Er möchte, dass ich rede...

      Er möchte, dass ich rede...

      Hi liebes Forum,

      dieses Mal komme ich ausnahmsweise mal mit einem Beziehungsproblem um die Ecke. Ich mache das eigentlich äußerst ungerne, aber mir bleibt im Moment nichts anderes übrig - ich habe etwas erfahren, und weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.

      Mein Freund und ich hatten gestern eine sehr interessante Diskussion. Er redet gerne, und auch viel, das haben wir gemeinsam. Er hat mir vieles aus seinem Leben erzählt und ich teile auch relativ viel mit ihm.
      Doch sobald es an das "Eingemachte" geht - meine schlechten Erfahrungen - blocke ich ab.

      Er möchte mich so gerne verstehen, er liebt mich sehr. Er versteht oft nicht, warum ich Panikattacken oder Wutausbrüche in bestimmten Situationen bekomme; und möchte, dass ich ihm mehr von mir mitteile - was ich erlebt habe, was ich denke und fühle - damit er mich verstehen kann.
      Wir haben beide ambulant betreutes Wohnen, könnten so ein Gespräch also auch in einem "sicheren" Rahmen führen, unter Anleitung eines Betreuers oder meiner Psychologin.

      Ich finde es sehr rührend, dass er mich verstehen möchte....

      ... aber ich kann einfach nicht reden.

      Da sind zuviele Dinge geschehen, mit denen ich selbst nicht klar komme. Wenn ich darüber reden würde, würde sofort alles hochkommen und es wäre für mich, als müsste ich alles noch einmal erleben.
      Es geht hierbei gar nicht mal um die schlimmen Ereignisse... was mir 2008 passiert ist, weiß er; ebenso mit dem Mobbing in der Schule.
      Doch da sind andere Dinge; Dinge, die im Vergleich weniger schlimm sind, die mir aber unendlich peinlich sind. Zeiten, Momente, die ich am liebsten für immer wegschließen würde....
      Irgendwann muss ich mit ihm darüber reden, ich möchte nicht, dass er das Gefühl hat, ich vertraue ihm nicht.

      Doch, das tue ich sehr. Aber ich kann nicht über Dinge sprechen, mit denen ich selbst noch nicht einmal klarkomme. Es geht um meine Vergsngenheit, vorangegangene Beziehungen - Beziehungen, die teilweise nicht einmal auf Liebe basierten, sondern nur auf die Hoffnung, dass da jemand für mich da ist... Beziehungen, die sehr auf den S*x reduziert waren...

      ... ich habe eine Menge durchgemacht. Jedoch komme ich damit nicht klar... ich habe sofort vor Augen, wie alle mich damals deswegen fertig gemacht haben: ich sei eine "Schl**pe", "viel zu leicht zu haben" ... diese Dinge haben nicht etwa irgendwelche Leute erzählt, sondern ausgerechnet diejenigen, die mir sehr naher standen und etwas bedeutet haben....
      ... dann die Sache mit meinem Bruder... ich habe ihm mal das Leben gerettet, der Dank dafür waren ewige Beleidigungen, Vorwürfe, blöde Sprüche....

      ... ich möchte all diese Momente am liebsten vergessen. Doch das geht nicht, ich weiß, dass ich das irgendwie irgendwann aufarbeiten muss...

      Nur, wie kann ich mit meinem Freund darüber reden?
      Wie kann ich ihm erklären, dass ich selbst mit diesen Dingen nicht klarkomme und deshalb nicht darüber reden kann?
      Wie kann ich ihm erklären, dass ich - auch wenn ich völlig gesund aussehen mag - krank bin, dass diese Krankheit ohne Therapie auch ein böses Ende nehmen könnte, und dass ich im Moment kaum noch Kraft habe für irgendetwas?

      Ich kämpfe immer noch um jeden einzelnen Tag, ihn zu überstehen - mal besser, mal schlechter. Der Klinikaufenthalt ist eine große Perspektive im Moment - meine einzige, die mir Hoffnung und Kraft gibt, durchzuhalten -
      ich möchte so gerne, dass er mich versteht...

      aber was ist, wenn er mich vielleicht einfach nicht verstehen kann?
      Wenn seine geistige Behinderung zu ausgeprägt ist, all diese Zusammenhänge zu verstehen`? (Das jedenfalls meinte unsere Betreuerin)
      Wie kann ich dann damit umgehen?

      Liebe Grüße
      Hope.
      Der wichtigste Mensch in Deinem Leben....


      ... bist immer Du selbst.
      Hallo,

      mein Vorschlag wäre ihm in etwa auch das zu sagen, was Du hier schreibst.

      Dass die Scham aktuell zu groß für Dich ist, dass Du befürchten musst, dass es Dich zu sehr mitnimmt, wenn Du jetzt darüber redest, weil es "wiedererlebt" wird und - damit Du aber Dein grundsätzliches Vertrauen und Deine Bereitschaft dazu signalisiiert - das ganze dann damit ergänzt, dass Du Dir vorstellen kannst, dass es dann klappt, wenn Du es auch in der Therapie bearbeitest oder bearbeitet hast. Möglicherweise bietet der kommende Klinikaufenthalt dazu ja auch Gelegenheit.
      So würde ich es erstmal versuchen.

      Wenn er das nicht ganz nachvollziehen kann, vielleicht findest Du ja etwas, was für ihn vergleichbar wäre, aber eben er selbst erlebt hat. Also nicht, dass Du ihn in Bedrängnis bringen sollst. Aber wenn man zum Beispiel einem Kind erklären möchte, dass eine Herdplatte wirklich heiss ist, kann man nicht sagen: Die ist heiss, wenn das Kind nicht weiss, was heiss ist. Sollte es aber wissen, wie es ist in eine Brennessel zu fassen, kann man dem Kind erklären, dass "heiss" so ist, wie in 100 Brennesseln gleichzeitig zu fassen.
      Das ist jetzt allerdings sehr simpel, aber Du verstehst sicher, was ich meine.

      Grüße,
      klirr
      Hallo klirr,

      danke für deine Antwort. Ich denke, ich muss das so simpel wie möglich gestalten. Ich hatte bereits einen Versuch gestartet, ihm das zu erklären, und sagte dann eben auch, dass ich krank bin und es mir deshalb nicht so gut geht.
      Da kam er mit dem Argument "Aber du hast kein Krebs!"
      Daraufhin meinte ich dann, auch ein wenig wütend, dass meine Krankheit aber durchaus damit vergleichbar sei, immerhin kann eine M*gersucht oder mein Borderline oder beides zusammen genauso übel enden, wenn ich nicht aufpasse. Was ich nicht hoffe, aber im Moment ist der Klinikaufenthalt meine einzige Perspektive und der Grund, warum ich konsequent durchhalte.
      Das wiederum versteht er nicht.(Gut, Krebs sieht man einem auch irgendwann an, das Borderline nicht....)

      Ich suche da noch nach einem Vergleich, den er verstehen kann, oder eine andereErklärung, die für ihn greifbar ist.

      Was er verstanden hat, ist, dass dieser Aufenthalt sehr wichtig für mich ist, damit es eben nicht weiter bergab geht mit mir. Wenn die Klinik nicht so weit weg wäre, hätte ich eventuell auch an eine Paartherapie gedacht, weil ich ihn eben oft nicht verstehe. Er vergleicht vieles mit Dingen, die er selbst erlebt hat. Er hat auhc keine einfache Vergangenheit, kommt aber damit klar. Nun, das macht aber eventuell auch der Altersunterschied - ich glaube nicht, dass er mit 21 so gelassen mit alledem umgehen konnte wie heute.
      Sein Lebenslauf spricht jedenfalls nicht dafür.

      ... Eine Betreuerin hat mich dahingehend ein wenig eingeweiht und mir erklärt, wie er so denkt. Er lebt eben sehr stark in seiner eigenen Welt, und deshalb ist die Frage sehr groß, wie ich ihm das näher bringen kann. Er sagt, ich muss unbedingt ruhiger werden, und ich versuche ihm zu erklären, dass das eben nicht so schnell geht.
      Er versteht die Dinge nur, wenn ich sie simpel erkläre.

      Ein Ansatz von mir war mal - auf die Frage, warum ich so viele Medikamente nehmen muss, die würden ja den Körper kaputt machen - dass eben etwas in meinem Kopf fehlt, und die Tabletten mir genau das geben, was fehlt. Ich fand es als Umschreibung für die komplexen Zusammenhänge schön formuliert, selbst wenn das die Funktionsweise von Psychopharmaka doch etwas verfehlt (es gibt ja verschiedene, und Neuroleptika wirken ja anders als Antidepressiva).

      Die Idee mit den Vergleichen finde ich wirklich sehr schön. :)

      Liebe Grüße
      Hope.
      Der wichtigste Mensch in Deinem Leben....


      ... bist immer Du selbst.
      Hallo Hope.,

      ich habe da so eine Theorie, nach der ich lebe, die mir oft hilft und manchmal Probleme besser löst.

      Und zwar ist mir irgendwann vor einigen Jahren aufgefallen, dass es keinen Sinn macht, seinem Partner alle Rollen abzuverlangen, die es geben kann. Damit meine ich Rollen zwischen Menschen.

      Es gibt verschiedene Menschen, mit denen ich über verschiedene Dinge rede.

      Mit dem einen kann ich besser über das reden, mit dem anderen über das.

      Meinem Partner muss ich so nicht alles auferlegen, er muss nicht alle Rollen füllen oder erfüllen, dafür gibt es Freunde. Jemand, der alles erfüllen SOLL, br*cht schnell unter dem Druck weg und es kommt zu Problemen.

      Dein Freund WILL aber alle Rollen annehmen, auch die, über die Du vielleicht lieber mit einer Freundin redest. Ich finde, genau das musst Du ihm sagen, es gibt Dinge, die bespricht man lieber mit einer Freundin, Ärztin, Bekannten, Mutter o.ä.

      Weißt Du worauf ich hinaus will?

      Ich finde so kann man das sehr diplomatisch sagen, das es Themen gibt, über die man gezielt nicht MITeinander reden will, ohne das der andere sich v*rl*tzt fühlt und glaubt, man liebt ihn nicht richtig oder vertraut nicht...

      Denn das kann man damit gut umfahren, bei mir hat es viel Druck rausgenommen und viele Streitpunkte lösten sich dadurch auf.

      Liebe Grüße, Tiapa.
      Hey Tiapa,

      danke für deinen Tipp. Es ist nicht so, dass ich mit ihm darüber nicht reden möchte. Ich möchte es, nur noch nicht jetzt. Denn es geht hier um Dinge, über die ich bisher auch mit niemand anders gesprochen habe. Und meine Erfahrung ist eben, dass ich mit solchen Dingen vorsichtig umgehen muss, weil sonst alles wieder hochkommt.

      Er hat mich heute mal wieder gar nicht verstanden, dass es mir schlecht ging, hat die Situation aber gut gelöst. Unsere Betreuerin ist vorbei gekommen und hat mit uns beiden einzeln geredet...
      >Er weiß zwar immer noch nicht, was mit mir los ist, versteht aber nun, dass es bei mir eben nicht das normale "Rumzicken" einer Frau ist, sondern dass meine Gefühlsausbrüche mit meiner Krankheit zusammenhängen. Welche das ist und was dagegen helfen könnte, würde er auch wieder nicht verstehen.

      Er weiß jetzt aber, dass es mir sehr schlecht geht im Moment und dass ich seine Unterstützung brauche im Moment. Ich fand es schon süß, als er mir gesagt hat, dass er es jetzt versteht, dass ich "kranker" bin als er und dass ich diese Hilfe, diesen anstehenden Klinikaufenthalt unbedingt brauche. Und dass ich Zeit brauche, bis ich über diese Dinge reden kann, die er gerne wissen möchte.

      Es war also doch eine gute Idee, dieses Gespräch zusammen mit der Betreuerin zu führen, und ich fand es sehr schön, dass er die Initiative ergriffen hat. Das gibt mir wenigstens kurzzeitig das Gefühl, dass er sich wirklich um mich sorgt.

      Gruß
      Hope.
      Der wichtigste Mensch in Deinem Leben....


      ... bist immer Du selbst.