen Grenzen von anderen ignoriert werden, ist das auf keinen Fall positiv.

      Gleichzeitig und das stimmt und ich weiß nicht warum, hat mir mein Mann gesagt, dass ich ein Talent dazu hätte, mir komplizierte Menschen auszusuchen. Ich habe schon versucht zu analysieren, warum das so ist und an welcher Stelle da vielleicht mein Helfer*innensyndrom kickt, das ist sicherlich ein Problem. Auf der anderen Seite: was ist, wenn nur komplizierte Menschen übrig bleiben?


      Das kommt mir sehr bekannt vor, leider. Mein Helfer*innen-Syndrom hat mich auch zuweilen im Griff... ich denke mir dann, dass ich Leuten helfen will, weil ich wollen würde, dass mir selbst geholfen wird, wenn ich Hilfe brauche. Und manche Leute haben keine Familie (egal ob biologisch oder nicht), die ihnen helfen kann.
      Wenn man anderen hilft, fühlt man sich selbst "gut" bzw gebraucht. (Die Formulierung klingt blöd, aber mir fällt grad nichts eloquenteres ein)
      Andererseits ist es trotzdem wichtig, dass man sich ein Stück weit abgrenzen kann und die Probleme anderer Leute nicht zu sehr zu den eigenen macht - aus Selbstschutz und um nicht ausgenutzt, bzw zu sehr vereinnahmt zu werden.

      Ich denke manchmal, dass ich nie wirklich eine richtige beste Freundin hatte und ich bin außerdem an einem Punkt, an dem viele der Freund*innen, die ich habe, Kinder bekommen und in ganz anderen Themen drin sind. Dann denke ich manchmal, dass ich irgendwann verpasst habe, meine Freundschaften auf ein erwachsenen Level mitzunehmen. Versteht ihr, was ich meine?


      Ja, Kinder verändern vieles im Leben und leider kann es dazu führen, dass Eltern vorwiegend mit anderen Eltern Kontakt haben, bzw bevorzugt selbigen pflegen. Wobei es zumindest meiner Erfahrung nach Tendenzen nur verstärkt (also, dass Leute, mit denen der Kontakt früher schon lose war, sich noch seltener melden), aber da gibt es möglicherweise auch andere Erfahrungswerte.

      Wie sieht es denn mit deiner beruflichen Situation aus - ergibt sich darüber vielleicht die Möglichkeit, neue Leute kennen zu lernen? Oder evtl ein neues Ehrenamt?

      Liebe Grüße
      Kasmo
      ~ Memories that touch our hearts will never fade away ~
      Hallo, habe jetzt erst gemerkt, dass ich gar nicht geantwortet habe. Keine Kapazitäten gehabt.
      Danke für viele gute Dinge, die du geschrieben hast. Ich stolpere weiter und hoffe, es ist ok.

      Es hat sich eigentlich wenig geändert seit dem Beitrag. Ich akzeptiere, dass es so ist und habe
      auch als eigenes Unterstützungssystem für meinen Mann (Burnout) und meinen Vater (Krebs)
      genug zu tun.

      Mein Beruf ist so herausfordernd und hat schon genug mit Menschen zu tun, dass ich daneben keine Möglichkeiten habe, andere Menschen
      kennenzulernen. Ich überlege eine Weiterbildung zu machen, aber fürchte, dass ich darüber vielleicht
      auch zu viele neue Baustellen aufmache.

      Ich nehme mich einfach mit meiner Kompliziertheit und meinem Chaos und denke, dass es einfach so ist
      und das manche Menschen nicht dafür gemacht sind, irgendwo dazuzugehören.

      Ich danke dir trotzdem sehr für deine Antwort.
      Today you are you, that is truer than true.
      There is no one alive, who is youer than you.
      Dr. Seuss